»Wird das mit C geschrieben?« - »Nein, mit K...« korrigiere ich wohlwollend überlegen die junge, weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ah, ich hab's gefunden!« bestätigt sie den schönen Erfolg der cleveren Recherche und warnt mich zugleich: »Das kann aber 14 Tage dauern!« - »Zwei Wochen?!?« will ich mich mit allem Nachdruck verhört haben. »Ja, das kommt schon mal vor bei nicht so gängigen Namen...« entgegnet die ca. 20-jährige selbstsicher... »Hm.. ja.. dann muss ich wohl warten...« akzeptiere ich missmutig die offenkundigen Unwägbarkeiten marktwirtschaftlicher Gesetze jenseits der standardisierten Angebots-'Vielfalt'...
Nach drei langen Jahren und zusätzlichen, versöhnlichen zehn Tagen halt' ich sie letztendlich in Händen, die ersehnte neue Gabe aus dem verborgenen, Charts-fremden, neopsychedelischen Reich der britischen Indie-Könige. »Kula Shaker's back and out of the woods!« wie es ein munterer Kollege einer holländischen Hip-to-date-Radio-Station enthusiastisch verkündet, just nachdem direkt aus dem flippigen Studio stolz ein exklusives Live-Set der zwei 'K'-führenden Robin Hoods im schlau tarnenden Liedermacher-Gewand präsentiert werden konnte... Zu verfolgen auf dem rockrebellischen Youtube-Channel von GI:EL.
Eine harte Zeit liegt hinter ihnen. Seit dem Wiedererscheinen auf der Bildfläche 2007, samt zukunftsweisendem Comeback-Album titels "Strangefolk" - von unheimlich treuen Fans unter Kritikern und gemeinen Musikliebhabern gleichermaßen begeistert aufgenommen - zwangen Management-seitige Differenzen, Identitätskrisen und nicht zuletzt finanzielle Schwierigkeiten Kula Shaker Anfang 2009 ins Exil des winterlichen Belgiens, wo man auf eigene Faust den Weg aus dem Tal dunkler zivilisatorischer Erfahrungen suchte und zurück ins strahlende Licht der schöpferischen Reinkarnation fand.
"Pilgrims Progress" - treffender konnten die intellektuellen Sitar-Poeten ihr neues Wunderwerk so gesehen kaum bezeichnen. Kula Shakers - im verehrtesten Sinne des Wortes - sonderbare Sound-Mixtur aus bizarrem psychedelischen Space-Folk-Rock, magnetischer fernöstlicher Anziehungskraft und den bevorzugt indisch instrumentierten, exotisch veredelten Songfasern erfährt in ihrem neusten Geniestreich nun noch eine weitere, unerwartete, inhaltliche Komponente.
Offensichtlich inspiriert vom jahreszeitlich bedingten, eisigen Charme des romantischen, elisabethanischen Ambientes im belgischen Refugium griffen unsere beflissenen Protagonisten tief ins Bücherregal der heimatlichen Geschichtsbibliothek. Herausgefiltert und in makelloser Präzision produziert wurden daraus superbe, fantasievoll rhythmierte Lied-Gedichte, versehen mit einigen, höchst anspruchsvollen lyrischen Querverweisen zur klassischen englischen Literatur.
Sei es die als Teaser des neuen Albums völlig atypische Vorabsingle "Peter Pan R.I.P", frei dem berühmten, düsteren Kinder-Märchen nachempfunden, oder die folk-antik brillant inszenierte Reminiszenz an die tragische Shakespeare-Figur "Ophelia" - vielschichtige Philosophen sind die End-Dreißiger und jungen Väter von Kula Shaker mittlerweile geworden, die das große 'K' wieder einmal neu erfunden haben und dennoch den erbitterten Kampf gegen Mittelmäßigkeit, Konformität und marktherrscherische Reglements mit unverminderter klanglicher Gewalt weiterhin bravourös ausfechten.
"(I've Got The) Modern Blues" führt das gesamte Waffenarsenal der smarten, gefährlichen Off-Trender eindrucksvoll vor: meditativ gemusterter, fachmännisch verlegter byrdiger
Saitenteppich, Dylan'sche Vers-Kennungen à la "Subterranean Homesick Blues", Ranga-Akkord-Strukturen, bombastische Rhythmen, glockenhelle stimmliche Harmonien und die geliebten Orgel-Fantastereien füttern diesen indischen Rock-Tiger mit einem Festmahl um die brennend heiße Mittagszeit. Zur Hölle! - Da materialisiert es sich wieder, das ungeheure, monströse "Tattva"-Syndrom, das als sensationelles Phänomen praktisch aus dem Nichts über die Brit-Pop-Invasion der mächtigen Verve-Oasis-Blur-Chartstreiber anno 1996 hereinbrach.
Rückblickend betrachtet sei der naive, heroische Idealismus der Jugend, der ebenso Kula Shaker auf die Straße des Mega-Erfolgs katapultierte, von unabdingbarer Wichtigkeit, erklärt Mastermind und 'K'-Leader Crispian Mills. Für die Liebe (auch die zum eigenen Tun) zu sterben, sei das angemessene Privileg junger Gedanken. »But to carry on living is even braver...« beschreibt er hingegen die Dimension der weitaus höheren Herausforderung des Erwachsenwerdens. Die Liebe sei es jedoch, die den Sieg davon tragen werde, ist Mills unbeirrbar überzeugt. Nach den metaphilosophischen Berechnungen des goldblonden Propheten aus dem anderen Universum sei die bedeutendste Empfindung des menschlichen Herzens nun einmal größer als Hass, Feindlichkeit und alle niederen Produkte des ungleich kleineren Verstandes. So beschwört "Only Love" 'K'-fundamental die einzig erlösende Bestimmung in diesem und allen darauffolgenden Leben.
Keine Zukunft ohne Vergangenheit, rechtfertigt "Ruby" und betört den Hörsinn im lautmalerischen, mittelalterlichen Gewand einer exzellent ausgefeilten Melodieführung, die Crispian Mills auf seidenen Stimmbändern anmutig wie die mustergültige Kür eines siegeserfahrenen Eiskunstlauf-Stars dahingleiten lässt, um das Ausnahme-Stück schließlich zu einem perfekt arrangierten Chanson des späteren 20. Jahrhunderts zu entfalten. Ins ritterliche Zeitalter versetzt wiederum und eigenartigster Weise "When A Brave Needs A Maid", ein surrealistisches Instrumental, das anfänglich puritanisch aus den Wäldern Nottinghams einschwebt, im Verlauf aber breitflächig ausgebaut wird und überraschende Wild-Western-Figuren aufs stilistische Schachbrett stellt. - Etwas, das man gewiss gehört haben muss, um es zu begreifen.
Kula Shaker hätten im andauernden Hype um Sixties, Folk, Psych und andere Pop-Ableger von leichter Hand ein nächstes, modisches Retro-Accessoire als blinden Self-Seller in die zeitgemäße, unaufhaltsame Konsum-Rotation fädeln können. Doch man entschied sich erneut gegen stürmische Windrichtungen, sichere kommerzielle Wegweiser, anonyme Vorgaben und jegliche Erwartungen überhaupt. Die kundigen Sanskrit-Mythologen erforschen im breitwandigen, voluminösen Soundscript von "Figure It Out" stattdessen einmal mehr das unergründliche Labyrinth des menschlichen Bewusstseins und verfügen so simple wie spektakuläre 'Way-Out'-Perspektiven.
Das englische Quartett - im Namen des indischen Fürsten Kula Sekhara (9. Jahrhundert) seit 15 Jahren unterwegs in den Weiten, Breiten und Niederungen irdischer Verfehlungen - spürt in "Pilgrims Progress" instinktiv den Ursprüngen gewichtiger künstlerischer Traditionen nach und geleitet Pilger und Berufene auf den spirituellen Song-Pfaden einer abenteuerlichen, sorgfältigst intonierten Wanderung vom Gestern zum Morgen, zwischen literarischen Meisterwerken, historischen Epochen, futuristischen Visionen, märchenhaften Orten, weltlichen Spuren und sagenhaften Atmosphären.
Ein mutiges Wagnis der 'four strangers' mit dem symptomatischen, reizvollen FabFour -Akzent - ein Mut, fern jeder geschäftstüchtigen Ideologie, dessen Tragweite sich ansatzweise im trockenen Humor von Mitstreiter und Produzent Alonza Bevan offenbart: »Obviously we don't want to put any pressure on people but if you don't buy our records or come to the shows, our children will starve!«
Viva el amor - Viva Kula Shaker! - Lang soll'n sie leben, die letzten, wahren Independent-Geiste vom kleinen Eiland der raren, echten Mainstream-Alternativen.
Mögen sie zuallererst - überleben...
Line-up
Crispian Mills (lead guitars, lead vocals)
Alonza Bevan (bass, vocals)
Paul Winterhart (drums)
Harry Broadbent (organs, pipes)
Tracklist |
01:Peter Pan RIP
02:Ophelia
03:Modern Blues
04:Only Love
05:All Dressed Up
06:Cavalry
07:Ruby
08:Figure It Out
09:Barbara Ella
10:When A Brave Meets A Maid
11:To Wait Till I Come
12:Winter's Call
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