The Nigel Kennedy Quintet / Shhh!
Shhh! Spielzeit: 53:46
Medium: CD
Label: EMI Classics, 2010
Stil: Fusion


Review vom 06.04.2010


Wolfgang Giese
Nigel Kennedy, ein Name, der sicher auch vielen geläufig sein wird, die sich nicht so sehr für klassische Musik interessieren. Darüber hinaus dürfte vielen seine mittlerweile 'legendäre' Interpretation der "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi bekannt sein.
Wie auch immer, er ist nicht nur der klassischen Musik verhaftet geblieben, dieses 'Enfant terrrible' der Musikgeschichte. Denn man kann ihm nicht unterstellen, er sei angepasst, hat er sich im Laufe seiner mit dem Konzertdebüt im Jahre 1977 so richtig in Schwung gekommenen Karriere doch ständig neuen Herausforderungen gestellt. Seien es Interpretationen von Hendrix-Titeln, der Doors, oder Mitwirkung bei Produktionen von Stephen Duffy ("Music In Colors") und anderen Musikern aus Pop und Rock, wie zum Beispiel auch Donovan.
Ganz besonders lebt er seit geraumer Zeit seine Liebe und Hinwendung zum Jazz aus, so im Besonderen auf der 2006er Produktion "The Blue Note Sessions" auf dem Label Blue Note, unter anderem eingespielt mit solchen Jazzgrößen wie Ron Carter, dem Bassisten und dem Drummer Jack DeJohnette.
Seit er teilweise in Polen (Krakau) lebt und auch mit einer Polin verheiratet ist, hat er sich dort eine Band zusammengestellt, die 'seine Art von Jazz' ganz besonders interpretiert. Kennedy geht für mich sogar so weit, dass ich in einigen Passagen Anklänge an den berühmten polnischen Jazzgeiger Michal Urbaniak herauszuhören scheine.
Ja, die Musiker strahlen auch hier die typisch polnische Ausrichtung im Jazz aus, wie sie schon zu Zeiten von Krzysztof Komeda, Andrzej Kurylewicz oder des frühen Tomasz Stańko interpretiert wurde - diese gewisse Melancholie ist auch auf "Shhh!" im Ausdruck vorhanden.
Darüber hinaus zeigt die Band jedoch noch weitere Facetten auf, Begriffe wie Fusion, Jazz Rock, Rock und auch Pop sind zu nennen. Ein wahrer Höhepunkt ist die Interpretation eines alten Titels von Nick Drake aus dem Jahr 1970: "Riverman". Hier singt ihn, und man kann ihn kaum erkennen: Boy George! Genau - er ist es wirklich, und er bringt dieses Stück mit seiner mittlerweile recht verhalten aber intensiven und rauchigen Stimme wirklich vorzüglich!
Diese Nummer kann, auch gerade hinsichtlich des ganz hervorragenden Geigenarrangements, und dazu perkussive Klänge, unterstützt von einer Bassklarinette, völlig süchtig machen. So sehr, dass zumindest ich mir mehr davon wünsche! So sehr ich das Original von Drake liebe, diese Version 'haut mich um'!
Doch von vorn:
"Transfiguration" ist ein Song, der wie eine Mischung aus altem Horace Silver-Sound und der 70er Jahre-Fusion von Michal Urbaniak scheint. Im Kern ist das Jazz, und Tomasz Grzegorski unterstreicht das mit seinem gefühlvollen Saxofonsolo. Der Drummer Krzysztof Dziedzic hebt den Jazz allerdings in sanft rockende Gefilde und Kennedy schaltet in seinem Solo plötzlich einen Verzerrer ein, der sein Instrument mitunter wie eine E-Gitarre klingen läßt. Sein Solo ist teilweise ein Zwiegespräch mit sich selbst, hier kommen alte Tugenden des Mahavishnu Orchestras zum Vorschein. Klasse gemacht!
Über das folgende "Riverman" berichtete ich bereits, so dass ich mich sogleich "Silver Lining", zuwende. Hier haben orientalische Tonfolgen auf der Geige, begleitet vom akustischen Bass, Einzug gehalten, bevor es dann sanft los swingt. Wer die Aufnahmen des "New Violin Summit" kennt (mit Jean-Luc Ponty, Michal Urbaniak, Sugarcane Harris und Nipso Brantner), kann sich vorstellen, dass hier eine ähnliche Atmosphäre herrscht hinsichtlich der Rhythmik, die bei dem legendären Konzert einst von Robert Wyatt erzeugt wurde; der dritte Höhepunkt der Platte.
"Shhh!" ist dann auch ganz still, eher fließende Tonfolgen erwarten uns hier, tupfendes Piano untermalt die Geigenklänge, bis sanft die anderen Instrumente einsetzen, aber es bleibt 'getupft'. Das ist eine feine 'Late Night-Ballade', mit genau jener Atmosphäre, die nachts am besten entstehen kann.
Ähnlich, man sollte sich Musik in Richtung 'ECM' vorstellen, kommt "The Empty Bottle". Doch leer ist die Flasche sicher nicht, vielmehr ist sie gefüllt mit viel Emotion, man spürt den 'Klassiker' Kennedy, der sich aber auf "4th Glass" sogleich wieder im Fusionlager vorstellt - mit dem bislang rockendsten Rhythmus, der sich aber im Laufe des Stückes durch die Perkussion leicht lateinamerikanisch einfärbt. Die Geige klingt hier in ihrer Begleitfunktion fast wie eine akustische Gitarre.
Als wäre es nicht Abwechslung genug gewesen, kommt noch eine weitere Spielart hinzu: Mit "Oy" wird gerockt, aber richtig! Kennedy hat die Geige hochgepegelt, der Drummer schlägt hart, die Hammond setzt voll ein, der Saxofonist entlockt seinem Instrument plötzlich freie Klänge, und fast zum Schluss setzt die Band gemeinsam in rufende Laute ein. »Go Go Go«, so meine ich zu hören.
Und die Geige bringt uns knarzend und krachend zum Ende, nun klingt es wieder wie eine satt gespielte E-Gitarre, Jerry Goodman lässt grüßen!
Fazit: Für mich ist dieser Bursche, dieser Nigel Kennedy, noch immer ein Genie! Und - genial bleibt auch nach unzähligen Durchläufen "Riverman"!!! (Doppel-Tipp!)
Ich bin gespannt, was man noch von ihm hören wird ...
Line-up:
Nigel Kennedy (electric violin, vocals, extra keyboard)
Tomasz Grzegorski (tenor sax, soprano sax, bass clarinet, vocals)
Piotr Wylezol (piano, Hammond)
Adam 'Szabas' Kowalewski (contrabass, electric bass, vocals)
Krzysztof Dziedzic (drums, vocals)
Xantone Blacq (percussion)
Boy George (vocals - #2)
John Themis (guitar - #2)
Tracklist
01:Transfiguration
02:Riverman
03:Silver Lining
04:Shhh!
05:The Empty Bottle
06:4th Glass
07:Oy!
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