Das Jahr neigt sich so langsam dem Ende entgegen und auf meinem persönlichen Konzertbesuchsplan für 2009 standen nur noch Richie Kotzen und Jimmy Bowskill. Für den bevorstehenden Jahresrückblick, in der Kategorie 'Bester Gig' hatte ich mehrere Favoriten in der engeren Auswahl. Die beiden Reviews meines Kollegen Moritz Alves bezüglich Kotzens DVD Bootlegged In Brazil und seiner CD Live In Sao Paulo ließen mich vermuten, dass hier noch ein weiteres Highlight meine Entscheidung arg beeinflussen könnte.
Die Sterne standen äußerst günstig, da mein Kumpel Shorty, selbst Musiker, sich anbot uns mitzunehmen. So machten wir uns mit unseren Frauen zu viert auf den Weg nach Torgau, um die Kulturbastion in Angriff zu nehmen. Bastionsmitarbeiter und Tontechniker Thomas Schmidt hatte glänzende Vorarbeit geleistet, sorgte für Unterkunft, Empfang und Kontaktdaten. An dieser Stelle: Besten Dank, Thomas!
Wir wollten gerade im Hotel einchecken, steht mir doch tatsächlich Richie gegenüber! Ich hatte ihn aber vorher noch nie gesehen und war etwas verunsichert. So wollte ich als Beweis für seine Identität ein Luftgitarrensolo von ihm begutachten, um sicher zu gehen, dass es sich hierbei wirklich um das Original handelte. Den Gefallen tat er mir zwar nicht, aber ich konnte ihn wenigstens zu einem Lachen bewegen. Schnell noch ein wenig aufgefrischt, alle wichtigen Utensilien eingepackt, den Bauch mit indischem Essen gefüllt, einen 10-minütigen Verdauungsspaziergang absolviert und schon standen wir vor den Toren der Bastion.
Thomas führte uns erstmal durch die Kulturstätte sowie die anderen Räumlichkeiten und stellte uns einigen Mitarbeitern und dem Clubchef Uwe Narkunat vor. Dessen Körpergröße von über zwei Metern schloss ein Gespräch auf 'Augenhöhe' vorerst aus… Zunächst heizte die einheimische Wolfband die Stimmung des Club im Stil von Thin Lizzy auf wohlige Temperaturen. Nach ca. 45 Minuten des Aufwärmprogramms wurde in Windeseile die Bühne umgebaut, wobei auch hier der 'Hans Dampf in allen Gassen', Thomas, tatkräftig mithalf! So langsam bewegten sich die Kotzen-Fans, nebst eines Nürnberger Fan-Clubs, in Richtung der Frontplätze.
Und dann war es soweit, der schlanke, schwarz- und langhaarige Richie hatte den Bassisten Daniel Pearson, den Schlagzeuger Demian Arriga und seine knallrote Fender-Telecaster im Gefolge, die an diesem Abend seine ständigen Begleiter auf der Bühne waren. Von der ersten Minute an verstand es der Amerikaner, die Anwesenden in seinen Bann zu ziehen. Nicht nur sein äußerst anspruchsvolles Gitarrenspiel wusste zu überzeugen, auch seine rockig-soulige Stimme setzte einige großartige Akzente!
Mit "A Love Divine" begann der Gig in den ehrwürdigen Gewölben des Clubs, für dessen Optimierung an Klangqualität, wie sollte es auch anders sein, Thomas zuständig war. Spätestens nach "Fooled Again" wusste ich, dass ich Zeitzeuge eines denkwürdigen Gigs wurde. Etwas ungewöhnlich empfand ich die ausgiebigen Pausen zwischen den Tracks, die Richie fürs Trockenwischen und Einstimmen seiner Klampfe nutzte. Letztlich aber völlig egal, denn bei weiteren Krachern wie "High" oder "Remember" konnte man sehr gut seine spielerische Leichtigkeit genießen. Ob schnelle oder ruhige Passagen, mal ziemlich laut, mal eher soft, es sah alles so einfach aus! Und dazu immer wieder seine Gesangseinlagen, die für manchen Rückenschauer sorgte! Auch seine musikalischen Mitstreiter, Arriga am Kraftwerk und Tieftonspezialist Pearson, ergänzten sich prima, wobei gerade Pearson an seinem traditionellen Viersaiter Schwerstarbeit zu verrichten hatte, um den Anforderungen Richies gerecht zu werden.
Weitere Songs aus dem "Sao Paulo"-Livealbum und seinen vergangenen Silberlingen wurden zum Besten gegeben. Dabei demonstrierte er bei jedem Track seine extrem gut ausgebildete Fingerfertigkeit, die die Anwesenden eins um andere Mal ins Staunen versetzte. Er spielte punktgenau seine Soli, sang sehr gefühlvoll, verriet keine Schwächen und zog sein Ding absolut professionell durch! Ich wollte es nicht glauben, als sich Richie und Co. verabschiedeten, dass schon fast zwei Stunden, gefühlt eine Stunde, vergangen waren! Meine Güte, wo war die Zeit geblieben? Doch ohne Zugaben ließen die Fans die Truppe nicht so einfach von dannen ziehen. Rhythmisches Klatschen, Gebrüll und Pfeifen waren schließlich die Argumente, die die Band veranlasste, noch zwei Zugaben draufzupacken!
Erst als die Hintergrundmusik ertönte, wussten alle, die Messe war gelesen. Es folgte das übliche Zeremoniell und die Band musste fürs Signieren diverser Tonträger, Fotos, Plakate, Smalltalk mit ihren Anhängern oder zum Ablichten mit ihren Fans noch ein gutes Überstündchen ranhängen. Egal mit wem ich mich unterhielt, es gab nur positive Feedbacks, und keiner fand Kotzen zum 'Kotzen'!
So hatte sich unser Ausflug ins sächsische Torgau voll gelohnt. Beide Premieren, sowohl der erstmalige Besuch der Kulturbastion, sowie das erste Live-Vergnügen mit Richie Kotzen waren zum Ende des Jahres noch mal richtige Highlights! Dass wir uns zum Schluss noch mit Clubchef Uwe und dem Mischpult-Experten Thomas an einem Tisch zusammen hockten und den Auftritt ausgiebig Revue passieren ließen, rundete den Abend, oder besser gesagt den frühen Morgen, ab.
Doch ein Höhepunkt sollte noch folgen! Nach einem kurzen Tiefschlaf wurde um 7.30 Uhr das Frühstücksbuffet angegriffen. Oh, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet! Saß doch der gut erholte Richie mit seiner Combo in den frühen Morgenstunden als Einziger im Speisesaal am Nachbartisch beim Brunchen! Ein kurzes 'Hallo' ließ mein müdes Hirn schnell noch lobende Worte für den vorher erlebten musikalischen Hochgenuss finden, die Kotzen dankbar registrierte.
Im Namen von RockTimes möchte ich mich bei den Machern der Bastion bedanken, die alle Absprachen zu 100% erfüllten. Uwes Schlussworte »Ihr RockTimer seid hier immer herzlichst willkommen« veranlassten mich in meiner Euphorie zu einer spontanen Umarmung, die aber an seinen Hüften endete.
Line-up:
Richie Kotzen (vocals, guitar)
Daniel Pearson (bass)
Demian Arriga (drums)
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