Robert Earl Keen / What I Really Mean
Robert Earl Keen ist in seinem Heimatstaat Texas fast allgegenwärtig. In Houston geboren, seit Jahren in in der (Musik-)Hauptstadt Austin lebend, verkörpert er das Bild des überlegenen, ehrlichen und reifen Musikers. Schaltet man in Texas das Radio an (und das muss kein Country-Sender sein - auch im Rockradio läuft seine Musik recht oft) dauert es nicht sehr lange, bis man einen seiner Songs vernimmt. Selbst in den entlegendsten Winkeln des Staates kann man seine Platten kaufen. Und das ist gut so!
Sein Debut "No Kinda Dancer" kam 1984 auf den Markt und er hat mittlerweile zehn Studioplatten und drei Livealben eingespielt, dazu in neuerer Zeit entsprechend dem Käuferverhalten auch DVDs hinterhergeschoben. Seine erste CD hab ich schon seit ihrem Erscheinen im Schrank stehen und seitdem hat mich seine Stimme gefangengenommen - seine Musik sowieso.
Eins ist Robert Earl Keen sicher nicht: Ein Country-Troubadour. Auf dem Fundus von Country aufbauend, perfektioniert er in langer Erfahrung einen Stilmix, in dem man Folk, Bluegrass und ja - auch Rockelemente wie selbstverständlich findet - manchmal winken die Eagles aus dem ebenso sonnigen Südkalifornien. Ich komme gerade aus Versailles zurück, also sage ich mal augenzwinkernd: Er 'lustwandelt' zwischen den Stilen der amerikanischen Tradition.
Diese neue CD startet mit "For Love" - und er ist stimmlich noch besser geworden. Dieser Track ist ein Midtempo-Countryrock-Hammer mit einem E-Gitarrensolo der Güteklasse A. Das folgende "Mr. Wolf & Mamabear" ist ein faszinierend instrumentierter, locker dahinfliessender Song, der Titeltrack "What I Really Mean" steht auf gleicher musikalischer Stufe. Im Mix der Songs erlebt man perfekt eingestreute Akzente, mal ein Banjo, natürlich auch eine dezente Fiddle, selbst ein Saxophon, das für mein Dafürhalten aber nicht so richtig dorthin passt. Insgesamt aber spannend wie gutes Kino.
"The Great Hank" - ein ironischer Song über Hank Williams - in dem er seinen Hang zur skurrilen Aussage freien Lauf lässt (...then there was the time I saw the great Hank Williams singing on stage in Philadelphia,Pennsylvania, he was all dressed up in drag, from his rose-red lips to his roundstone hips he belted out song after song as he drank from a brown paper bag...) und so weiter.
Die Geschichte nimmt irre Wendungen...Hank wird in Form einer durchgeknallten 'Drag-Queen' (zu deutsch: Schwule, die in Frauenkleidern auftreten) wieder lebendig...wer der englischen Sprache mächtig ist, hat alleine hier schon eine Menge Lachspass mit dem Text. Packene akustische Gitarren, ein wie die Faust auf's Auge passender Chor - die musikalische hochwertige Performance muss man nicht weiter ausführen. Das kann man oder man kann es nicht. Robert Earl Keen kann es. Und wie!
Es kommen wie von diesem herausragendem Interpreten gewohnt, noch weitere Sahnestückchen: "Long Chain" - ein Song, der sich nach einem typischen Mandolinenintro mit tollem weiblichem Background-Chor in ein Banjo-dominiertes 'Monster' verwandelt. "Broken End Of Love" überzeugt in überlegener Singer/Songwriter-Rootsrock Manier - wiederum starkes E-Gitarrensolo!
Gleichwohl bin ich aber von Robert Earl Keen's Platten auch gewohnt, dass nicht jeder Song auf der gleichen Stufe steht (Und mal ehrlich: Gibt es überhaupt Interpreten, bei denen das der Fall wäre?) So gibt es auch Material, das für meinen Geschmack etwas durchhängt, allerdings sind diese Songs mitnichten irgendwelche Luschen, sondern sie zünden nur nicht so unmittelbar.
Eine Jahrhundertsongfolge wie sein Medley "Billy Gray - Theme: Road to No Return/Carolina - New Life in Old Mexico" aus seinem Album "Walking Distance" findet man hier nicht - vermisst es auch nicht (wenn man es denn im Schrank stehen hat) und das macht "What I Really Mean" doch eher zum geschlosseren Werk, dessen Sinuskurve der Songqualität insgesamt nur wenig ausschlägt: Alles im grünen Bereich also und ganz sicher kauf- und geniesswürdig!
Die Produktion liegt zweifellos am oberen Ende des Machbaren, ein satter, unverfälschter Klang ist Ehrensache. Nun wird es endlich Zeit, dass man Robert Earl Keen auch mal in Deutschland nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern ihn so begeistert empfängt, wie es seiner Klasse angemessen ist. Wer an dieser Art Musik interessiert ist, sollte nicht zögern!


Spielzeit: 47:24, Medium: CD, Koch Records, 2005
1. For Love 2. Mr. Wolf And Mamabear 3. What I Really Mean 4. The Great Hank 5. The Wild Ones 6. The Long Chain 7. Broken End Of Love 8. The Dark Side Of The World 9. The Traveling Storm 10. A Border Tragedy 11. Ride
Manni Hüther, 17.07.2005