Über Volker Kriegel Lobeshymen anzustimmen, hieße, Eulen nach Athen zu transportieren. Der Gitarrist war Deutschlands Vorzeige-Jazz-Rocker und hatte sich eine überaus hohe internationale Reputation erworben. Der vor zehn Jahren während eines Urlaubs in der baskischen Hafenstadt San Sebastián Verstorbene hat die deutsche Fusion-Szene nachhaltig befruchtet und selbst einem eingeschworenen Rocker wie mir in jungen Jahren den Jazz verdammt nahe gebracht. Klar, dass eine Veröffentlichung von historischem Material, obendrein mit vier weiteren hochkarätigen Zungenschnalzern eingespielt, völliges Verzücken auslöst.
Volker Kriegel & Friends spielten seinerzeit - am 5. November 1981 - zur Eröffnung des viertägigen Jazzfest Berlin im Metropol auf. Der Auftritt wurde vom WDR für den Rockpalast aufgezeichnet.
Das Konzert beginnt mit "Calcador" von der damals brandaktuellen, beim Independent Label Mood Records erschienenen LP "Journal", einer der besten Veröffentlichungen des 'Darmstädter Bub'. Was wie eine ziemlich freie Eröffnung klingt, bei der jedes Instument meditativ zu improvisieren scheint, wird von den 'Friends' komplett vom Blatt gespielt. Einzig Kriegel selbst und sein blutjunger Wegbegleiter Thomas Bettermann bewegen sich im 'Freiflug', wobei der Sechsaiter dabei den Klang einer Sitar verströmt. "Calcador" switcht direkt in "Schwebebahn" ein, dass mit einem Schlagzeugsolo Ralf Huebners eingeleitet wird. Im Verlauf kommt jeder in der Band zur Vorstellung seiner Virtuosität an seinem Instrument. Besonders beachtenswert ist die rhythmische Untermalung der jeweiligen Soloexkursionen: Eberhard Weber zaubert auf seinem sechssaitigen E-Kontrabass irrwitzige Figuren in ebensolchem Tempo, während Huebner beweist, was man alles einem minimalistischen Schlagzeugkit entlocken kann! Übergangslos schwebt diese Bahn nun auf "Chateau Sentimental" ein. Die Band webt einen dichten, atmosphärischen Klangteppich - einziges Manko ist, dass das herrliche Vibraphon-Solo Wolfgang Schlüters zu leise abgemischt ist und somit nicht voll zur Geltung kommt. Im Laufe des Stückes lösen sich die Musiker immer mehr vom musikalischen Gerüst und improvisieren munter nebeneinander her, allerdings stets auf den Nebenmann achtend. Erneut bleibt keine Atempause, denn Weber darf seine überragenden Künste im Rahmen von "Eberhards Solo" präsentieren und damit verdeutlichen, warum er weltweit als einer der besten Bassisten in der Jazzszene gilt.
Weiter geht der "Journal"-Reigen mit dem stillen "Naura". Auch hier wird wieder in erster Linie Atmosphäre geschaffen - das Vibraphon-Solo ist zum Zerfließen schön! Endlich, nach über 48 Minuten, darf das fachkundige Berliner Publikum zum ersten Mal applaudieren - von zahlreichem Szenenapplaus einmal abgesehen. Und endlich wird mit "Storyboard" auch erstmals 'abgejazzrockt'... das wurde aber auch Zeit! Hier hört man deutlich Bettermanns Affinität zu Joe Zawinul, Keyboarder und Mastermind hinter dem 'Wetterbericht'. Egal ob Yamaha CP70, Fender Rhodes oder Mini-Moog - was der zum Aufnahmezeitpunkt erst 25-Jährige (!!) seiner Gerätschaft entlockt, ist Weltklasse! Über allem schwebt natürlich der Spirit Volker Kriegels mit seinem typischen unverwechselbaren Sound, der seinen Mitstreitern erstaunlich viel von der Show überlässt.
Die frenetisch applaudierende Zuhörerschaft bekommt dann noch "Donalds Bluse" als Nachschlag. Eine treibende Fusion-Nummer, die mir bis dato unbekannt war und ein überaus packendes Konzert nach über 70 Minuten standesgemäß beendet.
Die 'Verpackung' von "Live At Jazzfest Berlin '81" in ein Eight-Panel-Digipak kann man nur als äußerst edel bezeichnen. Ein Booklet mit (leider schlecht lesbaren) Liner Notes des Musikjournalisten Karl Lippegaus, der in zahlreichen Hörfunkanstalten beachtenswerte Jazzsendungen moderierte, sowie ein Miniformat des Originalplakates des Jazzfest Berlin von 1981 rundet diese erfreuliche Veröffentlichung ab. Ein tolles Teil, auch wenn zusätzliches Bonusmaterial Fehlanzeige ist.
Line-up:
Volker Kriegel (guitar)
Eberhard Weber (upright e-bass)
Wolfgang Schlüter (vibraphon)
Thomas Bettermann (keyboards)
Ralf Huebner (drums)
Tracklist |
01:Calcador (7:34)
02:Schwebebahn (13:44)
03:Chateau Sentimental (12:53)
04:Eberhards Solo (4:35)
05:Naura (9:34)
06:Storyboard (8:17)
07:Donalds Bluse (7:32)
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