Aynsley Lister / Bremen, Meisenfrei,
13. 05. 2005
Aynsley Lister
Stell dir vor, du bist Musikfan, hast n' paar Musikkumpels und es ist Freitag der 13te.

Na und?
Stell dir vor, du wohnst im Nordwesten der Republik und an einem einzigen Tag spielen Lake, UFO und ein gewisser Aynsley Lister mit Band.

Super!
Finde ich auch, aber alle drei spielen zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten!

Schöner Mist!!
Sagt Kumpel 1: "Was, Lake mit Alex Conti in unserem Winzclub 'Charlys' in Oldenburg? Unglaublich, da muss ich hin. Absolute Pflicht!"

Sagt Kumpel 2: "Leute, wisst ihr schon das Neueste? UFO kommen ins 'Wilhelmshavener Pumpwerk' und die wollen dort sogar eine DVD mitschneiden! Darüber hinaus haben die gerade den Filius vom alten Bonham an Bord und überhaupt - das Gespann Moog/Way ist absolute Pflicht!"
Und was sag ich? "Jungs, i'm sorry, aber ich hab vor 3 Jahren Lister zusammen mit der Steve Schuffert Band im 'Zollhaus' (Leer, Ostfriesland) gesehen, die ein paar Wochen vorher einen mitreißenden Gig im 'Charlys' gespielt hatten und auch überhaupt mit guten Kritiken überhäuft wurden, aber Lister mit seinen Mitstreitern spielten den Schuffert gnadenlos an die Wand, und der war so was von not amused!!
Dabei durfte Lister nur 60 Minuten spielen, obwohl der Gig mit zwei gleichberechtigten Headlinern angekündigt war. Daher ist ein komplettes Konzert mit ihm absolute Pflicht!"

Tja, so was nennt mensch wohl eine klassische Pattsituation.
Alles Kulturelle an diesem Freitagabend ist irgendwie absolute Pflicht!

Also was machen wir drei?

Genau, wir machen keine Kompromisse, sondern begeben uns getrennt zu den verschiedenen Ereignissen, wobei die beiden anderen schon mit dem Kopf schütteln. Denn in einem haben sie recht: Ein Lister mit seinen noch nicht mal 30 Lenzen kommt bestimmt noch öfter in unsere Gegend, aber die alten "Säcke" von UFO oder Lake? Schon weniger wahrscheinlich, zumal es letztere wohl seit Anfang der 80er nicht mehr zu bestaunen gab.
Aynsley ListerSo begebe ich mich an diesem ominösen Freitag den 13ten mit einem irgendwie mulmigen Gefühl nach Bremen, schließlich besteht die akute Gefahr, wirklich große Dinge zu verpassen.
Als dann schließlich drei äußerst bescheiden und zurückhaltend wirkende junge Leute die Bühne des 'Meisenfrei' entern, Lister sich eine Gibson Les Paul umschnallt (später kommt u.a. auch noch eine Strat zur Anwendung), Miss Sarah Jones den Takt vorgibt und auf die Felle drischt, James Townend den Tieftöner dröhnen lässt und Aynsley in die Saiten haut und ich dabei den Turboboogie-Rocker "Everything I Need" ausmache, wird mir schlagartig klar, was ich brauche und warum ich mich genau in diesem Augenblick an diesem Ort befinde: "Rock And Roll, mit verschärftem Blues und Boogie sowie leichten Anleihen beim Modern Rock", yeah, da wackelt der Kopf, stampfen die Füße und jucken die Luftgitarren-Hände!
Plötzlich rasen solche Gedanken wie - "Hier spielt doch die Zukunft des Rock 'n' Roll, während in Wilhelmshaven oder Oldenburg die Vergangenheit ihre Aufwartung macht" - durch meinen Kopf, und während ich immer faszinierter dem Treiben der unglaublich jugendlich ausschauenden Sarah Jones folge, sehe ich unvermeidlicherweise Jason Bonham vor mir, der das Gleiche macht wie ich, um dann sprachlos seine Trommelstöcke beiseite zu legen.
Hat er natürlich nicht gemacht und UFO haben laut meinem Kumpel auch einen sagenhaften Gig gespielt, aber ich denke, die Zukunft spielt tatsächlich woanders. Zumal die des Rock 'n' Roll, denn ich kenne die aktuelle Platte von UFO ("You Are Here") und das flinke Spiel ihres neuen Gitarreros Vinnie Moore, sicherlich keine schlechte Produktion, aber nicht wirklich "the real stuff of fuckin' dirty Rock 'n' Roll".
Na ja, richtig dirty sind Lister und seine Band auch nicht, von etwas weiter weg versprühen sie eher den Charme einer netten College-Band, die sich mal richtig austoben will.
Aber sie haben den Groove, wohlgemerkt, den Rock 'n' Roll Groove des Endsechziger/Anfang Siebziger Brit-(Blues)Rocks, was sie sogleich von ähnlich gelagerten Acts wie beispielsweise Joe Bonamassa aus den USA unterscheidet.
James Townend, der privat ein besonderer Freund der Musik von Combos wie Soundgarden, Pearl Jam oder Nirvana ist, bereitet mit flinken Fingern zusammen mit der noch rockiger ausgerichteten Sarah Jones, die übrigens in ihrer Freizeit bei einer Death-Metal(!) - Band die Stöcke schwingt, den groovig rockenden Soundteppich, über den Aynsley Lister sein von Leuten wie Eric Clapton, Jimi Hendrix oder insbesondere Peter Green (laut Aynsley einer seiner Heroes überhaupt!) geprägtes Saitenspiel legt, indem sich aber auch genau so gut Elemente von Pete Townshend, Jeff Beck, Jimmy Page, Otis Rush, Albert King, Freddie King und den anderen üblichen Verdächtigen wiederfinden lassen, ohne jemals nach einfachem Plagiat zu klingen.
Er kommt in seinem Spiel, ganz im Gegensatz zu seiner Ausstrahlung, vergleichsweise roh rüber, irgendwie unverfälscht und manchmal unperfekt, aber trotzdem zaubert er Licks, Riffs, Hooks, Griffe und Sounds zutage, dass mich ein ums andere Mal die berühmte Gänsepelle befällt und der Blick staunend fasziniert auf sein Spiel fokussiert bleibt.
Aynsley ListerSolange er nicht auf Sarah Jones gerichtet ist, die sicherlich als ein ganz großes Schlagzeugtalent gelten darf, jetzt schon eine signifikant individuelle Körpersprache an ihrem Instrument entwickelt hat und somit völlig eigenständig, also auch ohne Gesicht (was sehr schade wäre, denn selbiges kann sich durchaus sehen lassen!) unter Tausenden zu erkennen wäre. Ich glaube, ein größeres Kompliment kann mensch einer erst 19 jährigen Musikerin, die seit ihrem 13ten Lebensjahr trommelt und aus einem ganz kleinen Kaff an der Grenze zu Wales stammt, nicht machen.
Bassist James Townend gibt währenddessen den coolen Groovemaster, ohne jede Showmätzchen, aber immer in Kommunikation zu seinen MitspielerInnen, besonders um Sarah kümmert er sich häufiger, was nach dem Konzert bei einem gemeinsamen Smalltalk darin gipfelt, dass er ihr gentleman-like einen Drink holt.
Ansonsten wirkt es auf der Bühne einfach so, als wären James und Aynsley seit ihrer Jugend die dicksten Kumpel und würden sich nun endlich einen Jugendtraum erfüllen. Das stimmt aber gar nicht, denn James stieß erst 2002 zur Aynsley Lister Band, Sarah übrigens erst im Februar 2004.
Er weiß übrigens auf Nachfrage auch nicht so ganz genau, was in näherer Zukunft an Plattenaufnahmen geplant ist, was darauf hindeutet, dass hier vielleicht doch keine eingeschworene Gemeinschaft unterwegs ist, sondern der Mastermind Aynsley Lister mit seinen persönlichen musikalischen Vorstellungen, die er im Augenblick mit dieser Konstellation am Besten umsetzen kann.
So sind denn auch alle Songs von der letzten Studioplatte "All Or Nothing" (RUF, 2002) alleine von Aynsley Lister, außer "Crosstown Traffic" (Jimi Hendrix), welcher auch prompt Bestandteil des Sets ist. Ansonsten besteht der Großteil des Sets aus Songs der Live-DVD vom 'WDR Rockpalast' - Auftritt im März 2004, welche logischerweise promotet werden soll.
Dabei ist sich Aynsley Lister durchaus bewusst, sowohl im Interview auf dieser DVD, als auch bei meiner entsprechenden Nachfrage, dass er stilistisch zwischen den (allen?) Stühlen sitzt.
Für den wahren Blueser ist er zu rockig, für den standhaften Rocker zu bluesig und für die Freunde des Trio-Bluesrocks Marke Jimi Hendrix Experience, Taste oder Cream, an welche der heutige Auftritt, und wohl nicht nur der, des Häufigeren gemahnt, ist er womöglich zu allem Überfluss auch noch zu popig.
Dies kann allerdings, wenn überhaupt, nur für den ersten Teil des Sets gelten, denn nach einer knapp halbstündigen Pause legen die drei Youngster erst so richtig los. Und zwar so, dass Aynsley mehrfach gerissene Saiten um die Ohren fliegen, oder sich gar der Stöpsel für den Saft seiner Gitarre löst, was der konzentrierte und in seiner Musik völlig aufgehende Protagonist am Instrument gar nicht bemerkt, sondern von einem hilfreichen Zuschauer wieder eingestöpselt wird, was Aynsley wiederum mit einem entwaffnenden Lächeln quittiert, halb dankend und halb entschuldigend.
Aynsley ListerJa, so herrlich unverkrampft, unperfekt und menschelnd geht's zu, Starallüren haben hier keine Chance, dass relativ zahlreich erschienende Publikum (ca. knapp ¾ Auslastung der Meise), übrigens mehrheitlich eher dem Deep Purple - Anhang zuzurechnen als etwa Juli oder Silbermond, dankt es mit einer famosen Stimmung, die sich im Verlauf des Konzerts auch endgültig auf die Band überträgt, die sichtlich lockerer wird und teilweise wie entfesselt aufspielt.
Volle Breitsaiten von Aynsley, heftigstes, aber zugleich groovig rhythmisches Rumgeboller auf den diversen Fellen und Becken von Sarah Jones und alles zusammen haltende dicke Saiten von James Townend, zusammen mit einem durchaus respektablen Gesang des noch nicht "kaputt" klingenden Bandleaders, hier rockt einfach der Blues und rollt der Boogie, dass schier die Schwarte kracht.
Zukunft des Rock 'n' Roll?
Nun, bekanntlich führt die Zukunft unweigerlich über die Vergangenheit, und in diesem Sinne kann nicht überraschen, dass eine frenetisch bejubelte "Hush" - Version (selbstredend ohne Orgel) diesen tollen Abend nach netto gut 2 Stunden beendet, wo wirklich alle im Auditorium sich als Shouter versuchen und anschließend total heiser und hochzufrieden den Ort der Geschehnisse verlassen.
Ein gar nicht heiserer Aynsley Lister verrät mir noch, dass sein Dad eine unglaubliche Plattensammlung hat, er diese natürlich in seiner Kindheit und Jugend wie einen Schwamm aufgesogen hat und nun daraus sein eigenes Ding basteln möchte, ohne Scheuklappen und spezifizierte Publikumserwartungen.
Nun denn, das ist ihm meiner Meinung nach vortrefflich gelungen und hat wohl nicht nur meine Erwartungen übertroffen, so dass ich vielleicht an diesem Abend rein gar nichts verpasst habe!
Nein, ganz im Gegenteil, ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und Kumpel 1 + 2 haben definitiv was verpasst, ätsch!
Aynsley Lister, Bremen, Meisenfrei, 2005
Olaf "Olli" Oetken, 17.05.2005
Fotos: Peter Kahl (aufgenommen in der Bischofsmühle, Hildesheim)