Das Schicksal wollte es leider so, dass Jon Lords Neuauflage seines "Concerto For Group And Orchestra" zu seinem Vermächtnis wurde. Gemeinsam mit Dirigent Paul Mann arbeitete er mit Hochdruck daran, dieses Werk trotz seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung zu beenden. Es erschien nun posthum - R.I.P., Jon Lord.
Das "Concerto For Group And Orchestra" hat den genialen Komponisten zeitlebens beschäftigt. Wohl auch, weil dieses Stück moderner Klassischer Musik bei seiner Erstaufführung 1969 zu früh für die Welt kam und deshalb weitgehend auf Unverständnis und wenig Wertschätzung stieß. Viele Deep Purple-Fans verstanden es nicht, für Freunde der Klassik war es ein Sakrileg, die Kollegen der schreibenden Zunft verrissen es zumeist. Und sicherlich in weiten Teilen mit Recht... Was vor allem an dem lustlosen Agieren des Royal Philharmonic Orchestras lag, das offen gegen den ambitionierten Dirigenten Malcolm Arnold rebellierte. Aber auch Deep Purple - hier vor allem in persona Richie Blackmore - fiel durch fehlendes Einfühlungsvermögen und Sensibilität auf. Das "Concerto" war unausgegoren und blieb ein Glühwürmchen der damaligen Zeit der Rock- und Pop-Revolution... und das (Achtung Wortspiel) wurmte Jon Lord! Das wollte er so nicht stehen lassen...
Die Neuauflage von 1999 mit Deep Purple gelang ungleich besser. Eine neue Generation von Orchestermusikern - diesmal mit Rock und Pop per Muttermilch groß geworden - war sehr viel motivierter und der Fremdkörper Richie Blackmore war mit Steve Morse durch einen Gitarristen ersetzt worden, dem eine hohe Affinität zur Klassischen (Barock-)Musik nachgesagt wird. Das war ein Volltreffer und die anschließende Worldtour des "Concerto" fand ebenfalls ein enormes Echo. In den folgenden Jahren wurde es mit den verschiedensten Orchestern und großem weltweiten Erfolg neu aufgeführt.
Aber der Perfektionist Jon Lord korrigierte immer weiter an den Partituren. Vor allem der viel kritisierte erste Satz wurde bei der vorliegenden Neueinspielung um über drei Minuten gestrafft. Hier war Jon Lord immer eine fehlende Harmonie zwischen Orchester und Band vorgeworfen worden, aber genau das war seinerzeit Lords Anliegen gewesen: Im ersten Satz die krassen Gegensätze von Klassik und Rock verdeutlichen und in den beiden folgenden zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen. Dieser Antagonismus scheint nun ausgeglichener, was wohl in erster Linie an den neuen Generationen von Musikern liegen mag: Klassische Musik und Rock sind einander in der Zwischenzeit bedeutend näher gekommen!
Das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra beginnt "Moderato" (in mäßigem Tempo) und die Band übernimmt "Allegro" (munter, fröhlich), wobei das Orchester nach gut sechs Minuten sehr schön überleitet. Lord selbst hält sich mit einer fauchenden Hammond eher zurück - die Glanzpunkte setzt der junge bulgarische Ausnahmegitarrist und Absolvent des Berklee College of Music Darin Vasilev, der den selbstverliebten Blackmore in punkto Einfühlungsvermögen weit hinter sich lässt. Überhaupt ist es reichlich genial, die drei Sätze von stilistisch völlig unterschiedlichen Axtschwingern einspielen zu lassen: Darin Vasilev setzt 'metallische', der Blueser Joe Bonamassa cremig-warme und Steve Morse 'klassische' Akzente. Als durchgängig unsensibel muss das Drumming von Brett Morgan bezeichnet werden, der nahezu jeden seiner Parts hemmungslos 'zerprügelt'. Pink Floyd-Bassist Guy Pratt fügt sich dagegen geschmeidig ein.
Das Orchester übernimmt nun das Allegro der Band und Jon Lord setzt ein erstes, wie immer unnachahmliches Solo. Der erste Satz endet furios...
Der zweite Satz "Andante" beginnt genau so, wie diese Tempobeschreibung angelegt ist: gehend, schreitend. Den ersten Gesangspart übernehmen der Hauptakteur des Musicals "Jesus Christ Superstar", Steve Balsamo, und die polnische Kammersängerin Kasia Łaska, die ein hinreißendes, zauberhaft-kitschiges Duett hinlegen! Dagegen fällt der zweite Gesangsteil mit Bruce Dickinson deutlich ab. Der Mann ist ein begnadeter Metal-Shouter, aber bei diesem Werk hätte man sich einen Mann mit einer etwas exaltierteren Stimme gewünscht - vielleicht sogar den exzentrischen Adam Lambert? Sorry Bruce, aber der Schuster soll bekanntlich bei seinem Leisten bleiben.
Das Highlight eines hervorragenden zweiten Satzes ist natürlich der Bluespart, in dem Joe Bonamassa einmal mehr mit seinem intensiven Spiel überzeugt. Der Mann passt haargenau in dieses "Concerto"-Konzept, weil bei ihm eben Genie und Wahnsinn derart dicht beisammen liegen.
Das Glanzstück des "Concertos" war und ist der dritte Satz, der sogar bei der Erstausgabe (halbwegs) überzeugend war. Geradezu majestätisch baut sich "Vivace - Presto" auf: zunächst - um die deutsche 'Übersetzung' der italienischen Tempi zu wählen - 'lebhaft, lebendig', um sich in 'sehr schnell, geschwind' zu steigern. Auch hier hat Lord den 'Rotstift' angesetzt und das Stück um gut zwei Minuten gestrafft.
Es ist immer wieder faszinierend, wie sich ein achtzigköpfiges Orchester in einen organischen Körper verwandeln kann, der sich mit Lords nicht minder pulsierenden Hammond verbindet. Steve Morse ist hier der genau richtige Mann, weil er mit seinen exzellenten Klassik-Kenntnissen und seiner einzigartigen Single-Tone-Technik die genau richtigen Akzente setzen kann. Die sich kontinuierlich aufbauende Spannung wird durch ein gut einminütiges, furchtbar unsensibles Schlagzeugsolo zerbrochen und muss danach erst wieder mühsam vom Orchester neu aufgebaut werden. Die Band steigt ein und wirbelartig treiben sich beide in einen fulminanten Schlussakt, der den Hörer nach Verklingen des letzten Tones erstmal atemlos und still verharren lässt...
Es war Jon Lords Anspruch, sein "Concerto For Group And Orchestra" ein Stück näher in Richtung 'Perfektion' zu bringen. Trotz kleiner Schönheitsfehlerchen wäre es vermessen, analog zu Beethovens 'Zehnter' von Lords 'Unvollendeter' zu sprechen. Diese Neuinterpretation ist aber sicherlich ein Stück näher dran und auch wenn ein RockTimes-Tipp versagt werden muss, ist sie ein weiterer Beleg für die hervorragende Verschmelzung von Klassik und Rock. Demzufolge gehört das "Concerto" in jede ambitionierte Sammlung.
Der Vollversion ist noch eine Audio-DVD mit (noch) besserem Klang beigefügt. Schade, eine 'Making of'-Dokumentation wäre vielleicht interessanter gewesen...
Line-up:
Jon Lord (Hammond organ)
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra - Conductor Paul Mann
Bruce Dickinson (vocals - #2)
Steve Balsamo (vocals - #2)
Kasia Łaska (vocals - #2)
Darin Vasilev (guitar - #1)
Joe Bonamassa (guitar - #2)
Steve Morse (guitar - #3)
Guy Pratt (bass)
Brett Morgan (drums)
Tracklist |
01:Moderato - Allegro (16:20)
02:Andante (19:34)
03:Vivace - Presto (10:48)
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