In diesem Jahr sorgte die Hammond-Legende
Jon Lord gleich zweimal für Schlagzeilen. Freudige am 9. Juni, als er seinen siebzigsten Geburtstag feiern dufte - traurige, als er im Herbst in einem öffentlichen Statement bekannt gab, an Krebs zu leiden. Nicht nur
RockTimes war geschockt - aus der ganzen Welt traf eine Flut von aufmunternden Genesungswünschen bei dem sympathisch-bescheidenen Organisten ein. Wir alle hoffen, dass
Jon Lord bei bester Gesundheit seine Tour mit dem
Blues Project - für die er sich im Herbst von
Brian Auger vertreten lassen musste - im kommenden Jahr nachholen kann.
Mit der hier vorliegenden Dokumentation "With Pictures" kann man sich in gut 220 Minuten dieser herausragenden Persönlichkeit der Rockhistorie vortrefflich nähern. Es muss allerdings voraus geschickt werden, dass es sich um 'hartes Brot' handelt. Wer meint, sich hier nach einem schweren Arbeitstag bei einem Glas Wein und einer Schale Nüssen entspannen zu können, liegt falsch. Hochkonzentration ist bei der zweistündigen Dokumentation im Hauptfilm - einem wahren 'Overkill' an Informationen - angesagt, mit relativ wenigen Musikpassagen in sehr ruhigen Schnitten erzählt.
Jon Lord präsentiert sich als ausgesucht höflicher und bescheidener Interviewpartner und erzählt überaus glaubwürdig in ehrlichen Worten von seinen Eindrücken bei den verschiedenen Aufführungen des "Concerto For Group And Orchestra". Konkret geht es um die Auftritte mit
Deep Purple mit diesem Programm zwischen 1999 und 2002.
Eigentlich wollte man das "Concerto..." mit dem neuen Gitarristen
Steve Morse zum 25. Jahrestag der Uraufführung 1994 inszenieren, aber man stellte fest, dass die Orchesterpartituren verschwunden waren. Es war einzig der genialen Arbeit des niederländischen Komponisten
Marco De Goeij zu verdanken, dass das "Concerto..." am 25. September 1999 in der ehrwürdigen Londoner Royal Albert Hall stattfinden konnte.
Paul Mann, ein großer
Purple-Fan, dirigierte damals das rumänische
Transsylvanian Orchestra. Die letzte Show fand am 19. September 2002 an gleicher Stelle statt, als
Don Airey bereits neuer Keyboarder
Purples war.
Jon Lord berichtet in ruhigen Worten von den ersten Aufführungen 1969, den Arbeiten mit den neuen Partituren und der Phase des persönlichen Umbruchs, der in dem Ausstieg bei
Deep Purple mündete. In der Zeit um seinen sechzigsten Geburtstag spürte er einfach, dass er etwas Neues machen wollte. Ausführlich schildert der 70-Jährige seine Beweggründe. Von seinen Bandkollegen (und Freunden) spricht er dabei mit der allergrößten Hochachtung!
Weiter geht es mit den Aufführungen des "Concerto..." in Australien - hier vor allem in einem der Wahrzeichen Australiens, dem monumentalen Sydney Opera House. Vor allem die Zusammenarbeit mit der Band George aus Brisbane im Frühling 2003 stellt ein Highlight in den Schilderungen dar. Diese drei Jungs und das Mädel hatten anscheinend eine völlig andere, sehr viel entspanntere Herangehensweise an den klassischen Stoff. »Unglaublich, wie gut das funktioniert hat«, so Jon Lord heute.
Die späteren Zusammenarbeiten mit diesem Projekt, u.a. mit dem Royal Philharmonic Orchestra und dem Adelaide Symphony Orchestra werden im Hauptfilm ebenso beleuchtet wie die anderen ambitionierten Orchester- und Pianoarbeiten Jon Lords. Immer wieder erneut spannend und überraschend sind die jeweiligen Entwicklungen von der Idee, über die Proben bis zu der eigentlichen Aufführung.
Auch die Hinwendung des Organisten zum Blues, eine der Hauptwurzeln der Rockmusik, nimmt einen erheblichen Umfang ein. Von den Gigs mit den Hoochie Coochie Men wird berichtet. Die ursprünglich 2003 entstandene Dokumentation wird hier mit Aufnahmen aus diesem Jahr und Lords Äußerungen zu aktuellen Arbeiten ergänzt.
Aufgewertet wird "With Pictures" noch mit mehr als achtzig Minuten Bonusmaterial darunter TV-Auftritte, ein sehr informatives Interview, das 2003 im Sydney Opera House geführt wurde, sowie ein großartiger Unplugged-Auftritt beim Zermatt Festival 2008 mit der Gemini Band. Als Booklet liegt das 28-seitige offizielle Tourbook aus dem Jahr 2011 bei. Besser kann man - wie ich meine - eine DVD/Blu-ray kaum ausstatten. Uneingeschränkte Kaufempfehlung für diese nicht alltägliche Dokumentation über einen der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten!