Landmarq / Origins
Origins Spielzeit: 72:55 (CD 1), 73:37 (CD 2)
Medium: Doppel-CD
Label: Synergy Records 2014
Stil: Neo Prog

Review vom 17.08.2014


Ingolf Schmock
Mit den sogenannten Compilations, wohl oftmals als Zusammenstellung einst verkaufsträchtiger Songideen verstanden, ist das so eine zwiespältige Sache. Die Einen verstehen es als bequeme sowie Hit-Endlösung versprechende Musikbefriedigung, andere dagegen als meist lieblose Wiederverwurstung überkreativer Künstlerphasen oder jüngstes Zeugnis deren wachsender Löchrigkeit.
Dementsprechend müssen sich mittlerweile auch einst Vermarktungs-Distanzierte und mit Doktoranden-Wohlklängen vertraute Rock-Veteranen den verkaufsstrategischen Gesetzmäßigkeiten wohl oder übel unterordnen. Dem Konsumenten ein Fest, wenn eine aus zweieinhalb Dekaden schöpfende Bandhistorie und Material-pralle Werkschau, wie beim vorliegenden Doppeldecker der Briten Landmarq, zu reichlich Prog-Wiederentdeckungen alsgleich musikalischen Sentimentalitäten verführt. Nicht immer zeugte deren Tasten-verschwurbelter und selbstgefälliger Rockbombast von weitreichender Durchsetzungskraft, was sowohl aus heutigem Blickwinkel als auch angesichts magerer Selbstfindungszeiten niemanden verwundert. Schließlich hatten es die Londoner Anfang der Neunziger im musikalischen Fahrwasser Synthie-befeuerter Proghelden wie Marillion oder Pendragon durchaus nicht leicht, ihre soundästhetischen Eigenentwürfe durchzusetzen. Clive Nolans beharrliche Studio-Akribie jedoch, und nicht zuletzt die versteiften Oktaven-Turnübungen eines introvertierten Damian Wilson erregten während der zwei Langrillen via SI Music andauernden Phase zahlreiche Fan-Gemüter - selbst wenn einige ihrer teils mit Klassik-Folkelementen, mal mit schwerelosem Gitarren-Sing-Sang aufgeplusterten Prog-Arrangements, nebst einer thematisch nicht zu verleugnenden Besessenheit vom Reich der Mitte beim ausufernden "Ta Jiang" oder "After I Died Somewhere"'s Balladenschwulst über menschgemachte Welt-Traumata noch etwas ungelenk und gekünstelt wirkten. Wenn auch produktionstechnisch wesentlich gefestigter, so lastete auf Landmarqs Fortbestand samt kreativer Fehlentwürfe ihres Drittwerkes "The Vision Pit" einerseits die Bürde der unerfüllten Erwartungen, andererseits sich gleichsam treu zu bleiben.
Ihr nochmals drei Jahre gereifter und 'very british' selbstreferentieller Reißbrett-Prog sowie der glückliche Umstand, mit Tracy Hitchings sopran-beschenkter Stimmband-Akrobatik plus ihrer in Weltschmerz verpackten Theatralik förderlichen Zuwachs bekommen zu haben, bescherte eine erste wirkliche Massenresonanz. Eine auf die hoffnungsfrohe Hörerschaft losgelassene Eigenproduktion voll Floyd-gemahnter und symphonisch dichter Ergüsse als musikalisches Äquivalent zu ausgeschmückter Kitsch-Lyrik offenbarte das bisher ausgebremste Potential. Für einige Kritiker markierten die in ewig gestrigem Klangpomp manifestierten Tasten und Saiten-konsistenten Virtuositäten dieses unterschätzten Meilensteines, hier ausgiebig repräsentiert durch die sinnsuchende Lebensparabel "Lighthouse", den Beginn musikalisch mengentauglicher sowie unter Progrock-subsumierter Obhut vollführter Ausflüge.
Trotz solide ausgelotetem Fahrwasser verlor das britische Neo-Prog-Flaggschiff allmählich an Geschwindigkeit, geriet nach einigen Live-Überbrückungen, Besetzungs-Wirrungen und Tracys gesundheitlichen Einschnitten sogar ins Stocken. Wie ein neuer Quell aus abgestandenen Tümpeln ergossen sich dennoch überraschend, nahezu dreizehn Jahre später hörenswerte Geistesblitze aus Bandaorta Mike Vartys von Siebziger-Schwurbel-Pomp sowie gefälligem Rock-Zinnober benetzten Arrangier-Griffeln. Hierbei waren Hitchings melodramatische und vom Sanges-Pastiche einstiger Pop-Diven bestärkte Schwermuts-Kathedralen der unentbehrliche Satz Aspirin für
Entertaining Angels akustisch sowie Jazz-verkleidete Prog-Symphonien. Notorische Miesmacher diagnostizieren derart verstaubt anmutende kompositorische Tugenden autistischer Tastenstrecken nebst hingebungsvoller Gitarren-Masturbationen gern als symptomatisch anachronistisch, Kenner After Eight-verfeinerter Prog-Mehlspeisen hingegen als I-Tüpfelchen auf reich gedeckter Genre-Tafel.
Die chronologisch in Tracy- und Damian-Jahre wohlverteilte Werdegang-Überdosis "Origins" dokumentiert nun bravourös den bemerkenswerten Entwicklungsdrang einer zeitweilig fruchtlosen sowie von wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten gebremsten Leidenschaft, verpackt als soundgeliftetes Manifest aufrechter Musiker. Zusätzlich dürften wohl überhaupt keine Zweifel daran bestehen, dass die unverwüstlichen Briten mit Hang zu musikalisch Pompösem und ihr neuproduzierter und reichhaltig melodiebeschwerter Titel-Böller wiederholt Käuferanreiz-sperrende sowie weit geöffnete Bastionen einrennen werden. Obendrein versprechen die heute noch leicht kauzigen und von Damians Hardrock-verkappten Gefühlsduseleien befangenen Lernstücke der ersten beiden Studioergebnisse (mittlerweile beschränkt oder für Unsummen erhältlich) einen tröstenden Balsam für Sammler und Jäger.
Line-up:
Mike Varty [ab 2005] (keyboards)
Daniel Martin [ab 2012] (drums)
Tracy Hitchings [ab 1998] (vocals)
Uwe D'rose [1989-2012] (guitar)
Steve Gee [1989-2012] (bass)
Dave Wagstaffe [1989-2012] (drums)
Steve Leigh [1990-2002] (keyboards)
Damian Wilson [1991-1995] (vocals)
Tracklist
CD 1:
01:Science Of Coincidence
02:Lighthouse
03:Between Sleeping And Dreaming
04:Tailspin(Let Go The Line)
05:After I Died Somewhere
06:Heritage
07:Turbulence(Paradigm Shift)
08:Personal Universe
09:Origins
CD 2:
01:Killing Fields
02:Forever Young
03:Borders
04:Solitary Witness
05:Ta Jiang
06:Embrace
07:Pinewood Avenue
08:Narovlya
09:Bed Of Nails
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