Der Weltuntergang kann auch schön sein!
 Dieser Abend sollte für mich persönlich eine Herausforderung bzw. gleichzeitig ein
Selbstversuch bedeuten, welcher sich freiwillig als Proband in die kalte, düstere
Höhle der Elektronic-Musikkünste begab.
Ich, der ansonsten den synthetischen Klängen nicht so zugetan, aber ebenso tolerant ist, sollte daher letztendlich nach diesem beeindruckenden Konzert um eine erfreuliche sinneserweiternde Erkenntnis reicher sein.

Das, wie eine vergessene Insel mitten im Hochtechnologie-Moloch thronende, Jenaer 'Kassablanca' bot,inklusive seinem David Lynch-filmreifen Umfeld die perfekte stimmige Kulisse für ein musikalisches Event solchen Formats.
Das Innenleben verbindet dennoch recht homogen seinen frostigen Fabrikcharme mit
der gemütlichen Klubatmosphäre.
Nach einer reichlichen Aufwärmungszeit mit mentalblockadenlösenden Getränken,
Unmengen von Nikotin( nebst anderen rauchigen Reisebegleitern) und 'Ohrmuschel-Balsam aus den Rillen runder Plastik' (Pink Goldt) versammelten sich die etwa 200
wohlgeneigten Zuhörer/schauer, nach erklingen der ersten wohlbekannten
elektronischen Soundscapes vor der Bühne.
 Die beiden Ur- Pink Dots, Sänger und Kreativworkaholic Edward Ka-Spel und Programmierer Phil "The Silverman" Knigth, der sich sogleich hinter seine Synthesizertürme verschanzte, eröffneten den intergalaktischen musikalischen Diskurs durch ein neurotisches Klanguniversum, mit den unterkühlten Charme einer ironisch-infantil überzogenen personifizierten 80er New Wave-Version.
 Verschworen in einer jener sagenumwobenen Nacht von Stonehenge, beschlossen die beiden von der damaligen Thatcher-Politik angewiderten Künstler, ihr zu eng werdendes Korsett zu sprengen um Mitte der 80er in die als liberal geltenden Niederlande, konkret in die
Kreativhochburg Amsterdam umzusiedeln. Seitdem entstanden mehr als 50 (!) innovative
Outputs (konkurriert locker mit der Bände-Anzahl namhafter Enzyklopädien) und sind unzählige Liveaktivitäten weltweit absolviert worden.
 Eine heterogene Anhängerschar ist wohl selbstsprechend für die stilistische Bandbreite dieser ungewöhnlichen Musikerkollaboration um ihren charismatischen Frontmann. Seit nunmehr 25 Jahren streben diese danach, mit ihrer Musik zum Denken und Nachdenken anzuregen, den Konsumenten aber keinesfalls Antworten zu geben. Die zwischen elektronischer Avantgarde und Minimalismus gepaarten synthetisch-sphärischen Klangwerke verwurzeln bzw. verneigen sich vor den posttraumatischen Ergüssen eines Syd Barett und experimentierenden Elektronik-Pionieren wie CAN, KRAFTWERK und Devo.

Damit rekrutierten die Holland-Briten eine erdballumspannente Fangemeinde quer durch
alle Sparten und Szenen und sind ihrer experimentierfreudigen Linie, frei von allen
Zivilisationsängsten und Konsumdogmen, immer treu geblieben.
Wenn sich etwas als Kult bezeichnen darf, dann sind es mit Sicherheit, ohne Schmeichelei
The Legendary Pink Dots.
 Vorsänger Ka-Spel, der sich wie ein reanimierter Gary Numan-Klon barfüssig im dunklen, wallenden Gewand, bestenfalls im Endzeit-Messias-Look präsentierte, erging sich in morbiden Visionen von Einsamkeit, sexueller Verquältheit, einer dehumanisierten, von
Technik beherrschten, gefühllosen Welt bzw. beschreibt die Gefahr deren Verselbständigung.
Als Sprachrohr für diese neue desillusionierte Generation dringt er mit seinen Lyriks
Tief ins Unterbewusste bzw. schlägt per se eine Brücke zwischen Melancholie und Angst,
Schönheit und brachialer Gefahr, bietet kurzum den perfekten Soundtrack zu 'Huxleys
Neue Welt'.

Das sehr düster gehaltene Lichtkonzept und das überwiegend in schwarz
erschienene Publikum hingegen, kam der so entstandenen mystischen Atmosphäre sehr
entgegen. Industrial-rhythmisierte Geräuschteppiche, elektronische Beats, pumpender
Wave-Synthiesound, ein schroffes Elektro-Psyche-Pop-Konglomerat, immer umgarnt von
Edwards nasalem Gesang, der in dieser gespenstischen Szenerie recht intensiv gestikukulierte und mit seinen erstarrten Jüngern interagierte.
 Nach einer Sequenzer- und Keyboardlastigen halben Stunde gesellten sich dann auch noch die fehlenden beiden niederländischen Musiker-Kollegen des sowieso etwas abgespeckten Line-Ups dazu, und ergänzten das Klangbild um spärliche, perlende Gitarrenarrangements, die anstelle der sonstigen Violine bzw. Programmierungselemente traten.
Ob nun so manche Gitarreneinlage von Erik Drost zweckmäßig platziert war sei einmal dahingestellt. Blasinstrumentalist Niels van Hoorn hingegen sorgte mit seinem ergiebigen Arsenal verschiedener Saxophone, nebst allerlei selbst gebastelten Instrumenten und deren teilweise verfremdeten Intonierung, durchaus für bereichernde kernige musikalische Elemente.

Der rohen, manchmal rockigen Kakophonie aus übersteuerten, schmerzhaften elektronischen Geräuschen, wurde anderseits intervallmässig auch immer wieder eine synthiebehaftete Ästhetik dagegen gesetzt.
Die Gruppe zelebrierte den zwingend intensiven Sound eines von innen heraus verzehrenden
Klangkörpers, der bisweilen metamorphosisch, harmonieverspielt als geballter Energieschub ausbrach.
Manchmal ist die instrumentale Transparenz nicht mehr gegeben und es bleibt eine
laute, verschwommene Klangwolke übrig. Der visionäre, sphärische Auftritt wurde nur
von kurzen gebrummelten Ka-Spel'schen Anekdoten, die einer gewissen Selbstironie
nicht entbehrten, unterbrochen.
 Während seines manisch-psychedelischen Exkurses schrie der Frontprediger des öffteren alles heraus, gab somit dem emotionalen Stau auf der Bühne explosionsartig freien Lauf.
Auf ihrer konzertanten Zeitreise durch das gesamte Oeuvre der Pink Dots lag der
musikalische Schwerpunkt natürlich bei dem aktuellen Tonträger "The Whispering Wall"
('Roir/Cargo Records'), der wieder mit einem angenehm experimentellen Retrosound aufzuwarten vermag. So vergingen die knapp 90 Minuten inklusive zweimaliger Zugaben, geballter Soundakrobatik wie im freien Fall, und was zurückblieb fühlte sich an, wie eine Lähmung nach einer Gehirnwäsche, und der Sog eines unbekannten schwarzen Loches saugte mich langsam in eine andere Dimension...
Ich wusste bis dahin nicht, dass der Weltuntergang so schön sein kann.
Bis irgendwann. Rock'n Roll will Never Die!
Mein persönlicher Dank für den freundlichen Support geht an 'Gleis1 Kassablanca' in Jena und die Legendary Pink Dots.
Nachtrag: Der frischeste gepresste Output der Legendary Pink Dots ist die
DVD "A Dream Is A Dream Is A Dream" ('Beta-lactam Ring Records'), und
zeigt die Band bei ihren Auftritt vom 21.Januar 1987,'im De Vrije Vloer' in Utrecht.
Die Bildqualität kommt etwas antiquiert daher, ist aber befriedigend. Der Ton
wurde im schlichten PCM-Stereo abgemischt (also nichts für Soundfetischisten)
kann aber mit seinem herrlich altbackenen Gewand dem Prädikat Gut standhalten.
Eine Empfehlung für alle junggebliebenen Synthie-Popper und für Hardcore LPD-Fans
Sowieso!
Bilder vom Konzert
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