Leichenwetter / Letzte Worte
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Ich kuck aus dem Fenster und es ist Mistwetter. Windig, regnerisch, ungemütlich. Leichenwetter eben!
Und als ob das nicht schon genug ist, dreht sich auch eine frisch ins Haus geflatterte CD im Player. Was läuft? Leichenwetter!
Aber im Gegensatz zum Wetter draußen, macht die CD richtigen Spaß. "Letzte Worte" ist nicht windig, sondern stürmt brachial aus den Lautsprechern. Wuchtige Metal-Riffs , düster, die Gitarren tiefer gelegt, keine Marschrhythmen a'la Rammstein. Und auch sonst kann ich die oft gebrachten Vergleiche mit Rammstein überhaupt nicht teilen.
Leichenwetter schreiben keine eigenen Songs, sondern bedienen sich aus dem unerschöpflichen Fundus alter deutscher Lyric von Else Lasker-Schüler, Annette von Droste-Hülshoff, Hermann Hesse, Albrecht Haushofer, Johann Wolfgang von Goethe, Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine und Franz Werfel.
Wer soll ob dieser geballten Ladung an hochrangigen Lyrikern noch eigene Texte schreiben?
Mein Waschzettel stuft Leichenwetter als Poetic Gothic Metal ein. Poetisch auf jeden Fall, Metal unzweifelhaft - Gothic: nun ja, mit einer gehörigen Prise Doom würde ich meinen. Hinzu kommen elektronische Spielereien, bisschen ganz harter Pop - ist schon ein irrsinniger Melting Pot.
Diese Mischung aus Texten, bei denen man merkt, warum man einen Kopf hat und dem treibenden, epischen Metal hat was ungeheuer spannendes. So spannend, dass ich mich hinreißen ließ, diese CD zu reviewen. Normalerweise ist meine Baustelle ja eine total andere, aber es spricht für die Band, dass sie es schafft, mich aus den gewohnten Spuren springen zu lassen und den mit Blumen und Peace-Zeichen beklebten VW-Bus auch mal in "dunkle" Seitenstraßen lenken lässt.
Die Lyrics tun Pisa-Deutschland sicher gut. Abrocken kann man auch, wie mir meine Metal-gewohnte bessere Hälft versichert und ja, auch ich schreibe leicht headbangend.
Konzerte mit Tanzwut und Subway to Sally können die Jungs als Referenz vorweisen. Sicher brauchen sie keine Headliner mehr, denn Leichenwetter haben genug eigenes Potential, um selbst von Supportbands begleitet zu werden. Warum sie allerdings fast alle maskiert auftreten........
Die Band sagt selbst, dass die Masken dafür sorgen sollen, nicht die Musiker im Vordergrund stehen zu sehen, sondern das Augenmerk auf die Texte zu konzentrieren. Na ja, ich für meinen Teil will die Akteure schon sehen, ihre Augen und die Mimik. Außerdem kommt bei diesen Texten und der Interpretierung derselben das Zuhören eh' nicht zu kurz.
Numen schafft es, diese alten Klassiker in ein modernes Gewand zu kleiden. Seine markante und gekonnt eingesetzte Stimme akzentuiert punktgenau und es ist erstaunlich, wie aktuell alte Texte sein können: "Die schlesischen Weber" von Heinrich Heine etwa; diese Worte zum schlesischen Weberaufstand 1844:
"Ein Fluch dem König,
dem König der Reichen,
den unser Elend
nicht konnte entweichen,
der den letzten Groschen
von uns erpresst......."

Vorangestellt wird dem Text ein gegröltes "Deutschland, Deutschland". Das klingt wie der Schlachtruf bei Länderspielen, wenn die Fans meinen, das wäre nötig um den "Gegner" einzuschüchtern - Krieg anstelle von Sport und Spiel. Leichenwetter haben diesen Trackanfang bewusst provozierend arrangiert. Und es klappt - auch mir kommen bei den Lyrics Gedanken an Hartz IV, Arbeitsagentur, Globalisierungswahn, Firmenschließungen, Politik - kurz Verarsche der Menschen in den Sinn. "Letzte Worte" ist genial umgesetzt und intoniert. Die Band wird mit Sicherheit Metalfans begeistern (und wie man liest, nicht nur die), vielleicht macht sie auch dem einen oder anderen Appetit, mal einen Hermann Hesse zu lesen; zum Beispiel.
Apropos "Letzte Worte", als Absacker gibt es "Jenseits von Eden". Hehe, genau, diese Schnulze aus Drafi Deutschers Feder, gekonnt gesülzt von Nino de Angelo. Die Leichenwetter-Version knallt richtig rein und bringt Drafis Komposition erstmals richtig zur Geltung.
Der Player stoppt, die Leichenwetter-CD ist zu Ende und auch draußen sieht es wieder aus wie sonst, wenn es nicht regnet. War ein schöner Ausflug in neue Gefilde, quasi über den Tellerrand geschaut und ja, auch die Suppe aus dem anderen Teller schmeckt.
Ab 31. Januar 2005 ist die CD Im Handel erhältlich, also schon mal was vom Weihnachtsgeld auf die Seite legen.
Wir danken "Brooke-Lynn Promotion" für die Vorab-Bemusterung.
Spielzeit: 60:31, Medium: CD, Metal Axe Records, 2004/2005
1:Nur Dich (Else Lasker-Schüler) 2: Letzte Worte (Annette von Droste-Hülshoff) 3:Verführer (Hermann Hesse) 4:Mutter (Albrecht Haushofer) 5:Grenzen der Menscheit (Johann Wolfgang von Goethe) 6:Mononacht (Joseph von Eichendorff) 7:Die schlesischen Weber (Heinrich Heine) 8:Weltende (Else Lasker-Schüler) 9:Im Nebel (Hermann Hesse) 10:Schnitterlied (Unbekannt), 11:Dort und Hier (Franz Werfel)
Club-Radio-Mix
12: Verführer (Hermann Hesse) 13: Nur Dich (Else Lasker-Schüler) 14:Jenseits von Eden (Drafi Deutscher)
Ulli Heiser, 17.12.2004