Little Feat / American Cutie
American Cutie Spielzeit: 73:58
Medium: CD
Label: Leftfield Media, 2011 (1973)
Stil: Rock


Review vom 25.04.2012


Steve Braun
Mist, so dachte ich, als unter dem Titel "American Cutie" das legendäre Little Feat-Bootleg von dem 1973er Konzert im Ebbets Field in Denver/Colorado veröffentlicht wurde. Mist, schon wieder ist der Wert einer meiner Raritäten dramatisch eingedampft worden. Aber, großes Aufatmen nach dem Studium der "American Cutie"-Tracklist: Das großartige "Got No Shadow" (Part 2), die Nummer der frühen Tage, "Hamburger Midnight", und vor allem "On Your Way Down" (eine ein Jahr zuvor erschienene Nummer von Allen Toussaint, die Lowell George wie auf den Leib geschustert schien) fehlen. Uff, noch mal Schwein gehabt!!
Während der 1973er Tour mit dem grandiosen "Dixie Chicken"-Album im Gepäck schlugen Little Feat am 19. Juli im legendären Ebbets Field-Club in Denver ihre Zelte auf. In dem winzigen Club, der nur 238 Tickets verkaufen konnte, machten zu der Zeit solche (angehenden) Größen wie Kiss, die Wings oder Emerson, Lake & Palmer Station. Nicht nur, weil die Atmosphäre überwältigend war, sondern vor allem, weil die lokale Radiostation KCUV FM102.3 diese Konzerte live ausstrahlte - so wie auch an jenem 19. Juli 1973.
Little Feat spielten an diesem Abend zwei Sets. Die ersten elf Takes von "American Cutie" sind dem letzten Set entliehen, die drei anderen waren der Schlusspunkt des ersten Sets. Die Tonqualität entspricht dem eines 'guten' Bootlegs. Was dieses Album zu einem echten Schätzchen [engl. Cutie] macht, ist einzig der Tatsache geschuldet, dass es ungefilterte Aufnahmen sind. Ansagen, Interaktion mit dem Publikum bzw. innerhalb der Band, das Stimmen der Gitarren zwischen den Songs, Soundeinstellungen am Keyboard - alles ist in Echtzeit zu hören. Somit versteige ich mich zu einer gewagten Aussage: Ich ziehe "American Cutie" bzw. das rare 'Original', "Late Night Truck Stop" [im Folgenden "LNTS"], dem besten Live-Album aller Zeiten, Waiting For Columbus, jederzeit vor. Natürlich erreichen diese Aufnahmen nicht dessen Brillanz, aber bei "American Cutie/LNTS" habe ich das Gefühl, einem Idol meiner Jugendtage - Lowell George - in der Hosentasche seiner (weißen) Latzhose zu sitzen.
Die ersten sieben Takes von "American Cutie" sind mit "LNTS" identisch. Der Einstieg mit dem "Apolitical Blues" ist durchaus gewagt, denn die Nummer gehört eher zu den sperrigeren 'Gewächsen' aus dem Hause Little Feat. Lowell widmet den Slow Blues einem Idol seiner Jugendtage, einem gewissen Chester Burnett sowie dem Boss einer Plattenfirma namens Moa, mit denen er einmal in Verhandlungen stand. Alleine die zweiminütige Ansage versprüht die Bühnenpräsenz und den anarchistischen Wortwitz des Slide-Magiers und verdient somit einen dicken History-Tipp!! Mit dem Groove-Monster "Two Trains" charakterisiert sich (zumindest in meinen Ohren) Lowell - einer der vielen Großen, die an sich scheiterten - selbst:
»Illusion it is just the same conclusion
I don't know how to play the game
Of what it is or how it's going to be
When one train is my friend and the other train is me.«
Die beiden Züge stießen am 29. Juni 1979 zusammen. Lowell starb an der von ihm so geliebten Mischung von Kokain und Whiskey. Ach Lowell, wenn Du wüsstest, in welche Depressionen Du mich an diesem Tag gestoßen hast...
Bei "Got No Shadow" (Part 1) wird der cremige Groove auf die Spitze getrieben. Der Song war einer der Glanzpunkte des von Kritikerkollegen seinerzeit hoch gelobten "Sailin' Shoes", das aber - sind wir schonungslos - völlig unverdient floppte. Die Nummer geht übergangslos in "The Fan" über, das erst ein Jahr später auf "Feats Don't Fail Me Now" erscheinen sollte. Von daher ist diese frühe Version ein wahres Schätzchen bzw. richtiger: 'Cutie'!
"Texas Rose Cafe", eine weitere Nummer aus Feats zweitem Album, wird durch eine leicht 'surreale' Ansage von Bill Payne und Lowell George eingeleitet... und mit diesem Attribut kann man diesen flippigen Song durchaus ebenfalls belegen. Fraglos der All-Time-Fave so manchen Feat-Heads. Wenn Payne mit der Orgel und George mit der Slide losjammen, kann man die 'alternativen Genussmittel' förmlich durch seine Gehirnwindungen brizzeln fühlen... ;-)
Late Night Truck Stop Ein »Oldie but Goodie« wird nun angekündigt: "Snakes On Everything" vom von so Manchem unverstandenen Debütalbum. Die durchaus kompakte Studioversion mauserte sich im Lauf der Jahre zu einem Climax jeder Feat-Show; hier präsentiert sich ein ganz besonderer Höhepunkt des Abends im Ebbets Field. Für das folgende Stück packt Lowell wieder eine seiner launigen Ansagen aus: Weil ein Freund von ihm sechzehn Katzen zuhause hatte, zog er es vor, in dessen 'Wolkswäggen' [Verf.: gemeint ist der legendäre Bulli] zu nächtigen [Verf.: und zieht damit den Unmut der halben RockTimes-Redaktion auf sich! ;-)]. Der intensive Blues gehört stimmlich wie musikalisch ganz seinem Schöpfer, Bill Payne. Bei "Walkin' All Night" steht dann erstmals einer der 'Neuen', Gitarrist Paul Barrere am Mikro - Lowell George malträtiert derweil seine Slide auf einzigartige Art und Weise.
Eine lasziv-schwüle Stimmung breitet sich in den als 'Doppelpack' servierten "Sailin' Shoes", der Kokser-Hymne schlechthin, und "Dixie Chicken" aus. Verantwortlich hierfür zeichnet vor allem Bill Paynes 'verruchtes' Piano im New-Orleans-Style. Das Titelstück des damals aktuellen Albums entwickelt sich zu einem irren Jam, der dann in den obligatorischen "Tripe Face Boogie" 'rüberswitcht', der Mega-Jam-Orgie überhaupt! Hier zeigt es sich, was für ein großartiges Händchen Payne, Hayward und George bei der Neuordnung der Band ein knappes Jahr zuvor hatten. Nach dem Ausstieg Roy Estradas suchte man nicht einfach einen neuen Bassisten, um dann im klassischen Guitar/Keys/Bass/Drums-Schema weiterzumachen. Die Rhythmus-Section wurde neben Neuzugang Kenny Gradney durch Sam Clayton an den Percussions enorm erweitert und... beide waren Farbige... ihr wisst schon: mit enormen Groove im Blut. Paul Barrere wurde als weiterer Gitarrist geholt und mit einem großen Befreiungsschlag hatte Little Feat ein sehr viel größeres Spektrum, das sie gerade in solchen Jams gnadenlos ausnutzten. Und noch eine Kleinigkeit: Sie hatten nun sechs Leute, die singen konnten, was man sich ebenfalls zu Nutze machte.
»And if you give me weed, whites, and wine
And then you show me a sign
I'll be willin' to be movin'...«
... wir biegen mit "Willin'" auf die Zielgerade von "American Cutie" ein. Mit einem Klassiker, der noch immer für Gänsehautmomente sorgt, der mir ans Herz gewachsen ist, bei dem ich immer am liebsten in die Boxen kriechen möchte. Den ich mir für meine Beerdigung wünsche, weil mich kaum eine Nummer jemals derart tief berührt hat...
»Bouuuuggääääiiiihh!!« fordert ein unsensibler Zuschauer im Ebbets Field, wird dafür von Payne und George postwendend auf den Arm genommen und bekommt... ein weiteres feat'sches Sahneteilchen: "Cold Cold Cold". Leider findet dieses in Denver mitten in wildesten Improvisationen ein abruptes, eher unrühmliches Ende. Das klingt so, als hätte man den Jungs auf der Bühne den Saft abgedreht - man kann die verdutzten Blicke untereinander förmlich erahnen: 'Was war das denn??' Naja, man befand sich halt im ersten Set - später wäre es sicher [Achtung, Wortspiel] etwas 'flüssiger' gebracht worden.
Entschädigt wird man mit einem Klassiker: "Fat Man In The Bathtub", mit dem 'King of the Cowbells' an den Kuhglocken. »Hey-hey-hey, arriba-riba-riba« ein weiteres Groove-Monster erwartet den Hörer. Dieser Song - gerade erst auf "Dixie Chicken" veröffentlicht - darf bis heute in keinem Live-Set der Band fehlen und stellt einen würdigen Abschluss für diese CD dar.
Wer bis hierhin gelesen haben sollte, hat sich als wahrer Little Feat-Freak geoutet und wird im Sommer mit der Rezension des neuen Albums, wahrscheinlich "Rooster Rag" betitelt, belohnt!!
"American Cutie" ist ganz sicher nichts für 'High-End-Sound-Fetischisten', wobei ich diese Spezies nie so richtig verstanden habe. Wir haben früher mit einem 'quäksigen', tragbaren Kassettenrecorder Musik gehört - dem Spaß hat es keinen Abbruch getan. "American Cutie" ist vielmehr für Leute, die mit der Seele Musik hören - die tief in ein Wiederhören mit Lowell George und Richie Hayward eintauchen wollen - die der Magie der Originalformation nachspüren wollen...
Liebe Leute, ich kann die Stunden nicht mehr zählen, in denen ich mich für dieses Review mit "American Cutie" und "LNTS" beschäftigt habe. Trotzdem komme ich nur auf das Fazit, das ich bereits vor fünf Jahren im Rahmen einer Rezension für Amazon (allerdings für die "LNTS") schrieb: "American Cutie" »...ist ein echter Rohdiamant: rau, ungeschliffen, kreativ und in höchstem Maße virtuos. Die Tatsache, dass es sich um ein einziges (ungeschnittenes?) Konzert handelt, macht diese Scheibe einzigartig und vielleicht sogar authentischer als das legendäre "Waiting For Columbus". [...] Zudem glänzt Lowell George mit seiner einzigartigen Bühnenpräsenz - dieser anarchistische Wortwitz ist zum Brüllen! Was hatte dieser Mann für ein Potenzial, allerdings auch ein ebenso großes zur gepflegten Selbstzerstörung, leider! Soundtechnisch ist dieses Album in Ordnung - besser ging es damals halt nicht und ich bin froh, daß da nicht großspurig auf Kosten der Authentizität remastert wurde.«
Line-up:
Lowell George (vocals, guitar, slide guitar)
Paul Barrere (vocals, guitar)
Bill Payne (vocals, keyboards, vocals)
Kenny Gradney (bass)
Richie Hayward (drums, vocals)
Sam Clayton (percussion, vocals)
Tracklist
Ebbets Field, Denver, Colorado, 19th July 1973
01:Apolitical Blues (5:11)
02:Two Trains (3:33)
03:Got No Shadow (6:13)
04:The Fan (6:03)
05:Texas Rose Cafe (4:36)
06:Snakes On Everything (6:30)
07:Cat Fever (7:10)
08:Walkin' All Night (4:15)
09:Sailin' Shoes (4:36)
10:Dixie Chicken (5:59)
11:Tripe Face Boogie (5:41)
(Late Set)

12: Willin' (4:15)
13:Cold Cold Cold (4:39)
14:Fat Man In The Bathtub (4:54)
(Early Set)
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