Totgesagte leben bekanntlich länger... Tut mir leid, diese Binsenweisheit musste jetzt sein und ich zahle auch bereitwillig 5 €uro in die redaktionelle Dummschwätzer-Kasse. Aber wie oft war die Zukunft Lizards mehr als fraglich und die Schwaben kehrten jedes Mal (triumphal) zurück. Am härtesten beutelte es die Jungs, als der Sänger und das 'Herz' der 'Eidechse' (engl. Lizard), Georg Bayer, im Februar 2009 aus heiterem Himmel von einem Herzinfarkt dahingerafft wurde. Ohne ihn war Lizard für uns Fans nur schwer vorstellbar und auch Volker, Christoph & Co. dürften nach dem ersten Schock ebenfalls reichlich ratlos gewesen sein. Doch, es musste weitergehen - 'Schorsch' hätte es schließlich so gewollt!! Außerdem wäre es doch mehr als schade gewesen, wenn eine der besten europäischen Southern Rockbands die Segel gestrichen hätte, oder?
Im Oktober 2009 folgten einige Schorsch Bayer-Tributeshows, mit dem großen Bruce Brookshire als Sänger. Der wäre natürlich als enger Freund der Band die Idealbesetzung gewesen, hat aber mit Doc Holliday selbst eine der klassischen Southern Rockbands am Start, auch wenn - unter uns gesagt - Lizard deren Bandmitglieder locker an die Wand zu spielen vermag. Zudem ist Bruce seit Jahren 'im Auftrag des Herrn' unterwegs - sprich: betreut die Grace Fellowship Church in Warner Robins, Georgia. Seitdem musste er seine musikalischen Aktivitäten zum größten Teil auf Gottesdienste beschränken.
Keine Frage: Lizard haben die Sängerfrage in überzeugender Weise gelöst. Ruben Killian, der neue Mann am Mikro, passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Sein Habitus entspricht genau dem, was man von einem Southern-Rocker erwartet: lässiges Auftreten, Bart und Hut. Seine Stimme ist etwas heller und klarer als Georgs Organ und das ist auch gut so. Man hat gar nicht erst versucht, diesen zu kopieren - das wäre wohl auch 'in die Hose gegangen'. Ruben geht auf sympathisch bescheidene Art seinen eigenen Weg und wird neue Akzente setzen - das passt schon. Lizard is back... und wie!
Der winzige Jazzkeller in Esslingen war natürlich bis zum letzten Platz gefüllt. Das uralte Gemäuer, mitten in der pittoresken Altstadt gelegen, hat einen ureigenen Charme, was sicherlich auch an den vielen Jazz- und Bluesgrößen liegen mag, die hier in den vergangenen fünfzig Jahren ihren Spirit hinterlassen haben.
Ein kleines Blechschild aus der Nazizeit fällt dem aufmerksamen Beobachter sofort ins Auge: »Swing tanzen verboten!« Dieser dunkle Teil der Jazzgeschichte darf niemals vergessen werden. Die Swing-Jugend war eine oppositionelle Jugendkultur im 'Tausendjährigen Reich'. Diese Jugendlichen, zumeist aus dem gehobenen Bürgertum, wollten sich mit amerikanischer Lebensweise und Musik von der dumpfen nationalsozialistischen Gesellschaft abgrenzen. Dafür wurden sie als 'Swing-Heinis' diffamiert und als 'asoziale Elemente' in Umerziehungslager und KZs gesteckt. Aus den Reihen der Swing-Jugend erwuchsen bewundernswerte Widerstandsaktionen, an die heute leider kaum etwas erinnert.
Und um jetzt die Kurve zum Southern Rock gerade noch so halbwegs elegant hinzubekommen sei erinnert, dass Musik (abseits der Marschmusik) schon immer der freien Geisteshaltung zuträglich war und seit jeher Rebellionspotenzial freisetzen konnte. Diese 'Rebel Pride'-Attitüde - "Lonely Are The Brave" - ist liebenswerter Bestandteil von Lizards Musik, wie gleich der geradeaus rockende Opener "Don't You Know" zeigte.
Vom ersten Ton an war die Band auf den Punkt präsent. Die Double-Leads von Volker Dörfler und Christoph Berner perlten, das es eine helle Freude war. Ruben Killian fügte sich perfekt ein, als ob er schon immer an diesem Platz am Mikro gestanden hätte. Gleich darauf wurde mit "Tell Me" ein geiles Riff und eine dreckige Slide sowie ein hüpfendes Honkytonk-Pianosolo des wieder einmal großartigen Klaus Brosowski nachgeschoben und - um den "Lonely Are The Brave"-Block zu komplettieren - Lizards 'Lebensphilosophie', den Southern-Boogie "Travelling Band". Sorry, liebe Southern Rockfreunde, wenn man sich die letzten etwas müde wirkenden Auftritte Molly Hatchets in Erinnerung ruft, fiel die Spielfreude Lizards umso stärker in Auge wie Ohr.
Gute Nachrichten: Man hat neue Songs »für zwei CDs« (O-Ton Volker Dörfler) im Gepäck und noch in diesem Jahr darf mit Studioaufnahmen gerechnet werden. Mit "Looser" gab es die ersten, absolut überzeugenden Hörproben aus dem Fundus der neuen Songs.
Erste Gänsehautmomente stellten sich mit "Coming Home" ein. Southern Rock-typisch als Ballade beginnend, um in einer wüsten 'Gitarrenschlacht' zu enden. Lynyrd Skynyrd hätten es nicht besser hinbekommen können. Yeee-haaa, Country-Feeling lud bei "Down The Line" zum fröhlichen Stetsonschwingen ein, bevor mit "Running With The Horses" einer der schönsten Lizard-Songs intoniert wurde. Auch hier muss man wieder konstatieren: Der neue Sänger passt einfach hervorragend ins Bild!
In Esslingen war der erste von drei Abenden mit Bruce Brooshire - ein immer wieder gern gesehener Gast Lizards. Zu "Josephine" enterte dieser begnadete Entertainer die winzige Bühne des Jazzkellers und ab "Redneck Rock'n'Roll Band" stand ein gigantisches Three-Guitar-Line-up wie eine zusätzliche Wand in der proppenvollen Lokalität. Die herrlich entspannte MTB-Nummer "Fire On The Mountain" ließ das Southern-Feeling der Siebziger Jahre wieder aufflammen. Es folgte der Überhammer des Abends, der Doc Holliday-Klassiker "Last Ride" und Bruce Brookshire begann als Dirigent zu fungieren. Spontan 'warf' er den 'Eidechsen' die Soli zu und auch die wie immer unglaublich 'tight' spielende Rhythmussektion, Ralf Mende und Helmut Kipp, erhielt ihren 'Auslauf'. Obwohl man danach kaum mit einer Steigerung rechnen konnte, legte man mit dem überraschend dargebotenen Black Magic Woman noch einen nach. Gefühlte zwanzig Minuten dauerte diese 'Orgie' an, wobei sich Chris und Bruce (die dieser Tage auch einige Solo-Termine zu zweit im Ländle haben) in brasilianischer Manier die gitarristischen Doppelpässe zuspielten.
Zur Beatles-Nummer "I Call Your Name" kam Ruben Killian trotz Bruce' Aufforderung nicht auf die Bühne. Was zuerst nach bescheidenem Understatement aussah, enthüllte Ruben später augenzwinkernd: »Ich bin bei dieser Nummer nicht wirklich textsicher...«
Und, einer geht immer noch, "Lonesome Guitar" führte die Stimmung im Jazzkeller endgültig auf den Siedepunkt. Der Song ist
zwar Doc Hollidays bekannteste Komposition, zählt aber bereits zu den Lizard-Klassikern. Ein Abend ohne die
'einsame Gitarre' zum Abschluss ist wie ein Skynyrd-Auftritt ohne das obligatorische "Free Bird". Natürlich gestaltete sich diese Nummer zu einer bewegenden Hommage an Georg Bayer
Als Zugaben brachte man noch Skynyrds "Swamp Music" und den ollen Gassenhauer "Route 66" zu Gehör und nach gut zwei Stunden blieben wirklich keine Wünsche mehr offen. Lizard mischte sich unters wartende Fanvolk, während Bruce noch eine frische Akustik-EP verkaufte.
Totgesagte leben bekanntlich länger... nein, ich riskiere jetzt nicht den zweiten Fünfer. Lizard ist mit tollem neuen Sänger und Georg Bayer als 'gutem Geist' zurück, der verschmitzt aus dem Backstage-Bereich zuschauen mag. Freuen wir uns alle auf die neue CD, denn »Lebbe geht weida...«
RockTimes dankt Volker Dörfler für die problemlose Akkreditierung!
Line-up:
Ruben Killian (vocals)
Volker Dörfler (guitar, vocals)
Christoph Berner (guitar)
Ralf Mende (bass, vocals)
Klaus Brosowski (keyboards)
Helmut Kipp (drums)
Gast:
Bruce Brookshire (vocals, guitar)
Setlist:
01:Don't You Know
02:Tell Me
03:Travelling Band
04:Looser
05:Coming Home
06:Down The Line
07:Running With The Horses
08:Josephine
09:Redneck Rock'n'Roll Band
10:Fire On The Mountain
11:Last Ride
12:Doin' (It Again)
13:I Call Your Name
14:Black Magic Woman
15:Lonesome Guitar
Encores:
15:Keep On Running (Swamp Music)
16:Route 66
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