Während einer Tour im Jahr 1975 hatte sich Gitarrist Ed King, als Nachbeben einer der fast täglichen innerbetrieblichen Faustkämpfe, bereits als zweites Mitglied der Besetzung des Debütalbums von der Band verabschiedet. Den Rest der Tour bestritten die Floridaner dann zu sechst, wobei sich Gary Rossington und Allen Collins die Gitarrenparts von King aufteilten. Aber hierzu später noch mehr.

Ob Zeitprobleme, einen neuen Gitarristen zu finden im permanent vollen Terminkalender der Südstaatler, ausschlaggebend waren, oder ob man mit der dezimierten Situation im Moment glücklich war? Wer weiß? Das Ergebnis war jedenfalls eine absolutes Unikum in der Geschichte der Band. Das bald darauf eingespielte Album "Gimme Back My Bullets" ist das (bisher) einzige Album in der Geschichte der Southern-Rocker, das mit 'nur' zwei, statt drei Gitarristen aufgenommen wurde.

Und um gleich Nägel mit Köpfen zu machen, hatte man auch den bisherigen Stammproduzenten (und Entdecker) Al Kooper 'in die Wüste geschickt' und stattdessen den legendären Tom Dowd (u.a. The Allman Brothers Band, Derek & The Dominos) für dieses Projekt verpflichten können.
Nach zwei superstarken Alben ("Pronounced..." und "Second Helping") und dem etwas blasseren, von Ronnie Van Zant nicht umsonst "Nuthin' Fancy" getauften dritten Werk, konnte man also von einem Neuanfang an mehreren Fronten sprechen.

Wie auf den Vorgängern sind auch auf "GBMB" die Kompositionen auf die Gitarristen und Ronnie Van Zant (Texte) aufgeteilt, wobei Allen Collins dieses mal etwas die Oberhand hat. Klar, dass Lynyrd Skynyrd auch bei diesem Album ihrem Erfolgsrezept treu blieben. Es gibt sowohl kräftige Rocker wie den Titelsong, "Double Trouble" (den Text verfasste Van Zant, nach einer weiteren wilden Nacht, im Knast) oder dem bereits zweiten J.J.Cale-Coversong "I Got The Same Old Blues Again", als auch langsamerem, bedächtigerem und nachdenklicherem Material wie "Roll Gypsy Roll" oder "All I Can Do Is Write About".

Die 'fehlende' dritte Gitarre lässt den (Gitarren-) Sound zwar nicht mehr ganz so voll erscheinen, nimmt ihm aber nichts von seiner Stärke und Überlegenheit. Und die Songs an sich sind wie gewohnt Qualitätsarbeit erster Güte ohne Filler oder gar Ausfälle.
Letzten Endes befindet sich auf dieser CD aber keiner der zeitlosen Klassiker, die Skynyrd davor ("Tuesday's Gone", "Gimme Three Steps", "Simple Man", "Freebird" oder "Sweet Home Alabama") und danach ("What's Your Name", "That Smell" oder "You Got That Right", um nur einige wenige zu nennen) in die Welt geschickt haben, aber dennoch handelt es sich um starken, kraftvollen, ehrlichen und nie langweiligen Southern-Rock, der in einer Übergangsphase entstand, bevor man dann mit den Alben "One More For From The Road" und "Street Survivors" und der Addition eines dritten Gitarristen in Person von Steve Gaines wieder ungeahnte Höhen erreichte, bis die hinreichend bekannte Flugzeug-Tragödie im Oktober 1977 eine große Lücke in der Musiklandschaft hinterließ.

Als Bonustracks sind zunächst zwei Live-Songs vom 04.11.75 in Cardiff, "Double Trouble" (bereits auf dem LS-Boxset aus dem Jahr 1991 veröffentlicht) und "Same Old Blues" (bisher unveröffentlicht) enthalten.
Es folgen zwei alternative Studio-Takes der Songs "All I Can Do Is Write About" und "Double Trouble", bis die Deluxe Edition dann mit weiteren zwei Live-Songs ("Gimme Back My Bullets" und "Cry For The Bad Man" von einem Konzert am 07.03.76) aus Billy Powells Privatarchiv abgeschlossen wird.

Klangtechnisch ist diese Deluxe-Edition meiner bisherigen CD-Version, die ich vor ca. 10 Jahren mal billig auf einem Wühltisch gefunden habe, um Welten überlegen. Im Vorfeld zu dieser Review hatte ich mein altes Exemplar noch mal hervorgekramt und dann auch ganz schnell herausgefunden, warum ich "GBMB" bisher immer am stiefmütterlichsten behandelt habe.

Wo der Sound bisher dumpf und wie durch einen Filter durch die Boxen gepresst kam, bei einem Song sogar etwas leierte und die Texte teilweise unverständlich waren, so ist diese neue Ausgabe ein wahrer Ohrenschmaus.
Ja, fast ein komplett neues Album für mich. Meine stiefmütterliche Behandlung habe ich seither zu den Akten gelegt und die Scheibe rotiert ununterbrochen in meinem Player.

Die dieser Auflage beigefügte DVD ist ein 42-minütiger Mitschnitt eines Auftritts in England bei der damals schwer angesagten TV-Show 'The Old Grey Whistle Test', aufgenommen am 11. November 1975 vor gerade mal 100 enthusiastischen Skynyrd-Fans. Und was für klasse Musiker und einzigartige Band diese Leute waren, zeigt sich allein dadurch, dass jeder einzelne Song innerhalb kürzester Zeit problemlos auch in dem anfangs erwähnten dezimierten Zustand gemeistert wurde. Egal, ob "I Ain't The One", "Call Me The Breeze" oder "Sweet Home Alabama", die Band zeigte sich von ihrer besten Seite.

Und obwohl sich fast jedermann/-frau an "Freebird" mittlerweile 'überhört' hat, kann man sich der Magie dieses Songs beim Betrachten der DVD, nicht nur wegen des sensationellen Solos von Allen Collins, einfach nicht entziehen. Keine Chance! Ein absoluter Genuss, mal ganz abgesehen von den historisch wertvollen visuellen Aufnahmen. Schreit nach mehr, Freunde, schreit nach mehr!!!

Abgerundet wird das Ganze durch ein 4-fach aufklappbares Digi-Pack mit einem 24-Seiten Booklet, das viele weitere Infos zur Entstehung des Albums und zu der TV-Show preis gibt. Edel, Edel!!!

Selbst wenn man "Gimme Back My Bullets" bereits im Platten- oder/und CD-Schrank stehen hat, so lohnt sich der Kauf dieser Ausgabe aufgrund des deutlich verbesserten Sounds und der prachtvollen DVD auf jeden Fall. Nicht nur für eingefleischte Fans eine absolute Empfehlung!