Nico Lohmann Quintett / Miraculum
Miraculum Spielzeit: 63:36
Medium: CD
Label: Unit Records, 2013
Stil: Jazz

Review vom 19.04.2013


Wolfgang Giese
'Miraculum': Das Wunder, um es einmal aus dem Lateinischen zu übersetzen - eine Jazzplatte fünf Berliner Jazzmusiker. Jazz - für viele sicher ein 'blaues Wunder', das sie erleben. Blau = Blue = Blues, insofern vielleicht gar nicht so schlimm - Blues als Bestandteil von Jazz. Man sollte sich einfach einmal öfter öffnen, um sich unbekannten Dingen und Klängen zu nähern. Puristen schließe ich da einmal mit ein, denn die werden hier sicher nicht bedient, wenn es gleich zu Beginn dieser Platte so gar nicht swingen will, sondern eher rockt und ganz leicht groovend funkt. Allenfalls kann man hier einen kleinen Brückenschlag hin zum Groove der Musik eines Horace Silver vollziehen. Zu einem Musiker, der Mitgestalter dessen war, was sicher der Vorläufer von Funk und Fusion war. Aber ist es nun ein Wunder geworden, was der Titel dieses Debütalbums verspricht? Nun, für jeden Musiker wird es oft wie ein Wunder anmuten, wenn sich die ganze Mühe in einem kleinen runden Silberling widerspiegelt und so würde es mir leid tun, dieses Wunder mit einer schlechten Kritik anzuzweifeln.
Aber angesichts der straffen und geordneten Musik, die in vielseitigen Kompositionen und Arrangements zu gefallen weiß, muss ich das auch gar nicht - es herrscht Abwechslungsreichtum, Ideen scheinen spontan umgesetzt zu werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das sehr komplexe und unterhaltsame "Under Stormy Clouds". Die Fünf bieten hier ständige Wechsel, ohne dass Unterbrechungen im Fluss der Musik auftauchen würden - ganz fließend und scheinbar mühelos gelingt das. Diesen Titel habe ich schnell in mein Herz geschlossen und diese Art zu musizieren, gefällt mir auf jeden Fall besser als jene im Eingangssong. Spielfreude ist sicher ein Wort, das hinsichtlich der Leidenschaft passt, die aus einigen Stücken ganz besonders quillt. Nun können sogar Puristen in gewisser Weise zufrieden sein, denn zu viel aus einem bestimmten Jazzschema wird nicht ausgebrochen. Ausgebrochen - genau, das ist noch etwas, das ich aufgreifen wollte.
Denn einen Gegenpol hätte ich gern gehabt, zum Beispiel einen zur wunder(!)schönen Ballade "Danke". Aber das ist natürlich dahingehend eine subjektive Meinung, dass ich beim Jazz viel Reibung brauche; d. h., speziell von Saxofonisten erwarte ich insgeheim immer etwas von meinem 'Liebling'John Coltrane oder von Pharoah Sanders und ähnlichen freien Geistern. Da darf die 'Kanne' dann auch mal so richtig 'rotzen' und die Musik in andere Sphären abheben. Das fehlt (mir) bei dieser Produktion, die insofern sehr sauber und korrekt klingt. Und so frohlockt die Flöte stattdessen locker und leicht bei "You Happy Thing" und bringt beschwingte Stimmung ins Spiel. Der Titelsong zum Schluss führt mich dann noch ein wenig in das Reich der Musik der Plattenfirma ECM, ein feiner Abschluss einer feinen Platte von hoher musikalischer Qualität. Ein wunderschöner Song, der es aber nicht allein schafft, ein neues Wunder vollbracht zu haben. Andererseits muss man es ja auch so betrachten, dass die Tatsache, am Leben zu sein, einem Wunder gleichkommt. Insofern sind sowohl die Musiker, die Musik und wir als Hörer Bestandteil dieses Wunders des Lebens. So gesehen…
Line-up:
Nico Lohmann (alto saxophone, soprano saxophone, flute, Akai EWI)
Tobias Backhaus (drums)
Marc Muellbauer (bass)
Claus-Dieter Bandorf (piano)
Birgitta Flick (tenor saxophone)
Tracklist
01:I've Got Another Chord (5:20)
02:Under Stormy Clouds Bassintro (2:05)
03:Under Stormy Clouds (6:27)
04:Danke (8:40)
05:You Happy Thing (3:46)
06:Goal (4:26)
07:Loopster Journey (7:53)
08:Bom Bom (6:04)
09:Pusteblume (5:59)
10:Paul's Song (4:20)
11:Miraculum (8:37)
(all compositions by Nico Lohmann)
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