Robert Lamm:
Es ist die fließende Sprache der Musik zwischen allen Nationen - ich würde mit fast jedem Musiker spielen
Im Gespräch »…that perhaps the future of Pop Music is the continuation of Rap and Hip Hop's sampling of existing hooks, beats, and riffs, and we will be re-tasking past music into new music.«

Peter Holmstedt war es, der mir vorschlug, ob ich nicht Robert Lamm einige Fragen stellen wolle. Ich willigte ein und es wurden fast dreißig Fragen, denn wann hat man schon einmal die Gelegenheit, ein Gründungsmitglied der bis heute existierenden Band Chicago zu befragen! Robert hat meine Fragen meist zu einem Block zusammen gefasst, so dass es schließlich fünfzehn wurden, aber beantwortet hat er fast alles.

Auf Chicagos Website ist ein recht aussagekräftiger, geschichtlicher Abriss der Band zu lesen.


Interview vom 13.07.2012


Wolfgang Giese
RockTimes: Drehen wir das Rad der Geschichte ein wenig in die Zeit zurück, als Chicago Transit Authority (CTA) gegründet wurde. Wie seid ihr damals in Kontakt zueinander gekommen? Erinnerst Du Dich, ob eine besondere Absicht hinter der Gründung von CTA bestand und wer war die treibende Kraft hinter dem Projekt?
Robert Lamm: Walt, Terry und Danny spielten zusammen in einer Band. Jimmy und Lee gingen gemeinsam mitWalt in eine Schule. Danny und Walt riefen an, nachdem sie mich mit meinem Quartett gehört hatten. Ich spielte Orgel und betätigte auch die Basspedale. Sie wollten eine Rockband mit Bläsern gründen. Wir einigten uns, uns zu treffen und zu jammen, was sehr aufregend war. Innerhalb von sechs Wochen luden wir Peter ein, der Bass in seinem Quartett spielte, und baten ihn mitzumachen. In konzeptionellem Sinn war Walt die treibende Kraft. Terry war im musikalischen Sinne die treibende Kraft. So war das!
RockTimes: Hast Du jemals daran gedacht, dass die Band für solch lange Zeit existieren würde? Ihr habt damals viele Bläser verwendet, das war ja seinerzeit nicht gerade üblich? Wessen Idee war das und warum habt ihr das so gemacht?
Robert Lamm: Sicher dachte niemand von uns, dass wir einmal ein solch eigenes und interessantes Klangbild schaffen würden, weil der Mainstream Rock damals meist von Trios und Quartetts gespielt wurde. Wir waren dagegen auch vom R&B beeinflusst. So war unser Ziel der Sound der Memphis Soul-Bands und später solche Bearbeitungen wie auf dem "Sgt. Pepper"-Album der Beatles. Wir hofften, eines Tages auch ein solches Album zu machen.
RockTimes: "Free Form Guitar" war eine andere, sehr ungewöhnliche Angelegenheit auf dem Album und für einige Hörer schien das wie ein Fremdkörper unter den übrigen Titeln. Wessen Idee war das damals und was hältst Du heute von Terry Kaths Solo-Beitrag?
Robert Lamm: Terry experimentierte bei Live-Auftritten mit kontrolliertem Feedback und der Produzent J.W. Guercio hörte das und nahm so etwas während der Sessions zum ersten Album auf. Er fragte bei Columbia Masterworks (CBS Classical Division) an und bat John McClure, sich das anzuhören und dieser nannte es ein wichtiges Stück elektronischer Musik. Es war meisterhaft.
RockTimes: Die Musik des zweiten Albums, "Chicago II", änderte nach sich meiner Meinung. Der Klang schien dichter und etwas mehr pop-orientiert zu sein, es waren auch mehr Bläser eingebunden. Die Band schien für mich einen speziellen Klang zu finden. Was meinst Du: War das ein großer Schritt vom ersten zum zweiten Album?
Robert Lamm: Die Musik auf dem zweiten Album war zwar kontrollierter, aber es gab auch Ansätze zu den verschiedenen Ausprägungen der Hauptkomponisten: Kath, Pankow und mir. Diese Entwicklung hielt auch an. Die Musik war manchmal weiterhin ziemlich riskant oder auch sehr poppig - abhängig davon, wer sie geschrieben hatte. So wurde jedes Album ein Dokument der Entwicklung Chicagos.
RockTimes: Vergleicht man die Besetzung des ersten Albums mit dem Album "XXX" aus dem Jahr 2006, stellt man fest, dass noch vier Originalmitglieder dabei sind, neben Dir die gesamte Bläserabteilung. Meinst Du, dass das ein wichtiger Fakt ist, was den Sound der Band betrifft?
Robert Lamm: Aber sicher, das Einbeziehen von Bläserarrangements ist auf allen Chicago-Alben der Sound, der die Band für die meisten Zuhörer erkennbar macht. Mir macht es Spaß, darüber nachzudenken, wie diese Bläser meine Songs verstärken werden, während ich für die Band schreibe. Manchmal ist die Raffinesse der Tracks dann sogar ohne die Bläser zu hören, einzigartig.
RockTimes: Kannst Du Dich daran erinnern, wie die Band mit dem Tod vonTerry Kath und dem Ausstieg von Peter Cetera zurecht kam? Er war schließlich für viele Fans 'die Stimme' Chicagos. Wurde dadurch eine Lücke in die Band gerissen?
Robert Lamm: Terrys Tod war verheerend für die Musik und die Richtung der Band. Es ist schon frustrierend zu erwägen, in welche Richtung wir gegangen wären, hätte er weitergelebt und wohin sein Interesse an Technik uns hätte führen können. Ceteras Ausstieg - obwohl unbequem - war wegen des Einstieges des Bassisten Jason Scheff, der nunmehr seit siebenundzwanzig Jahren der Hauptsänger ist, nicht so bedeutend
RockTimes: Könnte es möglich sein, dass Du und Peter Cetera wieder zusammen aufnehmen werden?
Robert Lamm: Chicago und Cetera möglicherweise, Lamm und Cetera eher weniger…
RockTimes: Was war Dein erster musikalische Einfluss und was Dein bis heute größter? Wie haben diese Künstler Deine Art zu schreiben und Deine Musik verändert?
Robert Lamm: Die frühesten und größten Einflüsse waren Ray Charles, Mose Allison, Tom Jobim, John Lennon und Bill Evans. All diese Künstler sind Pianisten, Komponisten und offenbaren Schönheit, Seele, Herz und Intelligenz mit jedem Hördurchlauf.
RockTimes: Welcher Deiner Songs ist Dir der liebste und welchen hättest Du auch gern geschrieben? Was ist Deine Lieblingsmusik und wer ist Dein liebster Songschreiber?
Robert Lamm: Üblicherweise ist es das Lied, dass ich gerade beendet habe. Im Moment ist das "Naked In The Garden Of Allah", für das neue Chicago-Album geschrieben. [ein Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest.] Zur Lieblingsmusik: Seit den Sechzigern liebe ich brasilianische Musik. Ich höre ebenfalls gerne Bebop und Post Bebop, Jazz, Filmsoundtracks und elektronische Musik.. Meine liebsten Songschreiber sind Tom Jobim, Lennon/McCartney, Cole Porter, Donald Fagan, Kevin Gilbert, Imogen Heap.
RockTimes: Mit welchen Musikern möchtest Du gern einmal eine Platte aufnehmen? Hast Du unter Musikerkollegen einige gute Freunde?
Robert Lamm: Wie Du Dir vielleicht vorstellen kannst, gibt es zwischen Musikern eine Art unerwähnte Bindung. Es ist die fließende Sprache der Musik zwischen allen Nationen - ich würde mit fast jedem Musiker spielen. Gute Freunde sind Gerry Beckley und Dewey Bunnell von America, Brian Wilson von den Beach Boys.Und ebenso diese Künstler: Zosia (Polen) ,Tomoyasu Hotei (Japan) und Marcos Valle (Brasilien).
RockTimes: Hast Du schon einmal in Europa und/oder in Deutschland gespielt? Wann das letzte Mal und wann wirst Du wieder hier sein, solo oder auch mit Chicago?
Robert Lamm: Chicago war erst kürzlich [im Juni/Juli] in Deutschland und wird wahrscheinlich im Sommer des kommenden Jahres zurückkehren.
RockTimes: Gibt es Pläne für eine neue Platte mit Chicago? Wird es ein "Chicago XXXIII" geben?
Robert Lamm: Wir sind gerade dabei, ein neues Album aufzunehmen
RockTimes: Was hältst Du grundsätzlich von heutiger Popmusik? Denkst Du, es gibt einige herausragende Künstler, die heutzutage etwas ganz Besonderes oder Neues kreieren? Wie ist Deine Einschätzung zur Zukunft der Popmusik?
Robert Lamm: Grundsätzlich interessiert mich Popmusik nicht so sehr. Mit der digitalen Revolution und sozialen Medien machen wir die Erfahrung, neue Musik kennenzulernen. Vieles davon ist sehr interessant und YouTube offenbart Musik, die wir wohl vor zwanzig Jahren nicht entdeckt hätten. Halte einmal Ausschau nach einem jungen Trio, Dirty Loops. Sehr schätze ich das Schaffen von Kanye West, Jack WhiteBruno Mars, Imogen Heap und Janelle Monáe. Wenn Du Dir mein neuestes Album "Robert Lamm Songs, The JVE ReMixes" angehört hast, wirst Du hören, was andere Schreiber und Kritiker meines Albums vorgeschlagen haben: Dass vielleicht die Zukunft der Popmusik in der Fortführung von Rap und Hip Hop liegt, mit dem Sampling bestehender Grundformen, Beats und Riffs. Wir alle werden fähig sein, Musik der Vergangenheit in neue Musik zu integrieren. Das ist das, was mein Produzent John Van Eps mit Brillanz vollbrachte.
RockTimes: Warum hast Du bislang drei Weihnachtsalben mit Chicago aufgenommen?
Robert Lamm: Wir haben das erste Weihnachtsalbum, "Chicago XXV" (Chicago Records), vor ungefähr zehn Jahren aufgenommen. Es wurde sehr gut angenommen. Einige Jahre später lud uns Rhino Records (Warner) ein - und finanzierten es auch - eine spezielle Version dieses Albums vorzulegen. Es war grundsätzlich das gleiche Album mit sechs zusätzlichen Stücken, nur aufgefrischt.. Im letzten Jahr nahmen wir "O! Christmas Three" (Chicago Records II) auf. Es war eher ein Experiment für die wiederbelebte Band, mit dem Produzenten-Guru Phil Ramone. Wir wollen ein Album mit einer Art Gemeinschaftsatmosphäre schaffen - sehr kreativ mit Austausch von Ideen. Insofern war es unbedeutend, dass es Arrangements von Neujahrs- und Weihnachtsmusik enthielt.
RockTimes: Was sind Deine persönlichen Zukunftspläne? Du hast ebenso wie Chicago mit Hank Linderman gearbeitet - ein Bursche, den ich aus seiner musikalischen Partnerschaft mit
Jeff Larson kenne . Hat er einen bestimmten Einfluss auf Deine Musik? Auf Deinem aktuellen Album hast Du mit Zosia gearbeitet. Spielt sie ebenfalls eine wichtige Rolle in Deiner Musik?
Robert Lamm: In diesem Jahr habe ich zwei Soloprojekte veröffentlicht - "Robert Lamm Songs, The JVE ReMixes" und "Living Proof". Ich habe ein neues Soloprojekt in der Produktion von "Electro Bossa" , alles neue Lieder mit einer etwas härteren Ausprägung als das eher stimmige Album aus dem Jahr 2008, "The Bossa Project". Die Chicago -Tour wird fortgeführt mit den Doobie Brothers als Gäste. Hank Linderman hat zwei meiner Alben produziert und er ist ein starker Partner beim Komponieren sowie ein sehr guter Freund. Sein musikalischer Einfluss ist sehr stark und gefühlvoll, aber als Künstler sind meine Einflüsse ohnehin sehr breitgefächert und unverhersehbar. Zosia ist sehr talentiertund wir haben einige gute Songs geschrieben. Wir hoffen, bald erneut zusammenzuarbeiten...
Danke, Robert, für die Zeit, die Du für RockTimes erübrigt hast. Mein Dank geht an Peter Holmstedt von Hemifrån dafür, dass er dieses Interview arrangiert hat.
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