Ein Wagnis ist es grundsätzlich, im Jazz ohne ein Harmonieinstrument - in der Regel ist es das Piano - auszukommen. Denn entweder ist es der Solist, sei es am Saxofon oder an der Trompete, der viel mehr Aufgaben zu übernehmen hat, oder die Band insgesamt hat mehr Obacht darauf zu legen, dass keine Leerräume entstehen und die Musik für Hörer spannungsgeladen ist und bleibt. Das erfordert entweder einen solch brillanten Solisten, der dieses mühelos schafft, oder eine eingespielte und homogene Band von gleicher Qualität und oft blindem Spielverständnis.
Biwak - ein Lager im Freien, oft in unberührter Natur. Nun, aufgenommen wurde die Musik dort nicht, sondern im Playground Studio Zürich. Aber vielleicht, wenn man den Namen einmal als solchen versucht zu interpretieren und Assoziationen sucht, dann trifft man möglicherweise auf Ausprägungen des Sounds, die als Auswirkung eines solchen Lagers gelten könnten. In der Regel sind in einem Lager alle Beteiligten im Zusammenwirken des Ganzen voneinander abhängig, und das einerseits in der Enge eines Zeltes oder einer Hütte, andererseits aber auch in der Weite freier Natur. Raum lassen sich die drei Akteure, unbestritten, das wird schon während des ersten Titels auffällig und deutlich, denn das eigentliche Soloinstrument, das Saxofon, bestimmt nicht unbedingt, sondern vielmehr verhält sich Lüthi sogar recht zurückhaltend - für mich sogar etwas zu zurückhaltend. Nicht, dass er sich zurückdrängen ließe, doch versäumt er es - wie bei den meisten nachfolgenden Stücken ebenfalls - auch einmal das Zepter in die Hand zu nehmen und spielbestimmend zu zeigen, was eine Harke ist.
Nun muss ich doch Vergleiche heranziehen: Zum Beispiel das Trio Sonny Rollins, Oscar Pettiford und Max Roach, das mit der "Freedom Suite" 1958 auch eine Art Jamsession vorlegte, ebenfalls mit gleichberechtigtem Einsatz aller Musiker, doch gleichwohl viel packender und mitreißender, als es hier geschieht. Der gleiche Saxer glänzte auch bereits ein Jahr vorher im Trio mit Ray Brown und Shelly Manne auf "Way Out West". Viel freier ging es 1978 zu, als David Murray zusammen mit Johnny Dyani und Andrew Cyrille das Album "3 D Family" vorlegte und ein wahrlich heftiges Dreiergespräch präsentierte, ähnlich wie Charles Gayle im Jahre 1991 mit William Parker und Rashied Ali. Aber solch freier Beispiele bedarf es gar nicht, denn immer wieder versuchten sich auch 'gemäßigte Jazzer' an diesem Format.
Und in gewissem Sinne gemäßigt ist die Musik hier sicherlich. Sicherer Boden wird eigentlich nicht verlassen und derjenige, den ich gern in dieser Rolle gesehen hätte - nämlich Lüthi - haftet für mich sogar am meisten am Boden. Treibende Kraft ist für mich eher der Schlagzeuger. Ja, Strüby reißt oft eine gewisse eintretende Lethargie auf und bewegt auch den Bassisten gelegentlich, auf dieser Welle mitzufahren - die Strukturen dezent in Bewegung setzend, als wären die Rollen vertauscht worden. Bei Lüthi höre ich die hohe Musikalität, die Sicherheit im Spiel, aber vermisse das Feuer und möchte empfehlend einmal auf die aktuelle Platte von Kullhammar/Aalberg/Zetterberg hinweisen. Hier zeigt Jonas Kullhammar aus Schweden, was ich meine, ohne dass die drei eine Free Jazz-Platte vorgelegt hätten.
Es gibt allerdings einige Momente, wo mich die Musik auch auf dieser vorgestellten Platte mitreißt. Ich nenne exemplarisch die Titel "Spiral Loop", der insgesamt etwas mehr Druck aufweist oder das etwas kurze "Gitane" mit seiner leicht orientalischen Ausrichtung, bevor es dann erwartungsgemäß das Abschlussstück "Lullaby" ist, das mich wieder der Ruhe zuwenden lässt.
Line-up:
Thomas Lüthi (tenor saxophone)
Arne Huber (bass)
Claudio Strüby (drums)
Tracklist |
01:Nevaio (6:20)
02:Spheres (3:50)
03:Syracuse (4:09)
04:Gitane (2:31)
05:Star-Crossed Lovers (2:56)
06:Pharos (5:31)
07:Delaware (3:32)
08:Spiral Loop (4:25)
09:Lullaby (3:20)
(all composed by Lüthi, except #3, 7 by Huber,
#5 by Ellington/Strayhorn)
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