Ob es an der Namensverwandtschaft liegt? Ein bestimmtes positives Grundverständnis für die Popularität Frankie Millers und seines irrsinnige fünf Jahrzehnte zurückliegenden, beachtlichen musikalischen Schaffens kann die Rezensentin jedenfalls durchaus und von vornherein aufbringen.
Vorab sei festgehalten: Die hier vorliegende 3-CD-Collection ist ein geradezu liebevolles, sorgfältigst und erstmals umfassend zusammengetragenes Werk der engagierten, beherzten Bear Family, gewidmet dem offenbar einzig legitimen Nachfolger d-e-s Country-Übervaters Hank Williams. Eine Tatsache, die sicher nur fachlichen, über jeden Zweifel erhabenen Insidern bekannt sein wird.
Den Mittelpunkt des Katalogs bilden Frankie Millers Starday-Recordings. Dazu ergänzt sind alle, auch für andere Labels, je aufgenommenen Stücke des 1930 in Victoria geborenen Texaners. Für den Fan dürfte damit so etwas wie ein Wunschtraum in Erfüllung gegangen sein, wird im Booklet stolz verkündet. Dieses Booklet ist in der Tat ein regelrechtes kleines, fast 100 Seiten starkes, Büchlein, das den musikalischen und persönlichen Weg des späteren Ehemanns der Witwe von Hank Williams ausführlich nachvollzieht. Schwarz-weiß Fotos auf denen er mit sämtlichen nennenswerten Größen der Countrywelt zu sehen ist, geben einen ungefähren Eindruck von Frankies eigentlichem Status in der damaligen Szene. Zudem fühlt man sich zurückversetzt in die goldenen amerikanischen Fünfziger, der strahlend, akkurat gekleideten und frisierten Stars, der raumschiffgleichen Cadillacs und Thunderbirds, der Zeit von Col. Parker, Sam Philips und Sun Records im Wandel von Tradition zur Moderne vor dem Hintergrund industrieller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche. Die Erscheinung und Ausstrahlung unseres sympathischen Protagonisten - schneeweißes Lächeln, pechschwarz glänzendes Haar und der leuchtend rote Anzug (von George Jones zuvor getragen) - fügen sich nahtlos in dieses verzaubernde Bild.
Der leidenschaftliche Sportler Frankie Miller wäre um ein Haar Profiboxer geworden, entdeckte dann aber sein Herz für die Musik und verschrieb sich einer nicht minder kraftaufwendigen Karriere. Mit seiner Gibson Hummingbird umgeschnallt, reiste er eifrig und fleißig durch die Lande, um sich in den texanischen Honky Tonks ein nicht unbeträchtlich großes Live-Publikum zu erspielen. Ein lebenslanges Unterfangen wie er selbst mutmaßt: »You can play all your life in Texas and never play the same place twice.«
Miller war Stammgast der legendären Louisiana Hayrides und Cowtown Hoedown-Events, trat in der Grand Ole Opry auf, tourte mit Johnny Cash und lernte Elvis kennen. Letztere Begebenheit wird in einer reizenden Anekdote im Interview auf der dritten CD von Frankie erzählt.
1956 sah sich die Plattenindustrie der nicht mehr aufzuhaltenden Macht des Rock'n'Roll in Form seiner schillernden, hüftschwingenden Galionsfigur gegenüber. »Ignore it at your peril« war die Haltung, die sich niemand leisten konnte und wollte. Ein frischer Wind wehte gerade wieder durch die Countryszene, doch den unabsehbaren Folgen der allgemeinen Entwicklung wurde Rechnung getragen. Nach Jahren durchschnittlicher bis ansehnlicher Erfolge mit seinen ersten Studioaufnahmen trennte sich die graue Eminenz Columbia von Miller mit einer eklatanten Fehlentscheidung, die für den ambitionierten jungen Musiker weitere drei Jahre später dennoch zu einer überraschend positiven Wende des Schicksals führen sollte.
Der Stein, der diese Geschichte ins Rollen brachte, war in Wirklichkeit - tatsächlich - eine Kokusnuss! Die ausgehöhlte Baumfrucht wurde als Percussion-Instrument verwendet, um den Klang eines auf frisch umgepflügtem Boden stampfenden Pferdes so authentisch wie möglich wiedergeben zu können. Jener auf diese Art erzeugte Rhythmus verhalf "Blackland Farmer" 1959 zu Frankie Millers größtem Single-Erfolg. Der Ausnahmesong war 1956 vom A&R Mann bei Columbia abgelehnt worden. Das Originaltape verschwand danach in Frankies Schublade, wo es jahrelang unbeachtet liegen blieb und fast dem Zahn der Zeit zum Opfer fiel. Erst das ehrwürdige Starday Records-Label bewies untrügliches Gespür für einen Riesenhit, barg den Schatz und polierte ihn zum funkelnden Juwel. Miller schaffte damit den absoluten Durchbruch und rettete kurioser Weise auch Starday vor einer höchst ungewissen existenziellen Zukunft. Er trat endgültig aus dem Schatten seiner Idole Ernest Tubb, Lefty Frizzell und - allen voran natürlich - Hank Williams heraus.
[Am Rande: Frizzell's Vermächtnis übrigens sollte Jahrzehnte später in 'Lefty' Wilbury - verkörpert von einem gewissen Roy Orbison - weitergetragen werden.]
"Blackland Farmer", inhaltlich dem Leben seines Onkels nachempfunden, wurde d-a-s Markenzeichen von Frankie Miller und zog noch weitere Kreise: Der Titel schaffte gar, was vorher in umgekehrter Reihenfolge nur Elvis' "Heartbreak Hotel" gelang: Er enterte die Billboard Country und Pop Charts. Der Song wurde zum Selbstläufer und -tänzer, choreografiert von der amerikanischen Jugend vor den Jukeboxen und landesweit auf die Tanzflächen katapultiert. Ein bemerkenswertes Stück also, sharp turn off the main road treffend beschrieben. Denn es war Millers intuitive Eigenkreation, bei der er eben deutlich abwich von der Williamstreuen, bewährten, vorgezeichneten Linie. Ein nicht unerhebliches Risiko und er ging es scheinbar keineswegs bewusst ein. Doch der unerwartete Erfolg ebnete ihm einen neuen Weg und prägte seinen eigenen Stil, den er auf dem Nachfolger "Family Man" erkennbar fortsetzte.
Wesentliches, charakteristisches Merkmal dieses Stils ist Frankie Millers markante, distinktive, klare, offene Stimme, die er so facettenreich einsetzen kann. Beim Hören der 91 Titel und Demo-Versionen verblüfft mich diese erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Sein Gesang gleicht einer Sprachmelodie, die er mit endlos variierenden Phrasierungen versehen kann. Miller sah sich nie als Rockabilly-Act, wenngleich auch "Blackland Farmer" ein so interessantes, stilistisch progressives Eigenleben entwickelt hatte. Aber was für ein saftig-flotter, spritziger Stempel springt denn da vom Kissen?!, den der geneigte Hörer mit "Mean Old Greyhound Bus" oder dem astreinen R&B-Shaker "Charly's Got A Good Thing Going" vom guten Frankie auf's verzückte Ohr gedrückt bekommt? Lösten etwa Elvis' Schatten die von Hank ab und färbten hier und da ein doch entlarvend zeitgemäßes, rhythmisches Klangbild in die sonst so blütenweiße Countrylandschaft des Frankie Miller?
Ha, ha! Und das macht Spaß, auch weil die klassisch-konservativen, ernsten inhaltlichen Themen - the hard-work/family-values message - in solchen Stücken durch Humor mit reinem Unterhaltungswert ersetzt werden.
"Blackland Farmer" rückt Frankie Miller, der sich gegen Ende der Sechziger völlig aus dem Musikgeschäft zurückzog, um als Zivilist quasi von heute auf morgen für eine Chrysler-Niederlassung in Arlington zu arbeiten, ins wohlverdiente rechte Licht und ist für Fans wie Puristen ein unerlässliches Must Have. Für Neugierige erschließt sich ein sehr schönes, empfehlenswertes Stück Zeitgeschichte in unerwartet bestechender Hörqualität.
Kompliment rundum einmal mehr an die Bärenfamilie!
Tracklist |
CD 1:
01:Blackland Farmer
02:True Blue
03:Poppin' Johnny
04:Family Man
05:The Money Side Of Life
06:Reunion
07:Baby Rocked Her Dolly
08:Rain, Rain
09:Strictly Nuthin'
10:Young Widow Brown
11:Two Lips Away
12:Out Of Bounds
13:I'll Write To You
14:Richest Poor Boy
15:Lookin' Around Downtown
16:A Little Bit's Better (Then Nothing At All)
17:The Cat And The Mouse
18:It's Not Easy
19:Losing Again
20:If I'd Known Then
21:Just For You
22:Prison Grey
23:Tornado
24:Big Talk Of The Town (LP version)
25:Reunion (w/o harmony)
26:Baby Rocked Her Dolly (w/o harmony)
27:Rain, Rain (w/o harmony)
28:The Cat And The Mouse (alt)
29:Faded Bible
30:Who Do You Think
31:Trust The Saviour
32:Valley Of Death
33:Family Bible
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CD 2:
1:Gotta Win My Baby Back
2:The Picture At St:Helene
3:Losing By A Hair
4:I Miss Her Every Way
5:One Excuse Is As Good As Another
6:The Party's Over
7:Too Hot To Handle
8:A Little South Of Memphis
9:Fifteen Acres Of Peanut Land v
10:Out Of This World
11:Mean Old Greyhound Bus
12:It Took A Lot Of Love To Let Her Go
13:Starving For Love
14:I Can Almost Forget
15:Big Talk Of The Town (Single version)v
16:Truck Driving Buddy
17:Bringing Mary Home
18:Country Music Who's Who
19:A Tough Row To Hoe
20:Charlie's Got A Good Thing Going
21:She's My Antibiotic (In White)
22:Fickle Hand Of Fate
23:True Love Stays
24:Starving For Love (alt)
25:Maybe You Would Love Me Then
26:It Took A Lot Of Love To Let Her Go (alt)
27:Pain
28:I Put The Blue In Her Eyes
29:Wrong Side Of The Tracks
30:World War III
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CD 3:
1:Just For Spite
2:Give A Purpose To My Love
3:I Should Be
4:Don't Make Me Miss You
5:Impersonations (live) Always Late/Lord Gave Me Help/I Walk The Line
6:Katy Malone
7:It's Not Easy
8:Peppermint Candy
9:Family Man
10:Blues Of Yesterday
11:I Remember Dad
12:House Down The Road
13:A Little South Of Memphis
14:I'd Rather Have You
15:Tears Of Time
16:Funny Way Of Lovin'
17:Let's Forget It
18:Fall Of The Alamo
19:I'll Get Over You (Still Keep Hoping)
20:A Tough Row To Hoe
21:The Wagon Yard
22:Out Of This World
23:She Put The Misery On Me
24:Lonesome Time
25:Keeping Up With The Jones
26:Nothing At All
27:Two Lips Away
28:Blackland Farmer (live)
Conversations with Hank Davis:
29:Meeting Elvis At The Hayride
30:Memories Of Tommy Hill
31:Creating Hoofbeats
32:The Blackland Farmer Tape
33:Headlining A Rock Show
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Externe Links:
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