Grachan Moncur III / Some Other Stuff
Some Other Stuff Spielzeit: 40:31
Medium: CD
Label: Blue Note Records, 2009 (1961)
Stil: Avantgarde Jazz


Review vom 30.03.2009


Wolfgang Giese
In der 'Rudy Van Gelder Edition' sind wieder einmal einige heißbegehrte und lang erwartete Veröffentlichungen des Blue Note-Kataloges erschienen, so auch diese Platte des Posaunisten mit Aufnahmen vom 6. Juli 1964, eingespielt im Van Gelder-Studio, Englewood Cliffs, New Jersey und im Jahre 2008 von Rudy Van Gelder höchstpersönlich remastert.
Auch diese Aufnahmen wurden seinerzeit von Alfred Lion produziert, und der andere Gründer von Blue Note Records, Francis Wolff, steuerte auch hier das Cover-Foto bei.
Lion - Wolff - Van Gelder, diese berühmte 'Achse', immer mit dem Gespür für das Besondere... So auch hier in hohem Maße.
Im Gegensatz zu Atlantic Records und Impulse! taten sich die Betreiber von Blue Note zunächst etwas schwer mit freieren Klängen. Nach Jackie McLean war es vor allem Grachan Moncur III, der die ersten Vorstöße unternahm, entsprechende Alben von Eric Dolphy, Anthony (Tony) Williams und Andrew Hill sollten folgen.
Moncur, nach seiner Schulzeit ab Ende der 50er Jahre mit Ray Charles, Art Farmer/Benny Golson und Sonny Rollins unterwegs gewesen, arbeitete bei Blue Note mit Jackie McLean zusammen. Mit seinen beiden Alben für das Label, das erste war "Evolution" (1963), schuf er wichtige Meilensteine auf dem Weg vom Hard Bop zur Avantgarde.

Waren beim ersten Album noch McLean am Altsaxofon und Bobby Hutcherson am Vibraphon beteiligt, holte er sich für dieses Album anstelle derer nun Wayne Shorter am Tenorsaxofon und Herbie Hancock am Piano ins Boot. Vielleicht auch, um der Gefahr aus dem Wege zu gehen, diese Platte könnte wie der Vorgänger klingen.
Interessant ist hierbei, dass 3/5 des klassischen Miles Davis-Quintetts der 60er Jahre dabei waren, also Shorter, Hancock und Williams. Letztere spielten dort bereits, und Shorter stieß anschließend hinzu.
Nur die Musik Davis' hören wir hier nun gar nicht. Davis hatte sich dem Free Jazz ja stets verschlossen, zumal er auch die Meinung vertrat, das wollten die Leute auch gar nicht so gern hören.
Nun denn, ob diese Entwicklung notwendig war oder nicht, ist Bestandteil eines anderen Themas. Hier jedenfalls öffnen sich die Musiker in den Kompositionen Moncurs einer neuen Ära. Vier lange Stücke zwischen 7:43 und 12:53 sind es, die das auf eindrucksvolle Weise belegen.

Noch zu erwähnen ist der Bassist Cecil McBee, der später bei vielen Produktionen des neuen Jazz maßgeblich beteiligt sein sollte und auch hier wesentliche Beiträge liefert.
Das ist noch nicht der Free Jazz, wie ihn Cecil Taylor, John Coltrane und Archie Shepp als 'New Thing' schon bald propagieren sollten - hier ist in der Tat noch eine Art Bindeglied zwischen Tradition und Aufbruch zu spüren.
Das erste Stück ist vielleicht auch das der Avantgarde am nächsten gelegene. Es findet sich kein eindeutiger Rhythmus und fließt einfach so dahin, dichte Klangräume scheinen sich zu entwickeln und zu verdichten, die Melodie steht im Vordergrund, manchmal wirkt es bedrohlich, dann aber auch humorvoll. So etwa ist die eigenartige Atmosphäre des Stückes zu beschreiben. Gelegentlich gibt es einen Ausbruch des Tenoristen und Hancock schlägt vielleicht auch mal mit der Handkante auf die Tastatur...
"Thandiwa", ein afrikanisches Thema, geht da ganz anders zur Sache, zieht an und stellt die Solisten mehr in herkömmlichen Sinne vor, dabei stets angetrieben von Williams am Schlagzeug, der hier abermals sein großes Talent unter Beweis stellt. Und genau das darf er dann auch im letzten Stück, "Nomadic": Ein Schlagzeugsolo, nur kurz begleitet von einem seltsam anmutenden Thema, gespielt von Moncur und Shorter (jene und auch Hancock sind wohl auch die Urheber diverser Geräusche während des Solos - Humor hatten sie ja). Da hatte Miles Davis seinerzeit mit Williams ein Riesentalent verpflichtet (17 war er, als Miles rief).
Der Titel "The Twins" zeichnet sich durch eigentümliche Weise durch seinen Aufbau auf einem einzelnen Pianoakkord aus. Auf der Basis einer exakten Rhythmusgebung mit anscheinend ständigen Wechseln, bietet sich auf diesem längsten Stück reichlich Spielraum für die Solisten, ihr Können in beherzten Soli zur Schau zu stellen. Das Thema klingt sehr lustig, wenn Saxofon, Posaune, Klavier, Bass und Schlagzeug gleichzeitig zu 'hüpfen' scheinen. Ein Hinweis darauf, dass hier doch nicht so ganz 'bierernst' vorgegangen wurde. Die Musik atmet durchaus viel Seele, viel Menschlichkeit, und 'der Mensch an sich' verfügt schließlich über gar viele Facetten.
Tradition und Moderne verschmelzen auf dieser Platte zu einer wunderbaren Einheit, hier spürt man den 'neuen Geist', hier wird eine ganz spezielle Atmosphäre geschaffen, passend zum Jahr 1964, das überhaupt ein wichtiges neues Kapitel im Jazz aufschlug, und Moncur war einer jener, die daran mitwirkten, obwohl sein Einfluss im Gegensatz zu anderen, besser bekannten Musikern relativ unbemerkt blieb.
Line-up:
Grachan Moncur III (trombone)
Wayne Shorter (tenorsax)
Herbie Hancock (piano)
Cecil McBee (bass)
Tony Williams (drums)
Tracklist
01:Gnostic
02:Thandiwa
03:The Twins
04:Nomadic
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