Jubiläen haben es so an sich, dass man zurückblickt und resümiert. Dreißig Jahre im Musikbusiness sind schon eine gewaltige Latte, und wenn die meiste Zeit davon als erfolgreich eingestuft werden kann, ist das schon ein echtes Zeichen dafür, dass man es mit einem Star zu tun hat. Die Kanadierin Loreena McKennitt gehört zweifelsohne zu dieser Kategorie. Sie beging im vergangenen Jahr ihr dreißigstes Bühnenjubiläum und nutzt dieses Ereignis ebenfalls für eine Retrospektive auf CD. So trägt das aktuelle Werk "The Journey So Far" auch den Untertitel "The Best Of Loreena McKennitt".
Nun sind solche Kompilationen oftmals ein zweischneidiges Schwert: Nicht selten driftet die Ansicht des Hörers mit der der Plattenfirmen auseinander, ob es sich bei den ausgewählten Tracks wirklich um das Sahnehäubchen auf dem Schaffen eines Künstlers handelt. Zumeist orientiert sich die Zusammenstellung eher am Erfolg der ausgewählten Stücke und weniger an der musikalischen Ausdruckskraft.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Vielleicht hätte ich das ein oder andere Stück aus dem Schaffen der kanadischen Wahlkeltin und musikalischen Weltenbummlerin noch zusätzlich mit ins Boot genommen, und doch befinden sich tatsächlich einige meiner erklärten Lieblingsstücke mit im Reisegepäck dieser "Journey".
Das Herausragende am Schaffen von Loreena McKennitt ist, dass sie Celtic Folk auf höchst beeindruckende Art und Weise für ein Pop-Publikum attraktiv gemacht hat, ohne sich und die Ursprünge traditioneller Lieder und Melodien zu verbiegen. Sie setzt sich mit den originären Wurzeln und Quellen intensiv auseinander, betreibt auf Reisen rund um den Globus aufschlussreiche Hintergrundforschung.
Als Kanadierin mit irischen und schottischen Vorfahren besinnt sie sich auf ihr keltisches Kulturerbe. Nun ist das unter Puristen ein sehr umstrittenes Unterfangen, denn letztlich kann niemand heutzutage mehr rekonstruieren, wie die Kelten in grauer Vorzeit wirklich musizierten, ob die Harfe nun tatsächlich das Instrument ihrer Barden war und ob sie schon in den archaischen Tagen ihrer Eroberungszüge auf dem Sack dudelten. Was wir heute als 'keltische Folklore' ansehen, ist inhaltlich und musikalisch gerade mal 150 bis 200 Jahre zurückzuverfolgen. Aber natürlich gibt es frappierende Übereinstimmungen in der Kultur jener Landstriche und Bevölkerungsgruppen, in denen noch eine gälische Sprache wie Irish, Gaelic, Breton oder Galego gesprochen wird. Man wird interessante Harmoniegleichheiten und ähnliche Tanz- und Instrumentierungsformen in der dort praktizierten Szene von Folkmusikern feststellen, egal, ob sie nun aus Irland, Schottland, der Bretagne oder Galizien stammen. Loreena McKennitt geht in ihren Nachforschungen noch weiter und versucht auch, im Orient Spuren eines keltisch-arabischen Kulturaustausches zu Tage zu befördern. Die Resultate ihrer Nachforschungen fließen dann in das eigene Schaffen mit ein.
Ihr Repertoire umfasst Eigenbearbeitungen traditioneller Folksongs, Eigenkompositionen, Literaturvertonungen und Fusionexperimente. Somit sind diese Werke sowohl eine Weiterentwicklung klassischer Folktraditionen wie auch Soundtracks, die verschiedene Reiseerlebnisse der Künstlerin musikalisch umsetzen. Sie kann dafür auf eine nur als glockenklar zu bezeichnende Stimme zurückgreifen, die auch in den höchsten Sphären noch brillant erklingt, sehr modulations- und wandlungsfähig ist und den richtigen Hauch von Mystik mitschwingen lässt. Somit wandelt ihr Folkrock zeitweilig sehr nahe an den Grenzen zu New Age Music. Als Multiinstrumentalistin bedient sie unter anderem die Harfe, Keyboards und Akkordeon. Die Arrangements ihrer Alben sind meist opulent gestaltet, manchmal mit einem leichten Hang zum Klangbombast, was sie dann aber immer wieder mit zarten und intimen Balladen kontrastiert.
In Deutschland wurde Loreena McKennitt erstmalig einem größeren Publikum vorgestellt, als sie im Vorprogramm von Mike Oldfields Tour von 1993 auftrat. Da Oldfields Music sich von Zeit zu Zeit auch traditioneller Folkthemen aus seiner irischen Heimat bedient, haben seine Fans durchaus offene Ohren für derartige Klänge. Die Rechnung ging auf und Loreena McKennitt erlebte hierzulande einen wahren Popularitätsschub. Seither füllt sie auch in good old Germany problemlos große Hallen und ist mit schöner Regelmäßigkeit als Headliner diverser Festivals zu erleben.
"The Journey So Far" beleuchtet tatsächlich nahezu alle Facetten ihres künstlerischen Schaffens. Echte Neuigkeiten sind nicht auf der Scheibe zu finden, es handelt sich um eine Zusammenstellung herausragender Titel aus den Erfolgsalben der kanadischen Chanteuse.
Wuchtig, mit mystischem Flair kommt der Opener des Albums daher: "The Mystic's Dream". Der Titel spricht bereits Bände und zeigt Loreena von ihrer eher esoterisch angehauchten Seite, dies allerdings auf sehr beeindruckende Weise. Warum man hier nur eine Kurzfassung des Originals zu hören bekommt, erschließt sich nicht wirklich. Im Vergleich zum Original vom Album "The Mask In The Mirror" fehlen da fast drei Minuten. Schielt man da etwa auf stärkere Chancen, im internationalen Dudelfunk Airplay zu bekommen? Noch weitere Songs werden als 'Album Edits' auf ein singlekompatibles Format zurechtgestutzt. Diese Praxis stellt für mich aber den einzigen Schönheitsfehler dieser Compilation dar, denn letztlich hat die Künstlerin bereits eine derart positive Reputation, dass ihre Musik es nicht nötig hat, auf die Beschränkungen von durch Werbespots strukturierte Kommerzsender einzugehen.
Die Auswahl der Titel versöhnt mich dann aber doch wieder mit diesem "Best of"-Album. Besonders angetan hat es mir der Block mit den drei Literaturvertonungen en bloc: "Down By The Sally Gardens" und "Stolen Child" sind Umsetzungen zweier berühmter Gedichte des irischen Nationaldichters W.B. Yeats, während "The Lady Of Shalott" mit Alfred Tennyson einen begnadeten Lyriker der englischen Viktorianik in den Mittelpunkt rückt. Die Stücke sind sehr elegisch gehalten und vergleichsweise sparsam arrangiert. Frau McKennitt stellt sich und ihre Stimme ganz in den Dienst der literarischen Vorlagen. Gerade in der Ballade der "Lady Of Shalott" wirkt sie zeitweilig ganz entrückt und entfaltet damit die Magie, die Dichtkunst aus jener Epoche auch heute noch heraufbeschwören kann.
"Bonny Portmore" ist für mich ein weiteres Highlight. Gerade die Melodielinien, die hier von der irischen Sackpfeife, den Uìllean Pipes, eingewoben werden, sind zum Niederknien schön und breiten gemeinsam mit den sphärischen Vocals einen dichten und bewegenden Soundteppich aus. Die Vision einer Reise durch keltische Klänge wird beim Zuhören vor dem inneren Auge präsent.
Italienische und orientalische Einflüsse prägen das Instrumental "Marco Polo" und bebildern neben Loreena McKennitts Reiseerlebnissen auch die Geschichte des venezianischen Kaufmannes, der, wie die Legende sagt, nach China reiste und die Kultur dort kennenlernte. Zentral in dieser brachialen Nummer sind die Breaks in der Melodieführung, die Drehleier und Percussion beinahe schon frenetisch einläuten. Das ist Kopfkino pur und erspart einem den Discovery Channel. Zudem zeigt eine solche Nummer, die nicht in erster Linie von der Jahrhundertstimme der Sängerin getragen wird, welch eine formidable Komponistin die Künstlerin aus Kanada ist. Klar stehen auch die Lieder den Instrumentalstücken kompositorisch in nichts nach, nur ist man bei ihnen meist so sehr von den stimmlichen Qualitäten McKennitts gefangen genommen, dass man über manche Feinheiten erst mal hinweghört. Das ist aber auch eine Stärke der Musik von Loreena McKennitt: man kann sie wieder und wieder hören und wird immer wieder reizvolle Neuigkeiten entdecken.
Das feierlich-getragene "Dantes Prayer" ist ein würdiger Abschluss für diese Kollektion musikalischer Kleinodien aus dem umfangreichen Wirken der Künstlerin. Ein gregorianisch geprägter Mönchschor leitet diese Ode an den großen Dichter Dante Alighieri, Schöpfer der "Göttlichen Komödie" ein. Schließlich schleichen sich weitere Instrumente ein und verweben ihre Klänge schließlich mit der schwebenden Gesangsstimme. Wer nach einem hektischen Tag Probleme mit der Entspannung hat, sollte es mal mit diesem Track versuchen. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie aber bitte das CD-Inlay oder fragen Sie ihren RockTimes-Rezensenten. Diese Musik birgt nämlich durchaus echte Suchtgefahr: wer sich einmal mit Loreena McKennitts Vision zeitgemäßer keltischer Kultur angefreundet hat, wird diese Scheibe stets aufs Neue in den Player schieben.
Für Neueinsteiger in das Universum der kanadischen Ausnahmemusikerin ist die Kollektion wirklich ideal und hochgradig empfehlenswert, zeigt sie doch fast alle Aspekte, die ihr Gesamtwerk einzigartig machen. Für langjährige Fans ist die Scheibe immerhin eine schöne Zusammenstellung, die einige echte Höhepunkte zu einem homogenen Ganzen zusammenfügt. Und sie macht Lust darauf, sich intensiver mit den früheren Alben der rotgelockten Musikfee auseinanderzusetzen.
Tracklist |
01:The Mystic's Dream - Album Edit ("The Mask And Mirror", 1994)
02:Bonny Portmore ("The Visit", 1991)
03:The Bonny Swans - Album Edit ("The Mask And Mirror")
04:The Mummers' Dance - Single Remix ("The Book Of Secrets", 1997)
05:Down By The Sally Gardens ("The Wind That Shakes The Barley", 2010)
06:Stolen Child ("Elemental", 1985)
07:The Lady Of Shalott - Album Edit ("The Visit")
08:Marco Polo ("The Book Of Secrets")
09:Penelope's Song ("An Ancient Muse", 2006)
10:Huron 'Beltane' Fire Dance ("Parallel Dreams", 1989)
11:The Old Ways ("The Visit")
12:Dante's Prayer ("The Book Of Secrets")
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