Stell dir vor, eine Rocklegende kommt in deine Stadt, und keiner geht hin!
Wie, die Uhren von Rocklegenden sind in Zeiten von "Yo man, I'm a Gangsta Rapper and you will pimp my dick" (hä?) längst abgelaufen? In den USA zumindest geht nix anderes mehr, außer vielleicht noch heulender Chanteusen, die sich 'R&B-Artists' nennen. In good old Germany piepst die Neo-NDW und die Musikindustrie melkt das Prinzip 'Frontfrau mit männlicher Rockband' zu Tode, während Robbie Williams Superstar nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern ganz Europa im Griff hat und bei den Kids als Rock'n'Roller Number One durchgeht. Der Rest zückt bei den Balladen beglückt das Taschentuch. Und über allem schwebt die alte Dame Madonna und zerfleddert respektlos wie erfolgreich das Erbe vom erfolgreichsten Schwedenexport aller Zeiten.
Nein, da darf es wirklich nicht verwundern, wenn die 'Weiße Schlange' in der Provinz (sorry Osnabrück!) auftaucht und niemand nimmt davon Notiz.
Ist ja auch kein Wunder, denn zu allem Überfluss hat das 'Unterschichtenfernsehen' mit dem Moderator Hugo Egon Balder vor nicht allzu langer Zeit das Symbol der weißen Schlange der Hardrocklegende Deep Purple zugeordnet (nun ja, Coverdale/ Lord/ Paice = Deep Purple, kann ja mal passieren) und in der gleichen Sendung die Ian Anderson Kapelle Jethro Tull zu Heavy Metal-Pionieren gemacht.
Ob das nun bewusste Volksverdummung ist oder schlichte Schlamperei, keine Ahnung, Fakt ist jedenfalls, dass an diesem Abend in der Osnabrücker Großdiskothek 'Hyde Park' maximal 200 verlorene Seelen lustwandeln. Und das bei einer Veranstaltung, die unter dem Titel 'Rough An' Ready-Tour 2005 - M3 Classic Whitesnake' angekündigt ist.
Wie, Classic Whitesnake, was soll das 'Classic' im Namen?
Ganz einfach, irgendwie muss verdeutlicht werden, dass hier nicht Whitesnake mit David Copperfield, äh, sorry, ich meine natürlich David Coverdale unterwegs sind, sondern eine Formation, die sich offiziell M3 nennt und 'Classic Whitesnake' im Untertitel führt, weil mit Bernie Marsden, Micky Moody und Neil Murray tatsächlich die drei Ms der ersten Phase von Whitesnake auf der Bühne stehen, die seinerzeit den Sound der Gruppe maßgeblich geprägt hatten.
Vielleicht ist das alles auch viel zu verwirrend und das Konzert deshalb vergleichsweise bescheiden besucht.
Denn um das Chaos komplett zu machen, stelle ich zu meiner Verwunderung fest, dass nach einer ziemlich katastrophalen lokalen Vorband namens Heat (leider zu 100% nur heiße Luft) immerhin 4/5tel Company Of Snakes auf der Bühne stehen, immerhin die Formation, die vor nicht allzu langer Zeit parallel zu David Coverdale's Whitesnake einen Kleinkrieg mit selbigem führte mit dem Anspruch, zwar nicht Whitesnake heißen zu dürfen, aber die einzig wahren und richtigen Whitesnake zu sein, die sogar neue Songs veröffentlichen.
Pech nur, dass diese neuen Songs offenbar niemanden wirklich interessierten. Zu Unrecht, wie das durchaus formidable Studioalbum "Burst The Bubble" von 2002 beweist. Aber die Leute wollten live nicht die neuen Sachen hören, sie wollten den alten Whitesnake-Stuff, und zwar volle Granate.
Dem mussten sich die alten Helden wohl oder übel beugen und riefen 2003 schließlich M3 (Classic Whitesnake) ins Leben. Seitdem tingelt diese Formation sporadisch durch die Gegend und macht einen auf Whitesnake-Gedächtnisband.
Vom Repertoire her konsequent zwischen 1978 und 1982 pendelnd, geben uns die drei 'Ms' alles, was damals den mitreißenden und nicht unerfolgreichen Sound von Whitesnake ausmachte und promoten damit ihre aktuelle DVD "Rough An' Ready - Featuring Whitesnake's Greatest Hits".
Geben sie uns wirklich alles? Nein, natürlich nicht! Denn wenn ich mal die damalige Traumbesetzung zu Zeiten von "Live ... In The Heart Of The City" oder "Ready An' Willing" (beide 1980) zugrunde lege, dann fehlen im Gesamtgebilde eindeutig die Herren Ian Paice am Schlagwerk und Jon Lord als Herr der Tasten! Beide sind wirklich nicht zu ersetzen.
Ups, ach ja, Mr. David Coverdale ist natürlich auch nicht zugegen. Stattdessen shoutet der ehemalige Company Of Snakes - Sänger Stefan Berggren, seines Zeichens Schwede, textsicher und mit den klassischen Rockerposen vertraut. Zudem verfügt er durchaus über eine formidable Röhre, die allerdings für meinen Geschmack zu häufig in angestrengt klingende höhere Lagen abdriftet und zuweilen recht gepresst klingt. Es kommt zumindest mir eindeutig so vor, als wolle er um jeden Preis wie ein geklonter Coverdale klingen. Das geht natürlich gewaltig in die Hose, denn mensch kann zu Herrn Coverdale stehen, wie er/sie will, aber das gewisse Etwas hat er immer verkörpert, nah am Rock 'n' Roll, nah am Blues, nah am Soul.
All dies geht Stefan Berggren bei allem Bemühen komplett ab, er verkörpert eher den klassischen Heavy-Shouter und würde den alten Gotthard beispielsweise gut zu Gesicht stehen, da er im Gegensatz zu deren Frontkrakeeler nicht so affektiert rüber kommt. Mithin fehlt dem ganzen Vortrag irgendwie die Seele, was selbst das nach wie vor überragend zusammen harmonierende Gitarrenduo Moody/Marsden nicht verhindern kann. Ich muss hinzufügen, dass dies mein persönlicher Eindruck ist, denn die wenigen Zeugen des Konzerts sind mehr oder weniger aus dem Häuschen und entsprechend begeistert.
Die Setlist orientiert sich in größten Teilen an der erwähnten DVD und dem Programm, was seit 2 Jahren gespielt wird. So erklingen alte 'Schlachtrösser' wie "Walking In The Shadows Of The Blues" (Einstieg), "Lonely Days, Lonely Nights", "Ready An' Willing", "Slow An' Easy" (mit dem Masterpiece-Einstieg schlechthin für den Slide-Guitar Helden Micky Moody), "Ain't Gonna Cry No More", "Ain't No Love In The Heart Of The City" oder "Fool For Your Loving".
Es bleibt erfreulicherweise festzuhalten, dass das Gespann Moody/Marsden nichts von seiner Klasse eingebüßt hat, obwohl der Zahn der Zeit vor allem an Bernie Marsden sichtbar genagt hat. Aber genau er ist es, der wohl nicht nur an diesem Abend die Zügel in den Händen hält, der die Kommunikation mit dem Publikum sucht und charmant durch den Abend führt. Micky Moody schaut dagegen im Vergleich von vor 25 Jahren vergleichsweise unverändert aus und streut lässig ein paar fantastische Licks und Slide-Einlagen ein, sich wunderbar ergänzend mit dem etwas 'härter' klingenden Bernie Marsden. Nach wie vor präsentieren sie sich als kongeniales Paar!
Leider habe ich die Namen vom Schlagzeuger und Keyboarder nicht richtig verstanden, aber es sind definitiv nicht die bisher bei M3 agierenden Jimmy Copley und Mark Stanway. Beide agieren vergleichsweise unauffällig, einzig der Tastenmann fällt mir durch seine seitlich gesehen optische Ähnlichkeit mit dem jüngeren Chris Stainton (u.a. Ex- Grease Band, Ex- Spooky Tooth, langjähriger Mitstreiter Joe Cocker, beispielsweise auch bei dessen legendärem Woodstock-Auftritt, und zuletzt in der Live-Band von Eric Clapton) auf.
Neil Murray dagegen, hochgelobt und vermutlich wirklich ein Großer seiner tieftönenden Zunft, nehme ich ohne mein Teleobjektiv gar nicht wahr, denn er bewegt sich nicht ein Mal an den vorderen Rand der Bühne, sondern 'versteckt' sich neben dem Drum-Kit und ist in der Soundabmischung auch erstaunlich wenig zu hören. Schade eigentlich!
Richtig gut wird es eigentlich erst ganz am Schluss, als Bernie Marsden höchstpersönlich den größten Coverdale/Marsden Hit überhaupt, nämlich "Here I Go Again", anstimmt. Plötzlich wird mir klar, dass ich persönlich es für besser befunden hätte, wenn die Band auf den eigentlich untadeligen Stefan Berggren verzichtet hätte, denn urplötzlich schwebt die Seele und Authenzität durch den Tanztempel, die ich die ganze Zeit (unbewusst) vermisst hatte.
Die Stimmung erreicht, sofern das überhaupt unter diesen Verhältnissen möglich ist, ihren Siedepunkt, es wird nach besten Kräften mitgesungen und die Band bekommt ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ja, ja, es ist aber auch wirklich nicht leicht, die Leute mit ehrlicher, handgemachter und vergleichsweise unspektakulärer Musik zu begeistern. Zumal mir im Laufe des Abends klargeworden ist, dass Whitesnake alles kreiert hatten, aber definitiv keine zeitlose Musik!
Letztlich ist es der Klasse des Gespanns Moody/Marsden zu verdanken, dass dieser Abend nicht in die totale Oldieecke abdriftet, vielleicht noch unterstützt durch die kraftvollen, aber nicht wirklich passenden Beiträge Stefan Berggrens, der schließlich auch um einige Jährchen jünger ist.
Durch die euphorischen Reaktionen ermuntert, gibt es zum Schluss sogar noch eine ziemlich ausgiebige und tatsächlich rockende und rollende Zugabe, so dass am Ende immerhin eine respektable Gesamtspielzeit von geschätzten 110 Minuten zu Buche steht. Offenbar mehr, als sonst üblich ist, und das bei dem mäßigen Publikumszuspruch! Das nötigt mir wiederum den größten Respekt ab, zumal im Anschluss noch ausgiebig Autogramme gegeben werden und überhaupt Fannähe demonstriert wird.
So bleibt als Fazit, dass es sich meines Erachtens bei M3 um ein zweischneidiges Schwert handelt, sicherlich ergiebiger als die Kasperveranstaltungen eines David Coverdale mit seiner Boyband, aber letztlich doch mit dem faden Beigeschmack, nicht aus der Zwangsjacke 'Whitesnake anno 1980' herauszukommen, mit dem damit einhergehenden Effekt des absoluten künstlerischen Stillstands.
Wer sich damit zufrieden geben mag und auf die signifikanten Performances von Ian Paice, John Lord und David Coverdale verzichten kann, wird sicherlich bei M3 auf seine Kosten kommen, der Rest aber fährt doch nach einem Gig besagter Formation leicht bis mittelschwer nachdenklich nach Hause.
An dieser Stelle übrigens noch ein dickes Dankeschön an 'Carlo's Konzerte' für die vorzügliche Unterstützung.
Bilder vom Konzert
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