Kaum zu glauben: Mit zehnjähriger Verspätung schlägt nun endlich eine der ungewöhnlichsten Bands im Musikzirkus bei uns auf. Anlass ist die erstmalige Veröffentlichung von Magmas Auftritt am 26. Februar 1974 anlässlich einer Radioaufzeichnung von Radio Bremen, in der damaligen Zeit einer der aktivsten Sender für Rockmusik (damals, als der Staat noch Geld für Kultur hatte!). Das Konzert wurde dann wenige Tage später ausgestrahlt und nun - gut vierzig Jahre später - wird es erstmals als Doppel-CD aufgelegt. MiG Music sei Dank!!
Wie soll man nur Magmas Musik definieren? Ein nahezu unmögliches Unterfangen... Art Rock? Sicherlich. Progressive Rock? Natürlich. Space Rock? Logisch, alles richtig, aber trotzdem viel zu ungenau! Die Franzosen selbst hatten (bzw. wohl eher 'mussten') für sich eine eigene Kategorie erschaffen: »Zeuhl Wortz« (himmlische Musik) und das trifft's ziemlich gut.
Hinter Magma steht nämlich ein komplettes Konzept: der Mythos um den fiktiven Planeten Kobaïa. Dieser wurde von Erdenbewohnern - anführt von deren 'Propheten' Kreuhn Kohrman - kolonialisiert, nachdem ihr Heimatgestirn dem Untergang geweiht war. Dieser führte die Menschheit aus dem 'Theusz Hamtaahk', dem Zeitalter des Hasses, in eine harmonischere Zukunft.
Die Texte sind in der von den beiden Masterminds, Drummern und Sängern Christian Vander und Klaus Blasquiz erschaffenen Kunstsprache 'Kobaïanisch' verfasst worden und vermischen esoterisch-religiöse sowie natur- und geisteswissenschaftliche Inhalte in einen Science Fiction-Kontext.
Alle Alben Magmas - zumindest die acht der 'klassischen Phase' von 1970 bis 1984 - beziehen sich aufeinander und dürfen somit als Einheit betrachtet werden.
Die Texte werden in sehr exaltierter Form vorgetragen, die man wohl kaum als Gesang im herkömmlichen Sinn bezeichnen kann. Die meist freien Improvisationen, die gelegentlich auch mal den Scat- oder Obertongesang touchieren, eignen sich natürlich hervorragend für diese Sprachschöpfung, denn deren Botschaften docken nicht, wie gewöhnlich, an den Texten, sondern an den transportierten Emotionen an.
Passgenau führt die Musik Magmas genau an diesem Punkt weiter, die - obwohl hier Franzosen musizieren - extrem 'krautrockig' klingt. Hier meine ich ausdrücklich nicht den 'Kinderkram', den wohl jeder mag, sondern extrem abgefahrenes Zeug, wie Siloah oder Xhol Caravan. Zugegebenermaßen keine leichte Kost, soviel muss jedem vorab klar sein, aber "Zühn Wöhl Ünsaï Live 1974" ist dafür extrem herz- und nahrhaft...
Das Konzert eröffnete mit "Sowiloï (soï soï)" langsam Spannung aufbauend, in einen nervös-fiebrigen, sehr vom 'Krautjazz' inspirierten Mittelteil steigernd, um dann in einer Kakophonie der Instrumente zu enden. Das damals aktuelle Album "Mëkanïk Dëstruktïw Kömmandöh", von vielen Musikfreunden als eines der besten Magma-Alben erachtet, wird in voller Länge und Dramatik vorgetragen. Auch hier bricht sich die 'Zeuhl Wortz' (siehe oben) kaleidoskopartig im Musikverständnis jedes einzelnen Hörers, weshalb hier sicherlich ein jeder ein anderes 'Mosaik' für sich zusammensetzen dürfte. Durch die fehlenden Bläser unterscheidet sich diese Live-Aufnahme doch ziemlich erheblich von der Studiofassung.
Ein zwanzigminütiges Solo der beiden Schlagwerker/Sänger eröffnet die zweite Scheibe: virtuos, kraftvoll, von jeglichen Zusammenhängen befreite Dialoge zwischen den Schlaginstrumenten und den Stimmen, in einem absolut improvisatorischen 'Nirvana' mündend. Was für ein außerirdisch guter Trip - so kurzweilig kann ein ultralanges Drum-Solo sein...
Der erste Teil der Trilogie "Theusz Hamtaahk", auf den folgenden Alben fortgeschrieben, beendet ein unglaublich intensives Doppelalbum, das sich klanglich wirklich - den vergangenen vierzig Jahren zum Trotz - auf Ballhöhe präsentiert und die Live-Atmosphäre obendrein gut transportiert.
Das Booklet, mit den einfühlsamen Liner Notes aus berufenem Munde (dem von Charly Heidenreich von der Würzburger Progressive Rock-Musikinitiative FreakShow), rundet eine essentiell erscheinende Veröffentlichung ab. "Zühn Wöhl Ünsaï Live 1974" - ein Hochamt für vorurteilsfreie, progressiv geschärfte Ohren!!
Line-up:
Christian Vander (vocals, drums)
Klaus Blasquiz (vocals, percussion)
Claude Olmos Ghost (guitars)
Michel Grallier (keyboards)
Gerald Bikialo (keyboards)
Jannick Top (bass)
Tracklist |
CD 1:
01:Sowiloï [soï soï] (12:24)
02:Mëkanïk Dëstruktïw Kömmandöh (35:12)
I:Hortz Fur Dëhn Stëckëhn West
II:Ïmah Sürï Dondaï
III:Kobaïa Iss De Hündïn
IV:Da Zeul Wortz Mëkanïk
V:Nëbëhr Gudahtt
VI: Mëkanïk Kömmandöh
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CD 2:
01:Korusz II (20:09)
02:Theusz Hamtaahk (25:49)
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Externe Links:
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