Marillion / Sounds That Can't Be Made
Sounds That Can't Be Made Spielzeit: 74:21
Medium: CD
Label: earMUSIC, 2012 (Vertrieb über Edel)
Stil: (New Artrock) Rock

Review vom 22.10.2012


Jochen v. Arnim
Zweifelsohne hat für viele Marillion-Hörer die Uhr nach den Weggang des ehemaligen Frontmannes Derek William Dick, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Fish, zu ticken aufgehört. Alben wie das erfolgreiche "Misplaced Childhood" seien ohne ihn nicht möglich, sagte der Mob seinerzeit. Seine durchaus erfolgreiche Solokarriere mag den Zweiflern an der sog. Hogarth-Ära (Steve Hogarth ist mittlerweile seit 1989 als Sänger voll etabliert) eine gewisse Berechtigung zuschreiben. Ebenso wenig zweifeln darf man allerdings an der Aussage, dass Marillion eine der originellsten und auch innovativsten britischen Bands ist. Genremäßig mag man sie unter Fish'scher Regentschaft bei Neo Prog einordnen, heute wird ihnen eine Zugehörigkeit zum New Artrock bescheinigt, bei Prog passen sie allemal und sie selber bezeichnen ihren Stil gern einfach nur als Rock. Fakt ist, eine kategorische Einordnung fällt nicht immer leicht. Bislang hat es unter beiden Sängern zu mehr als fünfzehn Studioalben und über zwanzig Top 40-Hits allein in ihrem Heimatland England gereicht.
Passend zur gerade stattfindenden Welttournee (oder ist es andersherum?) liegt jetzt das neuste Werk mit dem Titel "Sounds That Can't Be Made" vor. Auf rund 75 Minuten präsentieren uns die Herren ganze acht Songs. Diese Tatsache und der Titel der CD klingen in Kombination nach schwerer Kost. Aber ganz so schlimm ist es nicht, wenngleich der Opener direkt mit über 17 Minuten voll ins Kontor haut. "Gaza" - wen wundert es? - beschäftigt sich auf sehr abwechslungsreiche Art und Weise mit den Menschen von Gaza, jener Enklave, deren Autonomie seit Jahren von den Israelis verweigert wird. Seit Jahren, ach was, Jahrzehnten, leben Palästinenser im von Israel umschlossenen Landstreifen in sog. Übergangslagern. Mittlerweile sind die ersten 'Bewohner' schon Großeltern geworden und der Song, übrigens als einziger mit Liner Notes versehen, ist speziell den Kindern von Gaza gewidmet. Der Track ist von vielen Rhythmus- und Tempiwechseln gekennzeichnet, windet sich mal fast schwermütig - passend zum Thema - aus den Boxen, mal wartet er mit einem fast schon bombastischen Riff auf. Zwischendurch gibt es feine Soloeinlagen auf der Gitarre und Meister Hogarth vollführt eine klare Gesangsleistung. Man muss schon aufmerksam zuhören, um den richtigen Zugang zu bekommen, aber unterm Strich kann ich nur feststellen, selten so kurzweilige 17 Minuten gehabt zu haben.
Der unmittelbar darauf folgende Titelsong präsentiert sich mit weniger Zähigkeit und erschließt sich von der Komposition her viel direkter, ist mit allen bekannten Attributen Marillion'scher Musik versehen. Weiter geht es dann mit "Pour My Love", das sich zu Beginn durchaus für die leergefegte Tanzfläche einer Disco um 05:00 Uhr morgens eignet, wenn sich noch ein einsames Pärchen engumschlungen etwas wiegen will. Aber trotz der anfänglichen schmalzigen Minuten nimmt das Stück dann gut arrangiert Fahrt auf und kommt mit einem klasse Gitarrenpart um die Ecke. Gegen Ende verflacht es dann wieder ein wenig, aber das bringt es trotzdem nicht in die 'Fail'-Kategorie. Überspringen wir mal "Power" und kommen direkt zu "Montréal", das in ähnlicher Dramaturgie wie "Gaza" angelegt ist und eine tolle Steigerung im Verlauf des Tracks erfährt. Mit gut vierzehn Minuten auch der zweitlängste Song des Albums und für Marillion-Fans ein prima Anspieltipp. In puncto Steigerung muss man ein gutes Drittel von "Invisible Ink" abwarten, bevor das dann tolle Arrangement den sich zur Skip-Taste auf der Fernbedienung bewegenden Daumen auf halbem Wege aufhält. "Lucky Man" (noch n Anspieltipp) danach dürfte noch ein paar Minuten länger sein und sollte diese dem Rausschmeißer "The Sky Above The Rain" eigentlich stehlen, der mir mit über zehn Minuten viel zu lang ist.
Zweifelsohne darf die Uhr nach "Sounds That Can't Be Made" ruhig wieder anfangen zu ticken. Es ist kein Überhammer Hogarth'scher 'Ingenieurskunst', kann sich aber in weiten Teilen mehr als hören lassen. Neben "Gaza", "Montréal" und "Lucky Man" als herausragende Stücke kann man durchaus noch ein paar zusätzliche Schätzchen finden. Allerdings driften aber auch Stücke wie "The Sky Above The Rain" in Teilen gefährlich nah an so einigen Untiefen vorbei, bei denen man nicht gerade in Wallung gerät.
Die Produktion ist sauber und glücklicherweise nicht 'over the top', wie man das von so einigen Kollegen der Prog-Fraktion gerne mal geliefert bekommt. Reinhören lohnt sich, aber nicht nach dem ersten Durchlauf aufgeben.
Line-up:
Steve Hogarth (vocals)
Steve Rothery (guitar)
Pete Trewavas (bass)
Mark Kelly (keyboards)
Ian Mosley (drums)
Tracklist
01:Gaza
02:Sounds That Can't Be Made
03:Pour My Love
04:Power
05:Montreal
06:Invisible Ink
07:Lucky Man
08:The Sky Above The Rain
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