Mars Hollow? Nie gehört, aber der Vorgeschmack auf dem Band-MySpace war schon vielversprechend und bestätigt sich sofort, wenn die CD im Player liegt. "World In Front Of Me", der Nachfolger des im Vorjahr erschienenen "Mars Hollow", ist eine Spielwiese für musikalische Fingerfertigkeiten auf höchstem Niveau. Hier sind keine Anfänger, sondern Könner am Werk.
Wenn man über eine böse Zunge verfügen würde, könnte man resümieren, dass die vier Südkalifornier mit Mars Hollow einen Klon aus dem Erbgut von Kansas und Yes - die 'Samenspende' natürlich aus den Siebzigern - kreiert haben. Also quasi eine transatlantische Kooperation: Die Spielfreude des amerikanischen und die 'Verkopftheit' des europäischen Kontinents zu einem überaus erfreulichen Konglomerat zusammengefügt. Es gab schon einmal eine Band, die das drauf hatte und die heute kaum noch jemand kennt: Ambrosia und deren Meisterwerk "Somewhere I've Never Travelled" (1976). Deren David Pack oder Joe Puerta könnten John Baker und Kerry Chicoine beim Gesang Pate gestanden haben. Trotz zahlreicher Wakeman'scher Keyboard-Fanfaren erinnert Steve Mauks Spiel eher an Ambrosias genialen Kopf der frühen Jahre, Christopher North.
Sorry Leute, wenn ich euch hier derart mit Referenzbands konfrontiere, aber Chicoines kerniges Bassspiel ist Chris Squire in Reinkultur. Die ständigen, oftmals überraschenden Wechsel in den Songstrukturen erinnern frappierend an Kansas der siebziger Jahre, die dem seinerzeit in einer Sackgasse feststeckenden britischen Prog vielfach zeigten, was eine progressive Harke ist. Damit die Kopflastigkeit allerdings nicht Überhand gewinnt, werden oft sehr melodische Passagen eingefügt, die an die besten Zeiten von Styx anzuknüpfen verstehen.
Bis auf die beiden Long-Tracks sind die Songs zumeist im für Prog-Verhältnisse idealen Sechs-Minuten-Korsett gehalten. So entstehen zu keinem Zeitpunkt langatmige Ausschweifungen. Die Gitarrenparts sind grundsätzlich eher zweckdienlich und häufig auf der Akustischen vorgetragen - Soloausflüge sind fast ausschließlich den Keyboards vorbehalten. Bass und Drums sind nicht einfach zum Taktgeber degradiert, sondern dürfen überraschende Kontrapunkte zur Melodieführung setzen.
Das eröffnende "Walk On Alone" erinnert gesanglich - vor allem über der Strophe - am meisten an die 'verblichenen' Ambrosia. Der harmonische A Capella-Gesang zu Beginn wirkt allerdings wie ein Fremdkörper, wenn danach ein irrwitziges musikalisches Feuerwerk abgebrannt wird. Dieser Gegensatz ist etwas zu überzogen. Im ersten Solopart überzeugt Steve Mauk mit einer stark jazzrockig angehauchten E-Piano-Improvisation - den zweiten darf Bassist Kerry Chicoine gestalten - John Baker übernimmt mit erneuten jazzrockigen Anleihen das abschließende Solo.
Druckvoll treibend beginnt "Voices", um mit getragenem Gesang den aufgebauten Druck wieder 'abzulassen'. Über den nach dem Refrain wieder einsetzenden wilden Ritt legt Mauk ein sensationelles Hammond-Solo. Ruhige, Spannung aufbauende Passagen entladen sich in geradezu lukullischen Hemmungslosigkeiten, wie im orgiastischen Mittelteil von "Weapon". Ein Cello eröffnet "What Have I Done", einen der schönsten Songs dieses Albums. Harmonisch, in manchen Segmenten gar zuckrig süß, fließt die Nummer äußert gefällig dahin, um schließlich in einem irrwitzigen Synthesizersolo zu münden.
"Mind Over Matter" hat den Charakter eines Zwischenspiels und wird von der akustischen Gitarre und einer Melodieführung, die einem Mini Moog klanglich zum Verwechseln gleicht, begleitet. Mehrstimmige Gesänge runden das gefällige Zusammenspiel ab, bevor eine edle Grand Piano-Attacke mit klassischen Bezügen, "Prelude", auf den zweiten Long-Track überleitet. "World In Front Of Me" - der Titelsong - ist quasi eine musikalische Weltreise durch verschiedenste Prog-Kontinente. Von einem sonnigen Strandspaziergang bis zur dramatischen Bergbesteigung wird alles geboten, was das Genre hergibt.
Es gibt eine Unmenge von Bands, die in Mars Hollows 'Gewässern' fischen, viele davon im Trüben, um eine abgedroschene Redensart zu bemühen. Die vier Kalifornier heben sich positiv aus dieser Masse ab, denn hier stimmen nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten, sondern auch das Songwriting. Betrachtet man die Welt des Retro Prog durch das Mars Hollow'sche Kaleidoskop, setzen sich bei jedem Hördurchgang von "World In Front Of Me" neue, bunte Klangbilder zusammen. Ein Album, das spontan Lust auf die Debüt-Scheibe macht...
Line-up:
John Baker (guitars, guitar synthesizer, mandolin, lead and backing vocals)
Steve Mauk (keyboards, backing vocals)
Kerry Chicoine (bass, backing vocals)
Jerry Beller (drums, percussion, backing vocals)
Tracklist |
01:Walk On Alone (12:31)
02:Voices (6:23)
03:Weapon (6:52)
04:What Have I Done (5:56)
05:Mind Over Matter (2:27)
06:Prelude (1:48)
07:World In Front Of Me (11:18)
|
|
Externe Links:
|