Mathias Eick Quintett / 05.08.2011, Pumpwerk, Wilhelmshaven
Pumpwerk
Mathias Eick Quintett
Pumpwerk Wilhelmshaven
05. August 2011
Stil: Jazz, Fusion
Konzertbericht


Artikel vom 10.08.2011


Wolfgang Giese
Mathias Eick QuintettIch nehme es schon einmal vorweg: Wenn nichts Entscheidendes mehr geschehen sollte, war dies mein persönliches Konzert-Highlight des laufenden Jahres. Tradition und Moderne - zwei Begriffe, die mich in Zusammenhang mit der Konzertankündigung für das Mathias Eick Quintett aufhorchen ließen. Tradition - dafür steht das im Jahre 1969 von Manfred Eicher gegründete Münchener Plattenlabel ECM Records. Die Moderne wird durch die jungen, auf ECM ansässigen norwegischen Musiker um den Multiinstrumentalisten (Trompete, Keyboards, Vibrafon, Schlagzeug, Gitarre) Mathias Eick, der unter anderen in Hard Rock-Gefilden ebenso wie als Mitglied der experimentellen Band Jaga Jazzist grenzüberschreitend tätig ist, repräsentiert.
Dieses Mal trat nicht das Pumpwerk als Veranstalter in Erscheinung sondern die 'Ostfriesische Landschaft Aurich' präsentierte im Rahmen der Konzertreihe 'Musikalischer Sommer in Ostfriesland' dieses Konzert.
ECM - »the most beautiful sound next to silence« - so wurde die Musik der Künstler dieses Labels einst tituliert. Gestern im Pumpwerk war Ruhe nur ein Teil des Ganzen, aber 'beautiful' war es gänzlich.
Mathias Eick Quintett'Musik der anderen Art' - so könnte man es auf den Punkt bringen. Doch warum? Wodurch zeichnete sie sich aus? Stimmung war es, die erzeugt wurde - eine Stimmung, der sich wohl niemand entziehen konnte, so intensiv wirkte sie. Nun kann ich nicht für die einzelnen Empfindungen aller Zuschauer/innen sprechen - für jeden mag ein anderes Bild gemalt worden sein. Ja, genau das passt: Die Musiker haben 'Musik gemalt' - zarte Farben, aggressive Farben, jede für sich einzeln, alle gemischt. 'Meine inneren Bilder' wechselten ständig, all meine Sinne wurden angesprochen durch ruhige wie brachiale Stimmungen.
Man stelle sich vor, auf einem Schiff bei schönstem Wetter in einen der Fjorde Norwegens einzulaufen. Langsam und beschaulich gleitet man dahin und plötzlich lösen sich wie aus dem Nichts unerwartet Felsbrocken und brechen mit Getöse hernieder, ein Inferno scheint sich auszubreiten. Doch bedrohlich erschienen mir diese Momente dennoch nicht, waren sie doch so voller Gestaltungsdrang und mit einer Hinwendung zum Positiven. Denn die Felsen stürzen nicht auf das Schiff, sondern schlugen in gewissem Abstand ein und sorgten durch ihre Gewalt und Macht dafür, dass sich das Meer veränderte, dass eine neue Stimmung geschaffen wurde, mit der Option auf eine weitere. Man konnte also den Eindruck von Stille, die letztlich in einem Inferno zu enden schien, mitnehmen. Derart öffnete sich die Musik innerhalb der Entwicklung der einzelnen Titel ebenso wie auch die Herzen der Zuhörer/innen.
Mathias Eick QuintettSo war bei einigen Stücken der Schein trügerisch, wenn Eick auf der mit Hall unterlegten Trompete wunderschön klingende Melodien, die sich zwischen lyrischem und poppigem Ausdruck bewegten, einleitend vortrug, doch das Stück sich im Laufe seiner Entwicklung ganz anders darstellen sollte. Dabei war es faszininierend, wie die Aktionen der Musiker untereinander traumwandlerisch funktionierten, das war absolut professionell. Grundsätzliche, von den Studioeinspielungen her bekannte Songstrukturen waren offensichtlich, jedoch verloren sie sich in wohltuenden Improvisationen und näherten sich durch diese Freiheit in eher jazztypische Gefilde, von denen diese Musik insgesamt nur ein Element darstellte. Denn, allein bedingt durch die zwei gleichzeitig agierenden Schlagzeuger, wurde ein stark perkussiv betontes Umfeld geschaffen, das sehr viele Rockelemente aufwies. Mit dem Einsatz der Keyboards waren mitunter sogar Momente zu spüren, in denen ich dachte, dass dies Musik sei, die so manchen Prog Rock-Begeisterten 'hinter dem Ofen hervorlocken' könnte. Diese Offenheit des Vortrages brachte auch Einflüsse aus der klassischen Musik ein, als zum Beispiel Andreas Ulvo ein unglaublich virtuoses Solo am Flügel vorführte und ich meinte, etwas vom Geist Edvard Griegs zu spüren.
Mathias Eick QuintettDie beiden Drummer erzeugten, ohne laut zu wirken, einen gewaltigen Druck. Sie füllten Lücken aus, ergänzten sich und schufen dadurch eine immense Dichte. Solch eine Doppelbesetzung ist mir aus prominentem Umfeld lediglich aus dem Rockbereich durch Grateful Dead oder der
Allman Brothers Band bekannt. Ungewöhnlich wirkende Rhythmen entstanden auf diese Weise, dazu 'schmurgelte' und 'knurrte' der elektrische Bass bisweilen. Audun Erlien erinnerte mich in einigen Momenten übrigens sehr an den einst in Diensten von Terje Rypdal stehenden Kollegen Sveinung Hovensjø, der mich seinerzeit live begeistern konnte. In solchen elektrisierenden Momenten erschien unweigerlich die Assoziation zum (elektrischen) Miles Davis der Mittsiebziger.
Mathias Eick QuintettDarüber hinaus trug die Musik des Trompeters Eick nicht nur Davis'sche Züge, sondern auch jene von Kenny Wheeler oder seines Landsmannes Nils Petter Molvær. Aber er kopierte nicht, sondern trug einen sehr persönlichen Stil zur Schau, ein Stil, der sich nicht scheute, Elemente des starken Schönklangs und popmäßiger Melodien zu integrieren.
Mathias Eick QuintettEin Titel war sehr experimentell ausgerichtet: Suchende einsame Töne, sich scheinbar verlierend, aber noch untereinander kommunizierend, mit dem Ziel, zueinander zu finden und zu verschmelzen. Wie einer Schöpfung gleich endeten sie in einer Eruption, um Neues zu schaffen - sei es ein Übergang in eine verträumte Welt oder in einen fiktiven Vulkanausbruch. Oftmals am Rande der Tonalität schwebten die Klänge schwer dampfend und schleppend, mit mehr 'gedrücktem' als gespieltem Schlagzeug, untermalt von brodelndem Bass und perlenden Keyboards, an die sich Eick übrigens auch für einen Titel begab. Das war Musik, in der man sich verlieren lassen konnte und bei der man einfach von Allem abschalten konnte, was einen gerade bewegte. Musik, die mit Professionalität, aber nicht mit damit verbundener Sachlichkeit und Kälte glänzte, sondern dieses Element auf gelungene Weise mit dem Element von Freiheit, Innovation und Gefühl verknüpfte. Nur - als Hörer muss man sich darauf einlassen, in diese andere Welt einzutauchen, sonst mag es nicht funktionieren.
Mathias Eick QuintettDie Spielzeit hätte mit zwei mal fünfundvierzig Minuten plus Zugabe gern etwas länger sein können. Und - eines bzw. einen, hatte ich etwas vermisst: Den auf der aktuellen Platte "Skala" als Gast auftretenden hervorragenden Saxofonisten Tore Brunborg, der noch das Sahnehäubchen auf dem ohnehin schon sehr schmackhaften 'Eisbecher Norwegen' gewesen wäre.
Das zahlreiche anwesende Publikum füllte das dieses Mal komplett bestuhlte Pumpwerk und zollte den Musikern durch seine Begeisterung inklusive stehenden Ovationen Respekt und Hochachtung. Die numerische Zuordnung auf den Tribünen sorgte im übrigen noch für humoristische Einlagen, weil das ansonsten mit freier Platzwahl verwöhnte Pumpwerk-Publikum gelegentlich Schwierigkeiten hatte, die entsprechenden Plätze zu finden - ähnlich wie bei der Deutschen Bahn, wenn man sich im falschen Wagen befindet.
Mathias Eick QuintettAuffällig war in diesem Zusammenhang die altersmäßige Zusammensetzung der Zuhörerschaft. Meine 'Helden' des ECM-Labels waren zu dessen Gründung in der Regel einige wenige Jahre älter als ich und wir wuchsen zusammen, sei es Keith Jarrett, Terje Rypdal oder Jan Garbarek. Nun etabliert sich nach und nach eine jüngere Musikergeneration auf dem Label und die 'Alten' halten auch noch die Stange, doch wo waren all' die Gleichaltrigen?? Könnte das bedeuten, dass Musiker wie Eick in fünfundzwanzig bis dreißig Jahren in fast leeren Sälen spielen müssen? Ich hoffe nicht... Manfred Eicher kann sich jedenfalls stolz wähnen, diese innovativen Musiker in seinen Reihen zu haben, möge er noch viele Platten mit ihnen produzieren.
MichaelFür alle, die dabei waren und auch für jene, die dieses Konzert-Highlight verpassten, die frohe Kunde: Radio Bremen hat dieses Konzert mitgeschnitten und wird es später ausstrahlen. Ich freue mich schon darauf, und hoffe, ich habe laut genug applaudiert, so dass ich mich hören kann.
Auf dem Heimweg traf ich nach dem Konzert im Aufnahmebus des Senders den Keyboarder Andreas Ulvo und konnte abschließend noch einen kleinen Smalltalk halten und ihn fröhlich grüßend mit der Kamera einfangen.
Erwähnen möchte ich noch, dass selbst ein aus der Schweiz anwesender Gast seine Heimfahrt um einen Tag verlagerte, nur um dieses Konzert zu erleben. Auch ihn habe ich hier mit der Kamera verewigt! (Hallo Michael!)
Andreas Ulvo                 Andreas Ulvo
Mein Dank für die Akkreditierung geht an dieser Stelle an Reent Fröhlich vom Pumpwerk-Team und die 'Ostfriesische Landschaft Aurich'.
Line-up:
Mathias Eick (trumpet, keyboards)
Andreas Ulvo (piano, keyboards)
Audun Erlien (electric bass)
Torstein Lofthus (drums)
Gard Nilssen (drums)
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