Was fällt einem zu folgenden Attributen ein? Nasaler Gesang, aussagekräftige und kritische Texte, komplexe Strukturen? Einigen werden sicher sofort an Bob Dylan denken, aber jetzt ist die Beschreibung auf Dave Mustaine und seine Megadether gemünzt. Der Bursche meint es diesmal ernst. Megadeth schlachten einen Heavy Metal in die Maschine, wie man ihn sich von vielen großen Heavy Bands heiß ersehnt, aber zu oft enttäuscht wird. Die neuen Songs sind hart, aber alles andere als banal. Sie sind einige Male richtig schnell, aber nicht so, als seien sie unter Speed aufgenommen worden. Sie fetzen mit Breaks durch die Kabel, aber ohne Patchwork zu sein. Wer gedacht hat, dass Mustaine versucht ein "Hit-Album" zu platzieren, der wird überrascht sein, mit welcher Konsequenz Megadeth zur Sache gehen. Die Zeiten des "No More Mr. Nice Guy" sind Rock sei Dank ebenso vorbei wie leider auch die Youthanasia-Phase der Band. Auch fehlen auf The System Has Failed solche peinlich- miesen Smash-Hit-Versuche wie beispielsweise Crush' em. Insgesamt knüpfen Megadeth wieder an ihren Rust in Peace Abschnitt an
Es gibt Stakkato-Gewitter und Doublebass-Atacken. Es gibt Breaks zu Hauff und wie es sich gehört, jagt ein heißes Metalguitar-Solo das nächste. Chris Poland und Dave Mustaine toben sich an ihren Brettern so richtig aus. Obwohl Herr Poland beileibe keine schlechter Gitarrenmann ist, liegen die beiden in ihren Leistungen nicht soweit auseinander, wie es seinerzeit bei "Megadave" und Marty Friedman der Fall war. Beide Gitarristen liefern exzellente Soli ab. Sie sind stolz drauf und machen daraus auch keinen Hehl, denn wer von ihnen wann im Song zum Einsatz kommt, ist im Booklet bei den Texten akribisch aufgelistet. Manchmal sogar unter Angabe der genauen Spielzeit, bei der das Solo beginnt.
Mustaines "Gesang" war schon immer gewöhnungsbedürftig. Aber er ist markant, das muss man ihm lassen. Sicher fehlt es an Volumen, doch Dave hat eine Ausdruckskraft in seinen Gesangslinien, dass einem der Schauer den Rücken hinunter läuft. (anchecken: "Of Mice And Men") Ob das an seiner bewegten Vergangenheit liegt, kann nicht ausgeschlossen werden. Wir erinnern uns: Der Rausschmiss bei Metallica, die Polidrogensucht etc..
Die Songs sind natürlich nicht wirklich eingängig, aber schon beim zweiten Durchlauf offenbaren einige doch einen großen Wiedererkennungswert, gerade was die Refrains angeht.
Hier die Anspieltipps:
Fürchterlich los geht es gleich beim Opener "Blackmail The Universe". Eine emotionslose Frauenstimme verkündet in den "Breaking News", dass die Air Force One mit einer Stinger-Rakete vom Himmel geholt wurde. Untermalt wird diese Botschaft von einer Stakkato-Salve, die der "Annihilator" Jeff Waters auch nicht brutaler hätte hinbolzen können. Bis ins Mark gräbt sich Dave mit der Textzeile:
The greatest crisis, will someone come for me? I "red, white and blew it." und mit der beklemmend eingängigen Intonation der Worte Nuclear Battlefield.
"Back In The Day" räumt sofort mit einem schnellen Gitarrenriff ab, wie ihn Iron Maiden seit Jahre vergeblich versuchen, auf den Punkt zu bringen. Der erste Teil des temporeichen Songs besteht aus einer klassischen Strophenkonstruktion. Nach den ersten Soligewittern und einem göttlichen Break (wohl dem heimlichen Höhepunkt des Gesamtwerkes) folgt der zweite, leidenschaftlichere Part dieses Hammers. Er wird bis kurz vor dem Ende von wirbelnden Doublebass-Offensiven begleitet.
Wie eindringlich eine Stimme auch als Instrument eingesetzt werden kann, zeigt Mustaine in "Of Mice And Men". Eine phantastische Gesangslinie brennt er da über das Riffgewitter. Ab jetzt nimmt der Trommler für die Strophen immer kurz den Druck raus. Aber nur, um das jeweils anschließende Solo noch intensiver zu akzentuieren. In dem Song erzählt Dave über die Hölle, durch die er in den vergangen Jahren geschritten ist:
At twenty-five I was surprised, that even I was half alive.
Somehow I managed to survive, I felt my body doing time.
And in my back a hundred knifes, from my friends at twenty-five.
Auf dem von Mustaine selbstkonzipierten und von einem gewissen Mike Learn gestalteten Coverbildchen sind diverse Kreaturen aus dem US-Government zu erkennen. Dieser Bush-Vogel und ein paar Gestalten aus seiner seltsamen Clique stehen in einer Schlage vor dem allseits beliebten Bandmaskottchen. Der "Praktikantinator" ist nebst Frau auch verewigt. Das Booklet an sich ist ein anständiges 16-Seitigen Heftchen mit gut lesbaren Songtexten und einige morbiden Illustrationen.
Der Sound der Produktion ist dynamisch, klar und kraftvoll, ohne erstickend bombastisch zu sein. So muss eine Scheibe klingen, die für mich zu den besten Veröffentlichungen ihres Genres in dieser Dekade zählt.
Fazit:
Megadeth bringen den Heavy Metal mit dieser Platte weiter voran, als Hammerfall und Konsorten ihn jemals haben zurück werfen können. Mustaine serviert ein Gemetzel, so richtig für das dritte Jahrtausend. Eine Platte zum anhören, zum mitfühlen, zum Aggressionen abbauen, aber insbesondere auch zum Aggressionen aufbauen. The System Has Failed ist der Sargnagel für jede Party. (Außer für ein Nihilistentreffen, schätze ich.) Aber volle Pulle zu Hause, im Stau oder nach "Schlaflos in Seattle" reizt dieses Ding bis aufs Blut.
Um den Kreis zu schließen:
Diese CD ist ein Meilenstein Dave Mustaines, des "Dylan from Hell"
Spielzeit: 48:36, Medium: CD, Sancuary Records, 2004
1:Blackmail The Universe, 2:Die Dead Enough, 3:Kick The Chair, 4:The Scorpion, 5:Tears In A Vail, 6:I Know Jack, 7:Back In The Day, 8:Something That I'm Not, 9:Truth Be Told, 10:Of Mice And Men, 11: Shadow Of Deth, 12:My Kingdom
Olli "Wahn" Wirtz, 01.11.2004
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