Mein Kollege Mike und ich sitzen in der prallen Sonne vor dem Berliner Tempodrom und warten geduldig auf Doors Open. Uns wird zu heiß, und wir bewegen uns in das kleine angrenzende Restaurant. Durch die Fensterscheiben beobachten wir den Andrang vor der Konzerthalle, die erst vor kurzem mit dem Award der besten Location 2012 ausgezeichnet wurde. An dieser Stelle einen herzlichen Glückwunsch vom Redaktionsteam. Andrang, welcher Andrang, fragen wir uns bereits nach wenigen Minuten? Liegt es an der Urlaubszeit, den hohen Ticketpreisen, oder daran, dass Mike And The Mechanics erst im vergangenen Herbst in Berlin waren? Wir verteilen den Grund der mangelhaften Nachfrage auf alle Argumente und freuen uns dennoch auf einen sehr schönen Abend.
Beim Betreten der Halle bietet sich uns ein trauriges Bild. Wenn ich mich nicht allzu sehr verzählt habe, dürften gerade einmal sechshundert Personen den Weg in den Betonzeltbau gefunden haben. Die Hälfte steht locker im Innenraum, und der Rest verteilt sich sehr übersichtlich auf die Ränge. Als meine Fotosession nach den ersten drei Songs vorbei ist, gehört uns beiden ein ganzer Block völlig alleine. Wären die Sitze nicht so hart, könnten wir das Konzert bequem im Liegen genießen.
Mike Rutherford wird es vermutlich ebenso wenig gefallen haben, ist er doch zusammen mit Genesis Stadionkonzerte mit 100.000 Besuchern gewohnt. Was muss einem gestandenen Musiker, der Songs für die Ewigkeit komponiert hat, bei der Kulisse durch den Kopf gehen? An seiner Musik kann es nicht liegen. Seine Stücke mit diesem Nebenprojekt sind massentauglich, und er feuert auch heute Abend wieder einen Hit nach dem anderen ab. Vermutlich aus Frust über die misslungene Tour hält sich Rutherford mit Interviews zurück. So wird unserer Anfrage leider keine Beachtung geschenkt. Oder mag er sich nicht meinen unangenehmen Fragen stellen, wie zum Beispiel, weshalb er nicht wieder auf Ray Wilson als Sänger für Genesis zurückgreift, nachdem Phil Collins erneut seinen Abschied bei der letzten Tour gefeiert hat?
Oder ob er damals die 'Mechaniker'-Band aus Langeweile gegründet hat? Jetzt hätte er die Gelegenheit gehabt, alle Fakten auf den Tisch zu legen. Aber da er ja öfter in Berlin spielt, werde ich mit Sicherheit beim nächsten Mal erneut bei ihm anklopfen.
Wenden wir uns aber nun der Musik zu, und dem Ablauf des Abends. Mit fast fünfzehn Minuten Verspätung betritt die Band die spärlich ausgestattete Bühne. Den Hintergrund bildet ein schwarzer Vorhang, vor dem Drummer Gary Wallis thront, der auf seinem schönen DW-Set eine beachtliche Leistung absolviert. Er ist sogar so übermotiviert, dass er bei einem eingespielten E-Drum-Intro einfach mittrommelt und erst nach einem Zeichen von Rutherford seinen Fauxpas bemerkt. Seit Ende letzten Jahres reparieren 'Mikes Mechaniker' direkt auf der Straße. Die aktuelle CD "The Road" ist seitdem im Handel, aber die Hoffnung, dass ein wesentlicher Teil der Show damit bestritten wird, beschränkt sich auf lediglich zwei Songs. Der erste Track der neuen CD, "Try To Save Me", ist zwar ein Mitreißer, aber der Titelsong "The Road", als Akustikversion dargeboten, kann an diesem Abend nicht punkten. Bei der Abfolge der Stücke scheint die Band auch kein glückliches Händchen zu haben. Immer dann, wenn es spannend wird und richtig zur Sache geht, folgt ein ruhiges Stück, und die Stimmung ist wie weggewischt. So ist es besonders nach dem Genesis-Klassiker "I Can't Dance", der zusammen mit "Silent Running" die beste Nummer des Abends war, aufgefallen. Das folgende "The Living Years" war einfach zu schwach. Wie es sich auch Gitarrengott Carlos Santana bereits des Öfteren gemacht hat, bringen Mike And The Mechanics nun ebenfalls zwei Sänger auf die Bühne und dabei mit Roachford Farbe ins Spiel.
Roachford, werden sich jetzt die Nichteingeweihten fragen, kommt mir doch bekannt vor? Richtig, dieser Sänger war in den Achtzigern und Neunzigern mit einigen Chartplatzierungen im Gespräch. Seine Anwesenheit belebt auf jeden Fall das Gesamtbild. Er ist ein sehr guter Entertainer und versteht es stets im richtigen Moment die erwarteten Posen abzuliefern. Anfangs etwas zurückhaltend hinter seinem Keyboard, taut er auf, als die schnellen Stücke laufen. Die Bühne ist definitiv sein Wohnzimmer, das er sich aber sehr gut mit Sänger Nummer zwei, Tim Howar teilt.
Beide Stimmen sind grundverschieden. Howar ist für die ausdrucksstarken Songs verantwortlich, und seine passt auch besser zu den Genesis-Nummern. Roachford dagegen klingt oft sehr funky, wie zu alten Disco-Zeiten und verfälscht somit die Hits der 'Mechaniker'. Beide bemühen sich nach allen Regeln der Kunst, das wenige Publikum zu animieren, beißen dabei leider des Öfteren auf Granit. Mir unverständlich, da fast jeder Song ein bekannter Hit aus dem dreißigjährigen Bandbestehen ist - also eigentlich ein Best-of-Konzert.
Herausragende Momente gibt es in den neunzig Minuten trotzdem so gut wie keine. Niemand der sechs Musiker hat die Gelegenheit, sich durch ein Solo zu profilieren. Selbst Mike Rutherford hält sich stets zurück, und kommt nur bei "Over My Shoulder" etwas in Bewegung. Sein Hauptinstrument an diesem Abend ist die Stratocaster, welche er nur für vier Songs gegen einen Bass tauscht. Sein Kollege Anthony Dennan bedient ebenfalls abwechselnd beide Instrumente und ist dabei auch nur sehr selten am Bühnenrand zu bewundern. Mastermechanic Rutherford hält seine Gesellen alle an der kurzen Leine. Keyboarder zwei, Luke Juby macht sich zwischendurch am Saxofon sehr gut. Einmal greift er, oh Wunder, ebenfalls zum Bass, und Kollege Roachford macht es sich für ein paar Minuten hinter dem Drumset gemütlich. Ich bekomme plötzlich das Gefühl, dass die Band den Abend als Zeitvertreib sieht, und die Bühne ist dabei ihr Spielplatz. Einige Stücke lang, kurz vor dem Zugabenblock, scheinen die sechs Musiker alles nur als Jam-Session zu betrachten. Es wird plötzlich herumgealbert, beide Sänger jagen sich gegenseitig über die breite Bühne, Gary Wallis macht hinter seinem Set Faxen, und der Luke Juby stützt gelangweilt seinen Kopf auf die Hand. Da muss man als Zuschauer direkt noch dankbar sein, dass die Jungs zwei Zugaben geben.
Ich möchte nicht sagen, dass das Konzert langweilig ist. Im Gegenteil, die Songs sind durchweg gut, und ich freue mich, alle Hits von Mike And The Mechanics zu hören. Zu ruhig ist der aus drei Liedern bestehende Akustik-Block in der Mitte der Show, der auch noch von allen im Sitzen gespielt wird. Würde das Tempodrom ausverkauft sein, dann wäre die Stimmung auch top. Die Band hat das gemerkt, gibt trotzdem ihr Bestes. Sie sollten ein paar Jahre Berlin auslassen, um die Fans wieder heiß zu machen. Beim nächsten Mal wird es besser, und bei günstigeren Preisen, sowie einer bekannten Vorband, kommen auch mehr Leute.
Line-up:
Mike Rutherford (guitar, bass, backing vocals)
Andrew Roachford (vocals, keyboards)
Tim Howar (vocals)
Anthony Dennan (guitar, bass)
Gary Wallis (drums)
Luke Juby (keyboards, saxophone, bass)
Setlist:
Beggar On A Beach Of Gold
Get Up
Try To Save Me
Another Cup Of Coffee
Throwing It All Away
This Generation
The Road
A Time And Place
Everybody Gets A Second Chance
Silent Running
Cuddly Toy
Follow You, Follow Me
I Can't Dance
The Living Years
All I Need Is A Miracle
Over My Shoulder
Word Of Mouth
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