Ich sag es gleich vorneweg. Mit wirklich live hat dieser Konzertmitschnitt ungefähr so viel zu tun wie US-Amerikaner mit gesundem Essen.
Ehrlich gesagt, ist dieses nachträglich brutalst überproduzierte Teil eigentlich eine Frechheit.
Der Sound, der einem durch die heimische Anlage entgegen ballert, klingt so dermaßen steril und klinisch, dass selbst Live- bzw. Ministry-Neueinsteigern sofort klar werden sollte, dass es sich hierbei NIEMALS um ein Livedokument handeln kann!
Sorry, Uncle Al, aber wenn du es nicht mehr gebacken bekommst, eine richtige Live-Performance auf die Beine zu stellen, solltest du dir überlegen, ob nicht langsam Schicht im Schacht für dich ist.
Damit ist nur der Frontmann dieser legendären Formation gemeint, besonders wenn die Kamera auf den mittlerweile bis unter die Haarwurzeln zugehackten und mit seinen Augenbrauenpiercings ziemlich lächerlich aussehenden Junkies zielt, denn dann bemerkt der aufmerksame Zuschauer, dass, wenn Al zu singen anfängt, entweder der Totenschädel, den er am Mikro hängen hat, genau vor seinem Mund auftaucht oder wenn von der Seite gefilmt wird, irgendein Effekt erscheint, um zu überdecken, dass der Herr seine Texte eigentlich gar nicht mehr beherrscht bzw. irgendwas ins Mikro brüllt.
Die restlichen Mucker machen schon einen guten Job. Besonders die Saitenfraktion lässt es ordentlich knacken und krachen. Vor allem die Gitarristen müssen Handgelenke aus Gummi haben. Ganz großer Rechte-Hand-Alarm. Respekt! Allerdings ist auch hier die Überproduktion ärgerlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass hier einer der unterbewertetsten (und leider mittlerweile verstorbenen) Thrash-Saitenhexer, Mike Scaccia, zu sehen ist.
Auch Drummer Aaron Rossi rührt ordentlich die Kessel, einzig dem Tastenmann möchte man das eine oder andere Mal das Keyboard abnehmen, besonders wenn er in den sowieso recht wenig vertretenen Klassikern endlos mit ein und demselben Sample nervt, das da gar nichts zu suchen hat. So wie bei "Just One Fix". (Anmerkung am Rande: Ist eigentlich irgendjemandem mal aufgefallen, dass sich bei diesem Riff eine gewisse Band aus Ost-Berlin kräftig bedient hat??? Ich sag nur "Du Hast"!)
Optisch gibt es, wie bei fast allen Ministry-Shows nix zu meckern. Besonders der Beginn der Show ist klasse gemacht, denn die Videoeinspielungen wurden toll in den Aufritt hineingeschnitten. Also da gibt's definitiv nichts dran auszusetzen.
Nur die magere Spielzeit von nicht mal einer Stunde und das leider nicht wirklich gegen die ollen Hymnen der Band bestehende Neuzeitgeballer plus der sterile Kacksound schmälern das Sehvergnügen.
Mann Al, ich hab einen ganzen Arschvoll Video-Bootlegs von deiner Band aus den 80ern, auf denen DU! und deine Mannschaft einfach nur GEKILLT haben!!! Da war zwar die Bildqualität scheiße, aber irgendwie hatte man nicht das Gefühl, einer Ministry-Karaokeshow zuzuschauen.
Und so ein bisschen Nostalgie gibt es dann wenigstens auf der Bonus-DVD Wacken 2006 auf. Bild sowie Ton sind hier zwar bescheiden, aber wenigstens kommt Livefeeling auf. Und auch hier kann man nochmals einen mittlerweile toten Mucker bewundern, nämlich Paul Raven.
Und der Rest der Saubande ist auch nicht von schlechten Eltern (siehe Line-up 2006). Die Setlist unterscheidet sich auch etwas mit der von 2012, bietet mit knappen 75 Minuten aber auch nicht gerade abendfüllende Unterhaltung.
Aber!!!! Und nun kommt das große aber. Wenn man so dumm oder unüberlegt handelt und beide Mitschnitte in eine Box klatscht, wie hier geschehen. Und wenn der Rezensent auch noch beide Gigs nacheinander schaut, kommt man sich doch irgendwie verarscht vor.
Sollten Ministry sich in sechs Jahren so dermaßen soundmäßig gesteigert haben? Hab ich was nicht mitbekommen? Ist die Aufnahmetechnik in den letzten sechs Jahren so durch die Decke gegangen, dass man live von Konserve nicht mehr unterscheiden kann?
Abschließendes Fazit: Wenn man wie ich das Treiben des Mister Jourgensen schon seit Mitte der 80er verfolgt, bleibt ein recht fader Nachgeschmack. Neueinsteiger dürften mit "Enjoy The Quiet - Live At Wacken 2012" recht glücklich werden. Alte Industrial-Fans und so sture Hurenböcke wie ich sollten lieber bei ihren ollen Kamellen bleiben.
Zumal das Disc-Menü genauso langweilig gehalten ist wie Uncle Als Bühnenperformance. Interviews und dergleichen sucht man auch vergebens. Naja, ist vielleicht auch besser so. Behalten wir Fans Jourgensen lieber so in Erinnerung wie er früher mal war: Ein Vordenker, Individualist, eine Szeneikone und kranker Frontweirdo, der noch wusste, was Innovation bedeutete.
Ach ja, auf der Hülle steht so schön: »So warm-up your Fat-Screen Tee-Vee, Make Sure the Speakers are set to Neighbourannoy Mode and watch Uncle Al & Co. Stomp into your Living Room and Piss on your Rug in Glorious DVD Technicolor«. Naja, fürs richtige Teppich pissen reicht das aber nicht, wahrscheinlich hat's Al mit der Prostata, denn das ist nur ein schwächelndes Tröpfeln gegenüber früher...
Line-up 2012:
Al Jourgensen (Gesang, Gitarre)
Mike Scaccia (Gitarre)
Sin Quirin (Gitarre)
John Bechdel (Keyboards)
Casey Orr (Bass)
Aaron Rossi (Schlagzeug)
Line-up 2006:
Al Jourgensen (Gesang, Gitarre)
Mike Scaccia (Gitarre)
John Bechdel (Keyboards)
Paul Raven (Bass)
Joey Jordison (Schlagzeug)
Tracklist |
Wacken 2012
01:Ghouldiggers
02:No "W"
03:Rio Grande Blood
04:LiesLiesLies
05:99 Percenters
06:Life Is Good
07:Waiting
08:Relapse
09:New World Order (N.W.O.)
10:Just One Fix
11:Thieves
Bonus: Wacken 2006
01:Fear Is Big Business
02:Señor Peligro
03:No "W"
04:Rio Grande Blood
05:The Great Satan
06:Waiting
07:LiesLiesLies
08:Worthless
09:Wrong
10:New World Order (N.W.O.)
11:Just One Fix
12:Thieves
13:Khyber Pass
14:Psalm 69 |
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