Molly Hatchet - Justice
Justice Spielzeit: 66:48
Medium: CD
Label: SPV/Steamhammer, 2010
Stil: Southern Rock

Review vom 18.05.2010


Steve Braun
Ob Southern Rock tot oder quicklebendig ist, darüber mögen sich die 'Haarspalter' streiten. Für mich ist es nach wie vor ein Fest, wenn eine der wenigen überlebenden 'klassischen' Bands mit einem neuen Silberling aufwartet.
Molly Hatchet traten erst in Erscheinung, als diese ominöse Convair 240 in die Sümpfe nahe McComb, Mississippi gestürzt war und die gesamte Southern Rock-Szene in kollektive Depression stürzte. Wahrscheinlich fiel es dieser Band deshalb wesentlich leichter, sich bis in heutige Tage nahezu ohne Unterbrechungen in Topform zu halten.
Wie es sich allerdings für eine Southern Rock-Band gehört, wurde auch Molly Hatchet von Todesfällen und Besetzungswechseln gebeutelt, sodass zeitweilig kein einziges Originalmitglied mehr auf der Bühne stand, wenn man berücksichtigt, dass John Galvin in den ersten Jahren nur im Hintergrund tätig war.
So konnte man 2005 durchaus ketzerisch fragen, ob die seinerzeit gegründeten Gator Country nicht die 'wahren' Molly Hatchet seien, hatten diese doch mit Duane Roland, Jimmy Farrar, Bruce Cump, Steve Holland und Riff West immerhin fünf Ehemalige an Bord. Solange diese Formation allerdings außer einer (sehr gelungenen) Live-Scheibe nichts Zählbares zustande gebracht hat, wollen wir die Legitimität der Ingram'schen Molly Hatchet allerdings nicht anzweifeln.
Nun hat ja wenigstens mit Dave Hlubek wieder ein 'echtes' Gründungsmitglied zu Hatchet gefunden. Allerdings ist gerade jener immer wieder ein Aufhänger für kontroverse Diskussionen. Das vorliegende "Justice" hinterlässt in diesem Punkt mehr Frage- als Ausrufezeichen. Kann, will oder darf Mr. Hlubek nicht mehr zeigen? Wir reden hier immerhin von dem Komponisten von Klassikern wie "Bounty Hunter" und "Gator Country" oder dem königlichen "Fall Of The Peacemakers". Kompositionen von ihm auf "Justice"? Fehlanzeige!
Wie seine Aktien derzeit bei Hatchet stehen, davon konnte sich der Schreiber dieser Zeilen 2008/2009 ein eigenes Bild machen. Dave Hlubek stand am linken Bühnenrand und durfte den 'Balljungen' für Bobby Ingram, dem neuen Kopf der Truppe, geben. Nicht ein einziges Solo, noch nicht einmal für "Fall Of The Peacemakers", fiel für den mittlerweile kolossal Übergewichtigen ab.
War es in Anfangstagen eine gleichberechtigte 'Guitar Army' von Duane Roland, Steve Holland und dem jetzt Kalt- oder wenigstens Kühlgestellten, so regiert heute - live wie auf "Justice" gleichermaßen - der 'Sonnenkönig' Bobby Ingram. Bevor allerdings der Leser eine Schmährede vermutet, möchte ich insistieren, dass es Molly Hatchet ohne Mr. Ingram schon lange nicht mehr gäbe. Atmosphärische Störungen möchte ich schon deshalb nicht unterstellen, weil Dave in den Credits ausdrücklich »Mr. Robert Ingram« dankt. Nach einer ganzen Reihe von persönlichen Problemen war es wohl die Arbeit in der angestammten Band, die einen Rettungsanker in seinem Leben bedeutete. Umso schlimmer für ihn, dass seine Frau Jeannie kürzlich verstorben ist.
Um ein letztes Mal auf Bobby Ingram zurückzukommen: Dessen handwerklichen und kompositorischen Fähigkeiten stehen außerhalb jeglicher Diskussion und deshalb mag man ihm gerne seine Führungsrolle zugestehen. Zudem steuerte er Molly Hatchet auf einen deutlich härteren Kurs, was die Band auch für Metal-Hörer interessant machte. In Phil McCormack hat er einen Partner gefunden, der seinen musikalischen Southern Rock-Perlen authentische Texte verpassen kann. Leider kann man dem Mann mit dem manischen Blick nicht bescheinigen, dass seine Stimmbänder für gesangliche Hochseilartistik ausgelegt wären. So grölt sich McCormack in gewohnter Manier durch "Justice" - mir persönlich gefällt so ein Whiskey-gegerbtes Organ, zumal seine Art zu singen in der Tradition eines Danny Joe Brown steht.
Wer von Molly Hatchet 2010 erwartet, dass sie sich neu erfinden, möge sich besser das Weiterlesen ersparen. Sie bieten genau das, was 'Fan' von ihnen erwartet: Raubeinige Boogie-'Knüppel', epischen Stoff mit vielfältigen 'double leads' und reichlich pathetische 'Grütze', "American Pride" eben. Gemessen an dem 2008er Vorgänger "Southern Rock Masters", mit dem die Band kreativ auf der Stelle trat, macht man sogar wieder einen Schritt nach vorne. So schön ihre Coverversionen von Klassikern der Eagles, ZZ Top und Mountain oder so 'southern rock-typischen' [Der Leser möge sich bitte das 'Smiley' denken] Stones-Songs auch waren, besonders aufregend waren diese so genannten Southern Rock Master(pieces) nicht. "Justice" birgt wieder richtig authentischen Southern Rock mit reichlich Zündstoff ...
Man kann das hier vorliegende Album fast als ein Konzeptalbum begreifen, denn der gesellschaftliche Wert 'Justice' (Gerechtigkeit) zieht sich durch nahezu sämtliche Songs. Gewidmet ist "Justice" der kleinen, armen Somer Thompson. Das siebenjährige Mädchen verschwand am 19. Oktober 2009 auf ihrem Heimweg von der Schule und wurde zwei Tage später auf einer Müllhalde (!!) in Georgia tot aufgefunden. Ingram und McCormack schrieben daraufhin den Song "Fly On The Wings Of Angels" und veröffentlichten diesen zunächst als Single, deren gesamter Erlös der Somer Thompson Foundation zu Gute kam. Zudem spielte man kurz darauf ein Benefizkonzert in Orange Park, Florida und diese Einnahmen, etwa $45.000, wurden in einen Fonds der Justiz für eine Belohnung zur Ergreifung des Täters eingezahlt.
Die Albumversion beginnt mit dem Kinderlied "You Are My Sunshine", von Somers älterer Schwester Abigail gesungen. Es war das Lieblingslied des ermordeten und geschändeten Mädchens ...
Mit knüppelhartem Southern Boogie eröffnet "Been To Heaven - Been To Hell" das Album. Ganz sicher wird dies wieder ein echter Live-Reißer. "Save My Skin" kann man leicht als 'Füllstoff' betrachten, dafür ist "Deep Water" nicht nur wegen der treibenden 'double leads' ein Knüller. "American Pride" basiert auf einem Mörder-Riff und hat das Zeug zu einem weiteren Hatchet-Gassenhauer. John Galvins perlendes Piano lässt Erinnerungen an Billy Powell erwachen. Überhaupt ist Galvin erfreulich präsent, was man live bekanntlich nicht behaupten kann. Auf der Bühne kann er sich gegen Ingrams 'Sound-Wände' kaum erwehren.
Mit mächtigem Pathos und 'singenden' Gitarrenläufen startet "Gonna Live 'til I Die". Das sind wirklich kurzweiligste achteinhalb Minuten - nicht nur wegen der ausufernden Gitarrenduelle könnte dies ein neuer Klassiker unter den genre-typischen Longtracks werden.
"Fly On The Wings Of Angels (Somer's Song)" ist natürlich fraglos kitschig, aber es ist ja schließlich für einen guten Zweck ... Die Power-Ballade "As Heaven Is Forever" kann man sicherlich nicht gerade als eine kompositorische Großtat bezeichnen; das ist solides Handwerk - nicht mehr, aber letztlich auch nicht weniger. "Tomorrows And Forevers" dümpelt auch etwas dahin, womit das Zwischentief auf "Justice" allerdings auch beendet ist.
"Vengeance" hat einen irren, unwiderstehlichen Zug nach vorne und auch die Riffs von "In The Darkness Of The Night" zünden gnadenlos. Das Beste sollte man sich bekanntlich für den Schluss aufheben - Molly Hatchet halten sich an dieses ungeschriebene Gesetz. Der Titelsong "Justice" stellt alle Songs zuvor in den Schatten. In der überaus epischen Dramaturgie etwas an "Saddle Tramp" erinnernd, ist Ingram/McCormack ein kleines Meisterwerk gelungen - der obligatorische 'Beschleunigungs-Pfiff' leitet die vierminütige Gitarrenschlacht nach "Free Bird"-Manier ein und hinterlässt den Hörer erstmal atemlos.
Molly Hatchet ist mit "Justice" ein richtig ordentliches Spätwerk gelungen. Ob die Scheibe an ihre Masterpieces wie "Devil's Canyon" oder "Silent Reign Of Heroes" heranreicht, mag der geneigte Leser selbst entscheiden. Besser als die letzten, doch etwas laschen Studioalben, "Kingdom Of XII" und "Warriors Of The Rainbow Bridge", ist's allemal ...
Line-up:
Phil McCormack (lead vocals)
Bobby Ingram (lead guitars, acoustic guitar, backing vocals)
Dave Hlubek (guitars)
John Galvin (keyboards, organ, backing vocals)
Tim Lindsey (bass, backing vocals)
Shawn Beamer (drums, percussions)
Abigail Thompson (vocals - #6)
Michael Bormann, Anke Renner, Tina Lux (backing vocals)
Tracklist
01:Been To Heaven - Been To Hell (4:33)
02:Safe My Skin (4:34)
03:Deep Water (5:38)
04:American Pride (3:58)
05:Gonna Live 'til I Die (8:32)
06:Fly On Wings Of Angels (Somer's Song) (8:07)
07:As Heaven Is Forever (4:45)
08:Tomorrows And Forevers (5:24)
09:Vengeance (6:25)
10:In The Darkness Of The Night (5:06)
11:Justice (8:38)
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