Paul McCartney / 03.12.2009, O2 World, Berlin
Konzert
Paul McCartney
O2 World, Berlin
03. Dezember 2009
Stil: Pop Rock
Konzertbericht

Artikel vom 13.12.2009


Grit-Marina Müller
McCartney spielt in Berlin. Ein kurzer, einfacher Satz. Eine klar strukturierte Aussage. Eine Information, die man fast beiläufig registriert. Wäre da nicht dieses Wort am Anfang:
McCartney? Paul McCartney? Paul McCartney von den Beatles?
Genau diese folgerichtige Herleitung ist es, die der eingangs formulierten Wort-Kombination schlagartig spektakuläres Gewicht verleiht.
Paul McCartneySir Paul, der seinen Jahrhundert-Eintrag im Lexikon für zeitgenössische Musik schon lange sicher hat, gewährt uns eine halbe Stunde Zeit zur Unterrichtsvorbereitung. Eine halbe Stunde, in der die Indoor-Stadion-Gemeinde der O2-World fleißig das kindlich-unruhige kommen-hinsetzen-wieder aufstehen-rausrennen-wiederkommen etc. übt. Eine halbe Stunde, in der der konzentrierte Beobachter aber ebenso das informativ-unterhaltsame Geschehen auf zwei großen Leinwänden verfolgen kann, von denen minutenlang zahllose John-Paul-George-Ringo-Fotos, Zeitungsschnipsel und auflockernde bunte Pop-Arts der großen Sechziger herunterrollen. Dazu dringen etwas gewöhnungsbedürftige, trocken-harte Dance-Sounds ans erstaunte Ohr, hinter denen man in der Tat die Klangmuster 'aufgepeppter' Beatles-Songs wahrnimmt.
Paul McCartney20:32 Uhr - Er erscheint. Der Lehrer, der Meister, der Conferencier, die Attraktion, der Beatle - der Mann des Abends. Ohrenbetäubender Jubel empfängt den elegant in Schwarz, lässig-flott winkend auf die Bühne spazierenden Paul McCartney. Der gibt, auf wörtliche Umwege verzichtend, gleich den brachial-hochverstärkten Startschuss zur "Magical Mystery Tour". Von einem Moment auf den anderen schnellt das längst besiegt geglaubte Pilzkopf-Fieber in die Höhe. Ohne Atempause geht's ab ins Auto. Die Rallye O2-Dakar brettert aus den Boxen. »Baby you can drive my car...« singt Mc, während ihm reihenweise heißeste Rennwagen um die Ohren fliegen. - Die gigantische Leinwand direkt im Rücken des führenden Piloten macht's möglich.
Paul McCartneyNach der Ziellinie dieses Beatles-Lieblings begrüßt uns Paul auf deutsch, erklärt, wie schön es sei, nach 16 Jahren wieder in Berlin zu sein. 16 Jahre - in unserer schnelllebigen Zeit ist das beinahe ein 'vorgestern'. Für die getreusten Fans in den dicht gedrängten Frontreihen muss es eine gefühlte Unendlichkeit sein. Die aufmerksame Geste bereitgestellter Stühle im Innenraum erfüllte den nützlichen Zweck, jegliche Dinge ablegen zu können und die Hände frei zu haben, um die Magie des Raumes zu umarmen. McCartney ist bestens gelaunt, macht am laufenden Band charmante Scherze, verteilt Schmeicheleien ans Publikum und bemüht sich um perfektes umgangssprachliches deutsch: »Seid ihr gut drauf?«, »Ihr seid dufte!« - was von den 17000 im weiten Rund natürlich frenetisch respondiert wird.
Paul McCartneyRaus aus dem Auto, raus aus dem Jackett und ab in die Luft steigt der Speedman mit dem Wings-Klassiker "Jet". Ein 'Vogel', der hervorragend motorisiert ist und rockt, was das Zeug hält. Die Fab Four-Chronologie der "Good-Evening-Tour" wird fortlaufend unterbrochen und bietet ein handfestes Überraschungsprogramm. "Only Mama Knows" ist so eine Überraschung vom vielbeachteten jüngsten Album des Ausnahme-Stars, "Memory Almost Full". Das federleichte, zauberhaft verspielte "Dance Tonight" aus dem selben Werk pfeift der sympathische 'Junge' vergnügt in die Arena. "Blackbird" ist eine dieser selten gespielten Beatles-Perlen, die den Mythos der 3. Dezember-Nacht 2009 fühlbar werden lässt und für vielfach leuchtende Augen sorgt. Mit gewissem Stolz vollführt McCartney weitere Flügelschläge seiner Wings, auf der Flucht mit "Band On The Run", "My Love" - die Liebeserklärung an Linda, und "Let Me Roll It". Letzteres elektrisiert die Soundsphären wie Hendrix, was den Entertainer hinterher prompt zu einer kleinen Jimi-Anekdote veranlasst, bei der Eric Clapton eine 'verschwindende' Rolle spielt und die Pointe auf seiner Seite hat.
Paul McCartneyElektrische Argumente titels "Highway" und "Sing The Changes" führt Paul McCartney wiederum ins rockende Roll-Feld. Sie liegen dem gleichnamigen Output "Electric Arguments" zu Grunde, das er unter dem Insidern bekannten Pseudonym The Fireman veröffentlicht hat. Hochkomplex und hochinteressant ist das Rock/Pop-Seminar von Professor McCartney, der den fantastischen Bogen seiner fachlichen Interessen, von klassischer Musik, über ultra-hip-getunte elektronische Experimente bis hin zum absoluten Heavy Rock beeindruckend weit zu spannen vermag und dabei stets das glückliche Händchen für ausgefallen-brillante Kompositionen aller Genres ins Spiel bringt.
Die Lehrmethoden des britischen Schlaukopfs basieren neben vielen genialen Adaptionen an den Zeitgeist verschiedener Pop-Epochen immer auch auf zwei wesentlichen Faktoren aus der unsterblichen Beat-Ära: Druck und Tempo! Deutlich wird dies - überdeutlich - beim direkt aus der Starkstromleitung gespeisten "Paperback Writer", das höllisch entfesselt ins gigantische Hallenareal donnert. Es ist nicht zu fassen, wird man sich bewusst, was für energiegeladene, kraftstrotzende, komprimierte 3 Minuten-Hochspannungs-Rockwunder ja damals schon, vor bald 50 Jahren, durch den Äther gejagt wurden.
Paul McCartneyHeute hören wir "Here Today", das Paul John widmet, der auf den Schwarz-Weiß-Fotografien im Hauswand-Format von der Big Screen lächelt. George ist auch gekommen, als die von ihm geschenkte Ukulele in McCartneys Hand "Something" spielt... Es rührt... zu Tränen... ob man will oder nicht.
Sentimentalität, die zur Stagnation führt? Im Fall des berühmten Liverpoolers droht seit der allerersten Beatles-Offenbarung "Love Me Do" keine diesbezügliche Gefahr. Es gibt wohl selten ein repräsentativeres Beispiel für permanente Entwicklung und innovative Kreativität als Paul McCartney.
Paul McCartneyDie Jungspunde in der Band des Beatle-Bassers haben keine Gelegenheit für Verschnaufpausen und schlagen sich, zwar fast namen- und gesichtslos, aber sehr wacker. Lediglich das wütende Tier an den Fellen und Becken ähnelt 'Little Buddha' und zieht ob seiner überzeugenden Arbeit und exotischen Erscheinung die Blicke auf sich. McCartney selbst wirkt top-fit und erinnert in seiner Agilität an den ungefähr gleichaltrigen Kollegen Mick 'Springball' Jagger. Die Stimme des 67-jährigen Fab Four-Quarters ist die des 25-jährigen. Kraftvoll, klar, souverän. Er wechselt die Instrumente wie Schokoladensorten am Probiertisch im Candy Store. Bass, Akustische, Elektrische, Mandoline, Ukulele - die von George, und selbstverständlich das Piano, nicht nur on the "Long And Winding Road"...
Paul McCartneyDie Abschluss-Party steigt beim Beatles-Festival im Zugabenteil. Und der weitet sich zum Extra-Konzert aus. Ein seufzendes " Ahh…" für "A Day In The Life" entgleitet den Intellektuellen im McLennon-Fan-Club. Es folgen "Give Peace A Chance", "Let It Be", "Hey Jude", "Day Tripper", "Lady Madonna", "Get Back"... Schlag auf Schlag - ein Repertoire das eben bis heute seinesgleichen sucht. "Live And Let Die" gerät zu einem musikalischen UND pyrotechnischen Feuerwerk! Der nachhaltige Duft brennender Luft dringt in die Nasen hinterster Reihen. Dann blicken wir zurück und erleben den stillen, akustischen Show-Höhepunkt von "Yesterday". Rückwärts - Vorwärts - "Helter Skelter" tanzt Headbangers Ball auf dem Roller Coaster. Angst? Achterbahn fahren mit Paul - eine totsichere Angelegenheit!
Nach phänomenalen drei Stunden und sagenhaften 35 Songs räumt "Sgt. Pepper" schließlich den Tatort und beendet dieses grandiose Spektakel. Lässig-flott winkend spaziert der Gentleman mit bzw. aus dem Lehrbuch von der Bühne. Er winkt nochmal... ein Autogramm für den Glücklichsten der Nacht... dann ist er weg... Wir haben ein Stück Ewigkeit berührt. Aber haben wir es begriffen?

Mein besonderer Dank geht an den Weihnachtsengel Fanny und an Beate Kriese von Semmel Concerts für die kurzfristige Akkreditierung.
Setlist:

Magical Mystery Tour
Paul McCartney Drive My Car
Jet
Only Mama Knows
Flaming Pie
Got To Get You Into My Life
Let Me Roll It
Highway
Long And Winding Road
I Want To Come Home
My Love
Paul McCartney Blackbird

Here Today
Dance Tonight And I Love Her
Mrs Vanderbilt
Eleanor Rigby
Band On The Run
Ob-La-Di, Ob-La-Da
Sing The Changes
Back In The USSR
Paul McCartney Something
I've Got A Feeling
Paperback Writer
A Day In The Life
Give Peace A Chance
Let It Be
Live And Let Die
Hey Jude
Day Tripper
Lady Madonna
Get Back
Yesterday
Helter Skelter
Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band
Paul McCartney     Paul McCartney     Paul McCartney
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