Zehn Jahre sind ins Land gegangen, die der kleine Drache Tabaluga mit Schlafen verbracht hat. Sein Wecker klingelt so heftig, dass er dabei in tausend Stücke zerbricht.
So beginnt das neue, und laut Peter Maffay letzte Werk der "Tabaluga"-Saga. Was vor fast dreißig Jahren mit einem improvisierten Tanztheater angefangen hat, endet in diesem Herbst in einer monumentalen Show. Unter der Regie von Altmeister Rufus Beck sowie durch Mitwirkung bekannter Schauspieler, Sänger und Sängerinnen wie Mandy Capristo, schickt Maffay seinen kleinen Drachen auf eine lange Reise in sein letztes Abenteuer.
Um den Zuschauern dieses Kunstwerk schmackhaft zu machen, haben Maffay und Beck zu einer Pressekonferenz in die Berliner O2 World geladen. Vertreter von Presse, Funk und Fernsehen sind in stattlicher Zahl angetreten, aber unter all den Kollegen steche ich dem Altrocker Maffay besonders ins Auge. Natürlich trete ich ihm im Harley-Outfit gegenüber, denn ich weiß, dass er ebenfalls dieser Marke treu ist und bekanntermaßen einige Jahre Mitbesitzer des Hamburger Vertragshändlers war.
Mit zwei anderen Kollegen der schreibenden Zunft warte ich vor der gigantischen Halle, als nur hundert Meter weiter ein PKW vorfährt, und Peter Maffay in Begleitung seines Managers aussteigt. Beide kommen schnurstracks auf uns zu, begrüßen uns per Handschlag, und er beginnt sofort mit uns zu plaudern. Trotz Stiefel wirkt er gegen meine bescheidenen 170 cm immer noch sehr klein. In dem Moment frage ich mich, wie dieser zierliche Mann eine fast vierhundert Kilo schwere Harley rangieren kann. Natürlich fällt sein Blick sofort auf mich, und er fragt welches Modell ich fahre. Inzwischen hat sich aber eine Traube von Fotografen um ihn versammelt, und ich kann ihm gerade noch zuraunen, dass wir das Gespräch auf später verschieben, wenn es etwas ruhiger geworden ist. Um dem kühlen Wind endlich entfliehen zu können, wird der ganzen Truppe von innen die Tür geöffnet. Mit zwei Aufzügen geht es in den Blue Room, einen eigens dafür präparierten VIP-Raum für Pressekonferenzen. Kurz die überflüssigen Sachen abgelegt, schon geht es weiter in eine VIP-Loge in der Halle. Mir offenbart sich ein fantastischer Blick in den Innenraum, in dem gerade die Bühne für den nächsten Top-Act vorbereitet wird. Mittlerweile ist Rufus Beck zu uns gestoßen. Eher unscheinbar und leger im Karohemd gekleidet, postiert er sich neben Maffay zur gemeinsamen Fotosession mit der Halle im Hintergrund und "Tabaluga"-Plakat in der Hand. Immer mehr Fotografen stoßen dazu; das Blitzlichtgewitter wird zum Dauerfeuer. Maffay greift ein, und bittet die Fotografen der Reihe nach abzudrücken. Mit solch einem Andrang habe ich selbst auch nicht gerechnet, aber die beiden bleiben ganz cool und lassen alles über sich ergehen.
Anschließend geht es zurück in den Blue Room, zum Buffet. Die schwer arbeitenden Presseleute sollen ja nicht unter der Last ihrer großen Kameras vom Fleisch fallen.
Maffay und Beck stehen erneut für Fotos bereit. Nach weiteren zwanzig Minuten des Ablichtens findet jeder der Reporter einen gemütlichen Platz auf den zahlreichen weißen Leder-Sitzgelegenheiten. Maffay ist der Wortführer und beginnt mit akribischer Detailtreue die kommende "Tabaluga"-Tour zu erklären. Es wird auch nichts ausgelassen. Von der Idee, über die Technik, bis zu den kleinsten Feinheiten wird alles präzise erklärt. Nebenbei bedient Rufus Beck einen PC, der wiederum mit einer Videoleinwand verbunden ist, auf dem alle Kapitel der Show bis zum letzten Staubkrümel gezeigt werden. Diese Offenheit habe ich nicht erwartet. Ich beobachte die beiden Hauptprotagonisten dabei, während meine Videokamera alles im Bild festhält. Mit großem Stolz erzählen beide abwechselnd, wie die technischen Tricks der Show entstanden sind, wie sie funktionieren, und welche Gefühle dabei bei den Zuschauern geweckt werden sollen. Längst ist "Tabaluga" nicht nur etwas für die Kleinsten unter uns.
Da seit der Veröffentlichung der ersten "Tabaluga"-LP mittlerweile fast dreißig Jahre vergangen sind, sind natürlich die ersten Fans von damals längst selber Eltern, und wandern mit ihren Sprösslingen zu den Konzerten. Laut Maffay soll es so sein. Er will die Erwachsenen für zwei Stunden in eine Traumwelt entführen, will erreichen, dass jeder an seine Kindheit denkt und in seinen Vorstellungen noch einmal seine Träume durchlebt, sich einfach daran erinnert, wie schön es war, ein Kind gewesen zu sein. Dass er es mit dieser Show erreichen wird, steht für mich nach dieser ausführlichen Präsentation außer Frage. Damit die Zuschauer dabei auch nicht nur untätig im Parkett sitzen, wird der Bühnenaufbau so gestaltet, dass der komplette Innenraum mit eingebunden wird. Die Aufführung findet praktisch auf mehreren kleinen Bühnen mitten im Publikum sowie auf einer gigantischen Multifunktionsbühne im Hintergrund statt. Maffays Hausband liefert dazu die musikalische Untermalung und natürlich greift er selbst ebenfalls zum Mikrofon. Neben ihm stehen noch weitere bekannte Größen auf dem Podium. Außer den bewährten Hauptdarstellern wie Rufus Beck als Magier und Heinz Hoenig als Arktos, treten weiterhin Mandy Capristo als Zeit, Ben Becker und je nach Spielort Der Graf von Unheilig als Tod sowie Sissi Perlinger, Barbara Schöneberger und viele andere auf, mit denen zur Zeit noch Gespräche geführt werden. Es wird also ein Riesenspektakel, bei dem sich die Stars die Klinke in die Hand geben. Und was haben die Kinder davon? Fragt sich jetzt bestimmt jeder. Neben berauschenden Bühnenbildern und atemberaubenden Effekten, werden die Kinder dazu aufgefordert, die verschiedenen Bühnen zu erklimmen, um ihrem Lieblingsdrachen einmal ganz nahe zu sein, oder einfach nur einmal im Rampenlicht zu stehen. Vielleicht erinnern sie sich in dreißig Jahren auch wieder daran, und erzählen es ihren eigenen Kindern.
Maffay hat mich mit seinen Ausführungen so fasziniert, dass ich, obwohl kinderlos und keine Freund von Musicals oder Gute-Nacht-Geschichten, mir die Show ansehen werde. Ich bin total neugierig auf den Ablauf und die tollen Effekte, und werde mich auch mal für einen Abend in eine Traumwelt entführen lassen.
Der Vortrag der Beiden ist nach neunzig Minuten beendet, und nun stehen sie für Privatgespräche zur Verfügung. Zu meinem Glück verlassen die meisten Presseleute die Veranstaltung, und ich kann mir Peter in Ruhe schnappen. Wir können nun endlich über unser Hobby fachsimpeln, persönliche Fotos machen sowie meine Platten und CDs signieren. Er ist ein extrem angenehmer Mensch, bodenständig, höflich und zuvorkommend. Ich hätte gerne länger mit ihm geplaudert, aber diese ungeduldigen Manager holen einen immer aus trauter Zweisamkeit, in dem mit dem Finger auf die Rolex gepocht und somit das Zeichen zum Beenden signalisiert wird. Auf die letzte Frage, weshalb er mit "Tabaluga" aufhören will, antwortet Peter Maffay, dass er wieder mehr Rock-Musik machen möchte und für die Zukunft jede Menge Pläne hat.
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