Roger McGuinn / 11.07.2009, Passionskirche, Berlin
Live
Roger McGuinn
Passionskirche, Berlin
11. Juli 2009
Stil: Folk Rock
Konzertbericht



Artikel vom 17.07.2009


Grit-Marina Müller
Nein, nein, nicht nur die 12! Eine 7-String hat er mitgebracht und erklärt begeistert, wie er seinem neuen Gitarrenliebling dennoch den verblüffend klangnahen, spektakulären 12-String-Effekt entlockt.
Roger McGuinnRoger McGuinn fühlt sich sichtlich wohl in seinem Element. Der überaus sympathisch bescheiden auftretende Folk-Outlaw, der die Wurzeln amerikanischer Volksmusik seinerzeit Byrds-universal elektrifizierte und damit ein Universum elektrisierte, ist zurückgekehrt. Zurück zum ursprünglichen, simplifizierten Ausgangspunkt seines einst sensationellen Erfolgsfluges reist der schillernde Repräsentant der Back-to-the-roots-Botschaft seit einigen Jahren inklusive federleichtem Bühnengepäck in aller Herren Länder und besinnt sich, hochgelobt wie vielbeachtet, mit großer Leidenschaft auf das - Wesentliche.
Roger McGuinnKein Ort scheint geeigneter, die weltumspannend intentionierte 'Mission McGuinn' zu umrahmen als die Passionskirche in Berlin mit ihren pittoresken, bleiglasverzierten Fenstern und der mächtigen mosaikstrukturierten Halbkugel, eingefügt als Abbild des Sternenhimmels in der Kuppel des Kirchturms. Eine geradezu brillante, symbolhafte atmosphärische Schlichtheit inszeniert das beinahe zweistündige Sakrament des folkrevolutionären Vermächtnisses der faszinierenden Byrds in ihrer tief inspirierten Verbeugung vor Woody Guthrie und Pete Seeger, deren künstlerisch-traditionellen Weggefährten und Vorfahren.
Roger McGuinnPunkt 20 Uhr meint man, das Licht in den farbprächtigen Fenstern erstrahlen zu sehen, wenn die unwiderstehliche Akkordschleife aus Robert A. Zimmermans fabelhaftem Handlehrbuch der philosophischen Erkenntnis erklingt... »...I was so much older then, I'm younger than that now...« - Dylan-Leser McGuinn trägt "My Back Pages" buchstäblich auf den Saiten einer anmutigen, rot-weiß funkelnden Rickenbacker-Guitar durch die Eingangstür zum Altar seines spartanisch eingerichteten Auditoriums.
Roger McGuinnDiese 'Bühne' teilt der stattliche, samt kleiner roter Feder flott schwarz-behütete Space-Cowboy mit exakt zwei Gitarren und einem Hocker, auf dem er nach Beginn an sitzt... und singt!... Mr. Spaceman verführt gewiss nicht nur die Gehörgänge der augenblicklich rezensierenden Bewunderin mit einer unheimlich effektvollen, fein-melodiösen Vokalistik, wie man sie nicht für möglich halten will. McGuinns prädestinierte Folkstimme hätte in der fesselnden, infektiösen Essenz seiner solo-akustischen Performance nicht eindrucksvoller erlebbar sein können. Es ist einfach ein wahrer Genuss, ihm zuzuhören.
Sir Rogers stilübergreifendes Genie hält sich in diesem substanziellen Programm weit fern von Jam-extensiven Variationen. Des Meisters kompaktes Repertoire an dreiminütigen, ausnahmslos historisch brisanten, klang-puristischen Songkristallen aber birgt den wertvollen, glanzschimmernden Schatz eines der fantastischen Märchen aus Tausendneunhundertfünfundsechzig und einer Nacht...
"Chestnut Mare"... "5D"... "You Showed Me"... "All I Really Want To Do"... "So You Want To Be A Rock'n'Roll Star"... "He Was A Friend Of Mine"... "Ballad Of Easy Rider"... - Letzterem schickt er humoresk verzückt die Wonder-Story von Bob Dylans Servietten-Text für den Titel-Song jenes allzu bekannten 'Low-Budget-Movies' voraus: »Give that McGuinn!« lauteten die legendären mürrischen Worte des leicht enervierten Dylan bei der Weiterleitung des Stück Papiers mit den berühmten Notizen, die dann zu einer der schönsten Folk-Balladen aller Zeiten werden sollten.
Roger McGuinnAtemberaubend - schon fast erwartungsgemäß, darf man sagen - verzaubert natürlich das durch und durch perfektionierte, virtuose Saitenspiel des 67-jährigen folkloristischen Ausnahmeartisten unter den Populär-Gitarristen. Es findet seinen absoluten Höhepunkt zweifellos im deutlich variabler interpretierten, druckvollen, ja infernalischen "Eight Miles High"! Was der äußerst temperamentvoll agierende Byrds-Star hier vom Stapel lässt, füllt den Klangraum zum Bersten, macht sprachlos, wunschlos, zerreißt wohl jede innere Körperfaser und schießt in den acht Meilen hohen Himmel... Vor den Kirchtüren tobt die Feuerwerkshysterie im Pyromusikale-Fieber der selben Nacht in Berlin. Ein Zufall? Man möchte auf der Stelle durch alle Tore brechen und den sprichwörtlichen Aufstand anzetteln.
Roger McGuinn"Bells Of Rhymney" - unterhält der gut gelaunte Sonnyboy seine Zuhörer - sei von den Byrds immer falsch gesungen worden. Es müsse eher klingen wie "Rhomney", hätte ihm eines Tages eine Dame aus Wales per E-Mail geschrieben. Gelehrig diesem Hinweis folgend, so auch bei seinem nächsten Auftritt in Wales, habe er daraufhin allerdings herzliche Lacher geerntet, berichtet McGuinn amüsant. Doch auch heute abend beherzigt der vermutlich irisch-stämmige, charmante Entertainer die walisische Aussprache dieser wundervollen, lyrisch elegischen Pete Seeger-Komposition.
Roger McGuinnSeegers "Turn Turn Turn" faltet die Hände zum Gebet in diesen magischen Minuten in der Passionskirche, um schließlich "Mr. Tambourine Man" am Ende seiner einzigartigen Zeremonie die wahrscheinlich erste Heiligsprechung eines weltweit bekannten Folk-Liedes zu garantieren. Aber nein, es ist nicht das Ende - glänzende, leuchtende Augen und immer lauter werdende rhythmisch klatschende Hände fordern mehr. "Whole Lot Better" 'rockt' das Gotteshaus, "Chimes Of Freedom" beflügelt zeitlos die Sinne der unsterblichen Freiheitsliebe, bevor "May The Road Rise Up To Meet You" die aufgedrehte Gemeinde dieser überirdischen Andacht sanft in die Gegenwart des endgültigen Abschieds zurückbefördert.
Roger McGuinnEs gibt keinen Merchandise-Stand hier, kein T-Shirt zu kaufen, keine CD, keine Kaleidoskop-farbenen Devotionalien aus der Zeit der Flower Power-Romantik. Blumen jedoch, echte Blumen, schmücken den auserkorenen, bald wieder stillen Wallfahrtsort.
Irgendwann später in der Nacht dreh' ich die Volume-Knöpfe an den kopfinternen Boxen langsam auf null und beginne mir vorzustellen, wie es wohl sein würde... da capo Clark, McGuinn, Crosby, Hillman... sie stehen in dieser Kirche... die Finger bereit auf den Saiten, sie atmen ein, und..... Unfassbar! Unerfahrbar...
Roger McGuinns Leben ist wie das von Forrest Gump - er war immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen - habe man einmal über ihn gesagt, bekennt der Erfinder des metaphysischen Jingle-Jangle-Sounds und bestätigt, dass es sicher eine ganze Reihe großer "Forrest Gump"-Momente gegeben haben muss, die am Rad der McGuinn'schen Traum-Geschichte drehten, sei es der Anruf, der den damals Halbwüchsigen nach Los Angeles verpflichtete, seine Entdeckung durch
Bobby Darin oder die Begegnung mit Gene Clark...
Für mich, so steht es geschrieben, war der 11. Juli 2009 einer der "Forrest Gump"-Momente in meinem Leben.
Wir danken Axel aus Berlin für die großartigen Konzertfotos und Roger McGuinns Tourmanager Peter vom Concertbüro Franken für die hervorragende Zusammenarbeit und problemlose Akkreditierung.
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