Audienz bei einem Phantom
Eigentlich hätte alles so schön sein können, an diesem Abend jenseits der Finanz- und Spekulantenmetropole Mainhattan, um einen der wohl schwierigsten Künstler im Unterhaltungsgeschäft zu fotografieren und kommentieren zu dürfen.
Aber alle Hindernisse, welche die derzeit ungebändigte Natur auszuspielen vermag,
waren an dem Tag eben Trumpf. Eine ungebremste Weiblichkeit namens 'Sturmtief Emma', blies mit vereinter Kraft in die entgegengesetzte Richtung und ließ so manches Gefährt auf der A 4 tanzen bzw. herumwirbeln.
Irgendwie schafften wir es doch noch, wenige Minuten nach 20 Uhr, die ehrwürdige Jahrhunderthalle zu erreichen, um den geplanten Showstart des Enfant terrible des Konzertabends, Van Morrison, zu erleben.
Aber da hatten RockTimes und verspätete Konzertbesucher die Rechnung ohne die große Unbekannte gemacht. Denn genauso wie seine Liveauftritte, die einer Wundertüte gleich kommen, dirigiert und bestimmt er spontan den Ablauf seines aktuellen Programms. An diesem Abend hatte er sich dazu entschieden, schon schlag Acht (statt wie angekündigt, 20:15 Uhr) die Bühne für sich einzunehmen und das fotografische Set auf zwei Lieder zu limitieren.
Keine guten Vorraussetzungen dafür, mit absolutem Stimmungstief die bereits proppenvolle Lokalität zu betreten, um einen mürrisch grummelnden dreiundsechzigjährigen Nord-Iren zu begutachten, der zu Lebzeiten schon als Musiklegende gilt.
Sofort auffällig und noch nicht überall Standard, die völlig relaxte, rauchfreie heimelige Atmosphäre unter den Zuschauern und der transparent samtige Sound, bei welchem man stellenweise sogar eine Mücke hätte husten hören können.
Der 1945 in Belfast geborene Sänger und Mitbegründer der Hippiekapelle Them, oder der 1962 gegründeten, irischen Folklegende The Chieftains; Schöpfer jener unvergleichlichen Mischung aus Rock'n'Roll, Jazz, Soul und Rhythm'n'Blues, thront mit stoischer Ruhe, umgeben von seinen Gesellen, auf der sehr aufgeräumten Bühne, versucht musikalisch seiner Vergangenheit zu entkommen und erntet höflichen Beifall.
Mit seinem viel zu kleinen Sakko, Hut und getönter Brille, transzendiert er mit einem,
weitestgehend unbekannten 11-köpfigem Ensemble, noch unbekannte Stücke, pendelt zwischen verschlurftem Bluesgebaren, Soul/Gospel der alten Schule und Frühschoppen-Jazz, lässt Stimmbänder dabei in seiner ureigenen Weise vibrieren, wispern, flüstern oder sogar in einem rauschhaften Sprechgesang gipfeln.
Immer wieder greift er zwischendurch zur Akustischen oder zur Ukulele, weist seinen Jüngern mit wimmernder Mundharmonika den Pfad zum Blueshimmel, und bringt sein quäkendes Saxophon zu schwülstiger Hammondorgel zum Tanzen.
Nur seine nasale Stimme passt nicht immer zu dem Gebräu, sie erzählt von der ewigen Suche nach sich selbst, von vergangenen Zeiten, flüchtet sich hin und wieder in ein Instrument, und vergisst darüber die andächtig lauschende, dicht gedrängte Menge.
Er, der eigentlich kein Künstler sein will, zählt mittlerweile zum Mythos Musik wie auch seine Seele, er will geliebt werden für die richtigen Songs, sein Publikum soll ihm huldigen, soll tanzen, lachen, schweigen wenn er es wünscht.
Er kämpft gegen den Zwang, sich musikalisch zu wiederholen und lässt schon mal an diesem Abend, einen im Swinggewand umarrangierten "Moondance"-Klassiker auferstehen.
Dramaturgisch dominiert das Konzert-Material der neuen Veröffentlichung "Keep It Simple", auf welchem er sich vom erdig tiefschwarzen Blues "How Can A Poor Boy" bis hin zum im Nashville-Sound getränktem "Lover Come Back" durcharbeitet.
Ihm, der eigentlich keine Werbung und Promotiontour benötigt um seine Produkte zu verhökern, bereitet es einfach Freude, die neuesten musikalischen Gourmethäppchen seiner eingeschworenen Gemeinde zum Fraß vorzuwerfen.
Der Mann zeigt sich ungeheuer gut aufgelegt auf der Bühne, witzelt mit seinen Musikern, erzählt kleine Anekdoten, verfällt auch schon mal in einen flotten Rock'n'Roll, lässt aber nach der ersten Konzerthälfte das Tempo bzw. Arrangement etwas einschlafen, was auf Dauer teils eintönig wirkt.
Der rundliche Sänger ist agil wie in alten Tagen, leistet sich den Luxus eines eigenen
Bühnendieners, der ihm sprichwörtlich mit 'Palmenzweigen' zufächert, während Feldwebel 'Van The Man' kantig sein musizierendes, gehorsames Dutzend herumdirigiert. Er weist seinem Geiger die Schranken und lässt ihn die Saiten zupfen anstatt zu streichen, würgt ein angesetztes Hammond-Solo abrupt ab, bringt Blechgebläse zum Feuerspucken oder nötigt Backingchöre zum an- bzw. abschwellen.
Die Show strotzt vor Routine, Können und Professionalität, der Ton ist tadellos und sein brillantes Ensemble, allein schon mit vier Saitenkünstlern, darunter eine recht ansehnliche Steel-Gitarristin, reflektieren die Coolness einer Instrumentenprobe.
"Don't Go To Nightclubs Anymore" lässt er auch seine vielen jüngeren Fans in der Jahrhunderthalle wissen, und bewegt als ingeniöser Seelendurchleuchter selbige bei "Soul Is A Feeling Deep Within" zu erigieren.
George Ivan Morrison hastet zum Ende hin, um rechtzeitig die Stechuhr zu füttern, singt die Abschlusstrophe des letzten Liedes nur mehr »Bla Bla Bla«, und verlässt ökonomisch pünktlich um 21.30 Uhr mit den Worten »Take Care The Band« ohne eine Zugabe die Bühne.
So unmittelbar und leise wie er aufgetaucht war, entfloh er auch wieder der Szenerie, wie ein Phantom, in die Abgründe der 'Rock'n'Roll Hall of Fame'.
Für diesen Bericht bleibt er fotografisch jedenfalls leider ein Phantom, und für 'Van The Man'-Neuentdecker gilt es, die Flut von derzeitigen klangtechnisch aufgearbeiteten Neuveröffentlichungen alter Meisterwerke, darunter Preziosen wie das grandiose "Tupelo Honey", aus dem Jahr 1971, das 74er Live-Werk "Ist Too Late To Stop Now", das stimmige "Avalon Sunset" von 1989 oder das minder programmatische "Back On Top" von 1999, jeweils mit interessanten Bonustracks, zu erschließen.
Die Liebhaber seiner Konzerte bekommen noch zweimal im Berliner Tempodrom (am 09.05 und 10.05.) die Gelegenheit, ihren Meister zu bewundern.
Setlist:
01:This Love Of Mine
02:Magic Time
03:Playhouse
04:Shot Of Rhythm And Blues
05:In The Afternoon/Ancient Highway/Mystic Church
06:Stop Drinking
07:Moondance
08:How Can A Poor Boy
09:That's Entrainment
10:Keep It Simple
11:No Thing
12:School Of Hard Knocks
13:Don't Go To Nightclubs Anymore
14:Lover Come Back
15:End Of The Land
16:Soul Is A Feeling Deep Within
17:Song Of Home
18:Behind The Ritual
Da leider oft die Konzerte früher starten als angesetzt, ist es ärgerlich und auch nicht unbedingt fair gegenüber dem entdeckenswertem Vorprogramm, welches die Berner
Exil-Irin Shirley Grimes mit ihrer Band derzeit bestreiten darf.
Pressestimmen sagen, sie besitze die musikalische Grandezza einer Joni Mitchell
und zählt inzwischen zweifelsohne zum Besten, was die Musikwelt der Schweiz zu bieten hat. Eigentlich Schade. RockTimes wird demnächst mit Sicherheit
die neue Studioveröffentlichung dieser sympathischen Sängerin besprechen.
Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung bei Jane Sakel (Mawi Concert) und dem Personal der Jahrhunderthalle Frankfurt-Höchst.
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