Oft wird entweder vom Künstler oder auch von einigen Betrachtern/Hörern versucht, Titel von Platten 'bedeutungsschwanger' anzusetzen. Ob das auch hier der Fall ist oder sein soll?
Räume sind überall auf dem Cover und auch innen zu sehen, große Räume, mittendrin der Musiker, allein, und sein Instrument, der Kontrabass, auch allein. Im kleinen Booklet finden sie beide dann zueinander, André Nendza spielt das Instrument. Fotos der Mitmusiker sind nicht vorhanden, wo haben sie sich nur versteckt, warten sie noch hinter den Türen?
Restaurierte Räume, welche Bedeutung könnte dahinter stecken unter dem Hintergrund der Musik, explizit zum Jazz?
Wie sagte doch einst Frank Zappa: »Jazz is not dead, it just smells funny.« Hat der Bassist nun versucht, diesen Geruch vergangener Zeiten zu vertreiben, oder ihn nur zu übertünchen oder gar etwas Neues geschaffen? Sind die alten Stile des Jazz nunmehr restauriert worden? Haben sich hierzu neue Räume aufgetan? Wie so oft, kann eine Antwort ganz einfach sein.
Und genau so möchte ich mir meine eigene Antwort auch gestalten, doch werde ich wohl ausholen müssen. Meinem Empfinden nach sind es alte Räume, die zur Verfügung gestellt wurden. Vielfach wird die Meinung vertreten, dass Räume eine 'Seele' haben. Diese 'Seele' alter Räume scheint offensichtlich beschworen worden zu sein, denn der Geist vergangener Tage ist für mich noch zu hören.
Gleichwohl hat ein Neuanstrich stattgefunden, ohne dass stützende Wände eingerissen wurden, ohne dass Zwischenwände eingezogen worden sind, nur die Farben scheinen sich geändert zu haben und dabei haben die Beteiligten wohl auf neue Farbmischungen zurückgegriffen. Strukturen einst entstandener Stile bestehen in dieser Musik weiter, wurden jeweils essentiell konzentriert und häppchenweise wieder integriert zu einem persönlich geprägten Stil, sowohl in den Kompositionen als auch in der Umsetzung.
Diese Musik ist nicht abenteuerlich im Sinne des 'New Thing', des Free Jazz, sondern im Kern 'grundsolide', dabei aber nicht muffig, sondern extrem frisch, klischeefrei und offen.
Und so schließt sich der Kreis zu den Räumen wieder. Offene Räume sind es, große Räume, die in ihrer Gesamtheit genutzt werden, jedoch ohne Türen aufzustoßen. Das heißt, die geneigte Hörerschaft dürfte nicht überfordert sein, sich einzulassen, Harmonie steht stets im Vordergrund, alle Solisten können mich überzeugen und mitreißen, ob es jetzt vorwärts preschende Pianosoli sind, die von Bass und Schlagzeug kongenial noch angetrieben werden, oder die oft zupackende Melancholie des Saxofonisten, der allerdings auch einmal in 'Auf-oder Ausbruchsstimmung' ist.
Melancholie, das ist auch gleich ein Stichwort für die mich stark berührende Ballade "From Months To Minutes", eingeleitet durch gefühlvolles Piano-Solospiel. Das ineinander verflochtene Spiel von Trompete und Saxofon, leicht schwebend durch die Rhythmussektion unterstützt, setzt dann Akzente der besonders verspielten Art. Zeit zum 'Entschleunigen', zum Entspannen, Anregung, um die Gedanken treiben zu lassen, eine ganz wunderschöne Atmosphäre größten emotionalen Ausdrucks gibt es zu genießen. Es sind Kompositionen entstanden, die spannend und mit Feinheiten bestückt sind, und oft mit dramaturgischen Elementen zu fordern wissen, fern jeden Einheitsbreis, die jeweilige Persönlichkeit jedes Musikers herausstellend.
Das ist moderner Jazz von internationalem Standard und ich würde es begrüßen, diese Formation einmal live erleben zu dürfen.
Ja, das sind Räume, in denen ich mich auf wohltuende und wohlig-gemütliche Weise gefangen fühle, ohne das Gefühl von Gefangenschaft, diese Räume sind gleichzeitig leer und offen für jede persönliche Raumausstattung und ebenso bereits gefüllt mit jedwedem Mobiliar jeder Art.
Hier ist Musik entstanden, die sofort dazu zwingt, hellhörig zu werden, jedenfalls ging bzw. geht es mir so, dass ich mich von Beginn an nicht entziehen konnte und gleich der erste Titel glich dem Auftakt eines spannenden Buches, dass ich unbedingt schnell zu Ende lesen möchte.
Alle Musiker haben in ihrer Laufbahn zwischenzeitlich mit vielen namhaften Künstlern zusammen gearbeitet und ihre Erfahrungen offensichtlich mitgenommen und eingebracht. Ich gratuliere zu dieser Platte!
Line-up:
Stephan Meinberg (trumpet, flugelhorn)
Claudius Valk (tenor & soprano saxophone, bass clarinet)
Hendrik Soll (piano)
Andrá Nendza (bass)
Christoph Hillmann (drums)
Tracklist |
01:Nightly (7:21)
02:To Break A Tune (5:01)
03:From Months To Minutes (8:28)
04:Miss One Little Step (7:58)
05:Harry Angel [Bass Intro] (1:45)
06:Epiphany (6:29)
07:Separated Masses (4:41)
08:Overheated (5:44)
09:The More Of Her (7:03)
10:All Them Bells (5:39)
11:(Starting On The) Third Mode (7:16)
(all compositions by André Nendza) |
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