Seit die Mehrzahl der Akteure der ersten Stunde in den wohlverdienten Ruhestand oder die 'Ewigen Swamps' abgetreten sind, ist Southern Rock für mich viel weniger eine Stilrichtung als ein Lebensgefühl - quasi der Ton gewordene Gegenentwurf zur so genannten Digitalen Welt: 'Brotherhood' statt musikalische One-Night-Stands, Feeling statt Effekthascherei, Dobro statt Birdfish, Fender Precision statt Steinberger, Hammond B3 statt Nord Stage1, Pearl statt Simmons SDS, Chopper statt 'Joghurtbecher', würziges Schwarzbier statt bunte Piña Colada, Grillgut statt Fingerfood - ihr versteht sicher schon, was ich sagen will...
Und während die Leute in den Metropolen damit beschäftigt sind, dem neuesten Trend hinterher zu hecheln, lassen sich die Landeier die Sonne faul in den Pelz brennen und frönen stattdessen lieber den ehrlichen Werten. So ist es kein Wunder, dass der beste Southern Rock in der Provinz entsteht (und goutiert wird). Das ist im Mutterland des Genres nicht anders als in Europa. Somit ist es auch alles andere als eine große Überraschung, dass die beste Southern Rock-Band unserer Breiten aus einem winzigen Nest in der Nähe von Reims stammt - aus einer Gegend, in der sich Fuchs und Hase wahlweise 'Gute Nacht' sagen oder 'Guten Appetit' wünschen.
Natchez sind in ihrer französischen Heimat eine richtig große Nummer. Neun Alben und eine Compilation sind seit 1987 entstanden. Ärgerlicherweise hat sich das kaum bis nach Deutschland herumgesprochen, was womöglich daran liegen mag, dass die Jungs vorwiegend in ihrer Muttersprache singen. Mit dem letzten Album, "Catch The Spirit" (2007), versuchte man den Sprung außerhalb der Landesgrenzen mit ausschließlich englischen Texten - der Erfolg blieb allerdings überschaubar. Nach sechs Jahren Veröffentlichungsabstinenz, in der nur eine DVD erschien, versucht man es nun mit einem Spagat - und es könnte ein großer Wurf werden!
Die Songs von "Double Dose" hätten zwar durchaus auf eine CD gepasst, aber man hat sich entschlossen, das Album auf zwei Scheiben zu splitten. Die 'doppelte Dosis' eben: Die erste mit ausschließlich französischen, die zweite mit englischen Songs. Dass der Titel "Double Dose" in beiden Sprachen (etwas anders ausgesprochen) dasselbe bedeutet, ist als kleiner Geniestreich am Rande zu werten.
Wer auf Southern Rock der Siebziger ohne irgendwelchen neumodischen Schnickschnack steht, wird mit "Double Dose" aufs Allerfeinste bedient. Der Sound der Ur- Skynyrds wird mit klassischem Hard Rock und jeder Menge Blues'n'Boogie garniert, sodass wirklich kein Auge trocken bleiben sollte. Und wenn ich anlässlich meiner persönlichen Hitliste noch meinte, dass die Qualität von "Faudrait Que Je t'Appelle" bislang nicht wieder erreicht worden sei, muss diese These eindeutig widerrufen werden: Auf "Double Dose" sind eine gute Handvoll Songs, die es locker mit den Knallern von Natchez' wohl bislang bestem Album, "Retoure à la Source" (2006), aufnehmen können!
Mit zwei heftigen Fegern bringt die "Dose 1", die 'französische' Dosis, den Hörer auf die richtige Betriebstemperatur, bevor mit dem 'sumpfigen' "A Toi de Jouer" ein erstes echtes Ausrufezeichen gesetzt wird. Mit "Viendra le Jour" ziehen die Gebrüder Aeschbach alle Register ihres hohen gitarristischen Könnens. Das Harp-Intro zu "L'Homme à l'Harmonica", von Sebastian Delcroix schwindsüchtig-keuchend intoniert, erinnert gewaltig an Shorty Medlocke und auch der anschließend einsetzende, stampfende Southern Boogie lässt altes Blackfoot-Feeling neu aufkeimen. Der heimliche Hit von "Double Dose" folgt mit "Rock'n'Roll Bitume". Das kernige Grundriff und die 'versoffenen' Vocals von Thierry ziehen ganz großes Southern-Flair auf. Zwei knackige Rocker leiten auf den Longtrack "Seul au Monde" über, der das erste Scheibchen ausläutet. Hier zieht tatsächlich, wenn sich der Song von der gezupften Einleitung in eine formidable Gitarrenschlacht steigert, ein Hauch von "Free Bird" ein. Da werden die Augen unwillkürlich etwas feucht...
Für die Texte der 'englischen Dosis' hat man sich eines 'Ghostwriters' bedient; der "Blues Outlaw" ist gar von dem ebenfalls in Ostfrankreich lebenden Neffen John Lee Hookers, von Archie Lee Hooker, verfasst worden. Allerdings muss ich schon einschränkend anmerken, dass mir Thierry Aeschbachs (französische) Texte wesentlich besser, weil weniger klischeebehaftet, gefallen!
Gleich die zweite Nummer haut mit glutvollen Riffs und Twin-Läufen voll auf die Glocke. Der Titel "I Gonna Hit The Ground" trifft es auf den Punkt - »do legst di nieda«!! Der entspannte Country-Rocker "Blues Outlaw" (tolle Slide von Manu!) richtet allerdings jeden 'niedergeschlagenen' Hörer sofort wieder auf. Dass Natchez auch wunderschöne Balladen draufhaben, beweist "For You". Einzig bei diesem Stück sind dezente, von Manu Ducros gespielte Keyboards zu hören. Ich bin ja von jeher der Meinung, dass - analog zu Blackberry Smoke - der Bandsound von Natchez durch Hammond- oder Wurlitzerklänge enorm bereichert werden könnte.
Der folgende Stop-and-go-Rocker "Brake Down" kommt genauso genretypisch wie der Southern Boogie "Climb Aboard" rüber und das von Double Leads geschwängerte, überaus flotte "Camaro" beendet den Reigen von richtig guten Southern-Songs.
Mit "Double Dose" schlagen Natchez die berühmten Fliegen mit einer Klappe. Die einheimischen und die internationalen Fans, die die Exotik der französischen Sprache verbunden mit Southern Rock lieben, werden mit "Dose 1" aufs Vortrefflichste bedient. Wer es lieber hausbacken-englisch mag, für den bietet "Dose 2" alles was das Herz begehrt.
Natchez' zehntes Album ist auch hinsichtlich der Ausstattung des Six-Panel-Digipaks (samt Booklet mit allen Texten) überaus gelungen. Sehr feines Teilchen!!
Line-up:
Thierry Aeschbach (vocals, guitars)
Emmanuelle 'Manu' Aeschbach (guitars, background vocals)
André 'DeDe' Dufour (bass)
Benjamin Proy (drums)
Additional Musicians:
Sebastian Delcroix (harp - "L'Homme à l'Harmonica")
Manu Ducros (keyboards - "For You")
Kam Rocourt (lead guitar - "For You")
Tracklist |
Dose 1:
01:Amérique'n'Blues (4:26)
02:Electrique Speed Woman (3:25)
03:A Toi de Jouer (3:34)
04:Viendra le Jour (3:50)
05:L'Homme à l'Harmonica (4:12)
06:Rock'n'Roll Bitume (3:34)
07:Je Marcherai Droit (3:39)
08:Long Chemin (4:03)
09:Seul au Monde (6:05) |
Dose 2:
01:Take Me Home Tonite (3:30)
02:I Gotta Hit The Ground (3:15)
03:Blues Outlaw (2:59)
04:Get It Right (4:22)
05:For You (3:45)
06:Behind Your Door (3:53)
07:Brake Down (4:15)
08:Climb Aboard (2:57)
09:Camaro (3:10) |
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Externe Links:
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