Nemo - kennen wir doch. Einmal aus der griechischen Sagenwelt (Odysseus), dann aus Jule Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer", und schließlich ist da noch dieser Fisch, den alle Welt suchen sollte. Mit all dem hat dieses Review nichts zu tun, geht es doch ausschließlich um Musik.
Edelzwicker oder Bordeaux, möchte man fragen und gleich die ersten Töne nach dem sprachlichen Intro zeigen auf den roten Saft. Den oft als 'Touristengetränk' bezeichneten weißen Verschnitt vergessen wir schnell, denn viel eher lässt sich die Musik Nemos mit den vielfältigen Geruchs- und Geschmacksnuancen eines edlen Bordeaux vergleichen.
Ungestüm, ja fast unbändig rast "Les Enfants Rois" durch die Minuten, bis "L'homme Idéal (1)" den Speed nimmt und in atemberaubender Klangfülle und mit traumhaftem Songwriting zeigt, dass wir es hier schon mal mit einem Grand Cru zu tun haben.
"Si: Partie II", das Suffix suggeriert es bereits, ist Teil zwei der Konzeption mit dem Namen "L'Homme Ideal", bei der es darum geht, den idealen Menschen zu erschaffen. Eigentlich ein Thema welches danach lechzt, die Lyrics zu verstehen. Wir haben es aber mit Franzosen zu tun und somit ist eigentlich klar, dass französisch gesungen wird und ich mich lediglich mit der Musik und dem Wissen, um was es geht, begnügen muss.
»Begnügen muss«... Haha, der war gut. Dieses Album strotzt vor Ideen und musikalischen Highlights, dass ich dem Grand Cru schon mal ein Classé mitgebe. Symphonischer Prog trifft es wohl am Besten. Neo-Anleihen sind vorhanden, aber nur von kurzer Dauer - das Album klingt modern und schafft es dabei mühelos, in den hinteren Tiefen des Gehirns eine Suche zu starten, um wenigstens ein paar Fitzel Bekanntes zum Vergleich zu ziehen.
Lassen wir die Vergleiche und schauen mal wieder auf die Trackliste, denn beim Hören gibt es im Prinzip kaum Anzeichen, die einen Nummernwechsel deutlich machen. Da greift eins ins andere. Gekonnte Breaks leiten von harmonischen Gesangspassagen (alle Mann singen) zu geräuschuntermalten Instrumentalparts. Verhallte Sequenzen, messerscharf schneidende Gitarrenbretter, die per glattem Schnitt oder auch mal sägend eine imaginäre musikalische Landschaft zerteilen.
Ausflüge in leicht jazzige Gefilde und ein 'Heimkehren' zu symphonischen, ja fast epischen Eruptionen, die nach kurzer Dauer einem leichten Metal Prog die Szenerie überlassen. Herrliche Gitarrensoli, Wah Wah-Einsätze von allerbester Herkunft. Und wenn man es am wenigsten erwartet, wird heruntergefahren und es erklingen Melodien, die einem bei Friedhofsbesuchen zur blauen Stunde wohl das Blut in den Adern gefrieren lassen würden.
Wer muss da noch den Text verstehen? Ich habe mit der Musik genug zu tun und bin bereits dabei, von einem Troisième Cru zu sprechen.
"Une Question De Temp": Der Keyboarder scheint gerade ins Koma zu driften, so schön schräg und simpel kommen seine Töne zu den abgehackten, immer metallischer werdenden Gitarrenlinien, die überleiten zu einer süßlichen Melodie, die uns nur in Sicherheit wiegen will. In Sicherheit vor dem nackenbrechenden Rhythmus, der wiederum von akustischer und spanischer Stimmung unterbrochen wird.
Ja Herrschaften, Nemo lassen uns auf einer Reise durch verschiedene Prog-Landschaften teilhaben, und plötzlich fällt es dem nicht französich sprechenden Hörer wieder ein, um was es eigentlich geht: Genau, um genetische Manipulationen und wenn man seiner Fantasie freien Lauf lässt und dabei die Musik als Gedankenkatalysator einsetzt, entfaltet "L'Homme Ideal - Si: Partie II" seine ganze 'Pracht'.
Deuxième Cru, um es in Bordeaux auszudrücken. Am Einser Cru schrammen Nemo knapp vorbei. Das allerdings nur, weil ich den Text nicht verstehe. Meine Schuld also, wenn ich dieses großartige Werk nicht in aller Gänze erfasse. Damit habe ich aber kein Problem und das frühe Jahr hat bereits einen ernstzunehmenden Anwärter auf meine Progscheibe des Jahres. Grund genug, um in meiner schwach gefüllten französischen Wortschatzkiste zu kramen. Ich denke aber es reicht, um ein Schlussfazit zu ziehen:
Je tire mon chapeau - tres bien Nemo.
Line-up:
JP Louveton (guitar, lead vocals)
JB Itier (drums, vocals)
Guillaume Fontaine (keyboards, vocals)
Lionel B. Guichard (bass, vocals)
Gast:
Sylvia Krauss (vocals -#5)
Tracklist |
01:Introduction À La Différence
02:Les Enfants Rois
03:Même Peau, Même Destin
04:L'homme Idéal (1)
05:Reflets
06:Décadanse
07:Une Question De Prix
08:Une Question De Temp
09:L'homme Idéal (2)
10:Les Visages Du Monde
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