Nile / At The Gate Of Sethu
At The Gate Of Sethu Spielzeit: 47:48 / 57:14 (Digi)
Medium: CD
Label: Nuclear Blast, 2012
Stil: Technical Death Metal

Review vom 16.07.2012


Andrea Groh
»Now I ride with the mocking and friendly ghouls on the night-wind, and play by day amongst the catacombs of Nephren-Ka in the sealed and unknown valley of Hadoth by the Nile.«
("The Outsider" / H. P. Lovecraft)
Es war einmal ein junger Amerikaner namens Karl Sanders, der mochte Death Metal und las H. P. Lovecraft. 1993 kombinierte und fokussierte er beide Vorlieben, indem er die Band Nile gründete.
Der Schatten aus der Zeit / Blick in die Bandgeschichte
Bereits 1994 kam das erste Demo, 1996 das zweite "Ramses Bringer Of War", dazwischen 1995 die EP "Festivals Of Atonement" - die letzten beiden erschienen 1999 zusammen als "In The Beginning" auf einer CD. Darauf spielen Nile teilweise recht doomigen Death Metal mit großartigen (pseudo-) ägyptischen Klängen, die wie der Soundtrack zu einem Monumentalfilm wirken.
Einige der Songs waren auch auf dem Debüt "Amongst The Catacombs Of Nephren-Ka" (1998) zu finden. Schon auf dem Nachfolger "Black Seeds of Vengeance" (2000) wurde die Geschwindigkeit und Komplexität der Musik gesteigert. Dieser eingeschlagene Weg setzte sich auch auf "In Their Darkened Shrines" (2002) fort, einem fast einstündigen Werk mit wirklichen genialen Ideen, was jedoch durch seine Dauer auch etwas anstrengend sein kann. Weswegen man sich wohl bei "Annihilation Of The Wicked" (2005) ein wenig zurücknahm.
Mittlerweile war die Band auf einem spieltechnisch so hohen Stand, hatte sich einen guten Ruf und Popularität erarbeitet, so dass Nuclear Blast einen Vertrag anboten (vorheriges Label war Relapse). Dort erschienen dann "Ithyphallic" (2007) und "Those Whom The Gods Detest" (2009), die nicht mehr ganz so verschachtelt wirken - was nicht heißt, dass die Musik geradlinig und einfach ist. Manchen Fans fehlte trotzdem etwas, auch die orientalischen Sounds wurden reduziert. In dieser Richtung tobte sich Karl Sanders auf seinen Solo-Scheiben aus.
Der leuchtende Trapezoeder / Der aktuelle Silberling
2012, also nach drei Jahren, kommt jetzt "At The Gate Of Sethu" - schon im Vorfeld wurde sich die Frage gestellt, welche Weiterentwicklung nun zu erwarten ist.
Keine Sorge, wo Nile draufsteht ist immer noch technischer Death Metal drin. Doch dieses Mal schlägt das Pendel weder in die episch-doomige Richtung noch in die brutal-blastige, es gibt jedoch auch keinen gradlinigen Todesblei. Was denn? Hm, die Scheibe ist irgendwie unerwartet progressiv, im Sinne von Prog Metal (progressiv im Sinne von fortschrittlich, nach neuen Ideen suchend waren Nile schon immer).
Neben Momenten, in denen man sich fühlt, als hätte man gerade miterlebt, wie die Heuschreckenplage in Ägypten eingefallen ist, gibt es melodische Passagen, sogar mit Klargesang als Kontrast zu den gewohnten Growls, die trotzdem noch zur Genüge vorhanden sind, bösartig wie ein durch die Nacht schlurfender Ghoul.
Ebenfalls in dieser Art neu: Häufig hageln harmonische Leads auf die Hörer ein. Zwischen den ganzen Schredderriffs und dem (High-Speed-) Drumgeballer. Natürlich dürfen auch die typischen orientalischen, altmodisch anmutenden Einsprengsel nicht fehlen, obwohl sie nicht so dominant sind wie in den Anfangstagen.
Überhaupt: Hier passiert unheimlich viel, ständiger Wandel ist das Gesetz, wie bei den Dünen der Wüste über die der Wind (oder soll ich eher schreiben: Sandsturm?) fegt. Aus dem gleichen Material bilden sich immer neue Formen.
Dadurch ist "At The Gate Of Sethu" so weit von Eingängkeit entfernt wie die Israeliten von ihrem Land während ihrer Gefangenschaft in Ägypten. Erwartet jemand ernsthaft etwas anderes von Nile? Will denn jemand mitsingen oder nette Party-Musik hören? Oder doch eher ob der Titanenhaftigkeit der erzeugten Töne staunen wie die Touristen vor den Pyramiden in Gizeh? Letzteres will ich und bin gefesselt wie eine Mumie, die in Binden aus Leinwand eingewickelt ist.
Leicht machen es Karl Sanders und Co. den Hörern nicht. Fans entdecken immer wieder Anklänge an frühere Phasen, darüber werden sich insbesondere diejenigen freuen, die mit den neueren Scheiben nicht mehr ganz so viel anfangen konnten. Nile blicken auf ihre ganze Geschichte zurück, nehmen sich Elemente daraus und bauen sie ein, so dass sie mal kurz aufblitzen.
Dies ist vielleicht eine Sache, die man auf "At The Gate Of Sethu" vermissen oder kritisieren kann: Es prägen sich keine Songs ein, man kann nicht von einem schnellen oder langsamen oder besonders epischen Track sprechen (im Klartext: einen Hammer wie "Unas Slayer Of The Gods" sucht man vergebens). Die Scheibe wirkt eher wie ein Gesamtwerk, von dem man nichts abtrennen kann - hervorheben will ich dennoch mal "The Chaining Of The Iniquitous", das gefällt mir am besten, obwohl es kaum Qualitätsunterschiede gibt.
Nile ist es gelungen, sich tatsächlich wieder neu zu erfinden, wieder anders zu sein, sich weiter zu entwickeln und doch im Kern gleich zu bleiben. Dies gilt selbstverständlich auch für das Cover und die gewohnten Erklärungen im Booklet.
Damit bieten sie genug für ihre Fans, auch wenn manche die Veränderungen vielleicht nicht gutheißen, und sollten sogar neue dazugewinnen können. Dafür sorgt sicher auch die transparente und sehr gelungene Produktion von Neil Kernon.
Ein Album wie eine Sphinx, gigantisch, unzugänglich und faszinierend gleichzeitig.
Line-up
Karl Sanders (guitar, vocals, bass, glissentar, baglama saz, keyboards)
Dallas Toler-Wade (guitar, vocals, bass)
George Kollias (drums)

Guest vocals:
Jon Vesano, Mike Breazeale, Jason Hagan
Tracklist
01:Enduring The Eternal Molestation Of Flame (4:29)
02:The Fiends Who Come To Steal The Magick Of The Deceased (4:30)
03:The Inevitable Degradation Of Flesh (5:30)
04:When My Wrath Is Done (3:11)
05:Slaves Of Xul (1:24)
06:The Gods Who Light Up The Sky At The Gate Of Sethu (5:43)
07:Natural Liberation Of Fear Through The Ritual Deception Of Death (3:30)
08:Ethno-Musicological Cannibalisms (1:40)
09:Tribunal Of The Dead (5:54)
10:Supreme Humanism Of Megalomania (4:37)
11:The Chaining Of The Iniquitous (7:05)

Digi-Bonustracks:
12:Enduring The Eternal Molestation Of Flame [Instrumental] (4:06)
13:The Inevitable Degradation Of Flesh [Instrumental] (5:31)
Externe Links: