Die in Blues/Groove/R&B/Jam-Kreisen bestens beleumundeten North Mississippi Allstars legen mit dieser CD ihr erstes offizielles Live-Album vor. Live-CDs dieser Truppe kursieren zuhauf, ermöglicht durch die bei Jambands übliche tolerante 'Taper-Philosophie'. Da muss diese Platte etwas Besonders bieten, um einen Kaufanreiz zu schaffen. So viel sei schon verraten: Die Rechnung ist voll aufgegangen!
Alle bekannten Live-Qualitäten der Band sind natürlich präsent, darüber hinaus ist dieser Mitschnitt ein regelrechtes 'Clan-Treffen', auf der einen Seite die Dickinsons, auf der anderen die Burnsides. Zwei Clans, die deutlich aufzeigen, wie man Rassenschranken überwindet. John Hiatt sagte 1987 in einem Interview, dass auch Weiße Blues spielen können, aber eben anders als die Schwarzen, weil deren Herz angeblich in einem anderen Rhythmus schlage. Lieber Mr. Hiatt, diese Aussage ist seit den North Mississippi Allstars nicht mehr aufrecht zu erhalten. Als gemischtrassige Band sind alle, aber wirklich alle imaginären Trennlinen weggewischt!
Diese Songs sind regelrechte Slide-Wunder, nehmen den Hörer sofort für sich ein, setzen sich im Gehirn fest. Unauslöschlich! Das unscheinbare englische Wort 'Groove' könnte man einfach durch den Namen der North Mississippi Allstars ersetzen. Dieses fliessende, vorwärtstreibende Bearbeiten eigener Songs und auch vor allem alter 'Blues-Standards' hat eine Reife, dass man nur verwundert und anerkennend den Daumen heben muss. Diese Musik ist quintessentiell amerikanisch und absolut authentisch.
Selbst die vertracktesten Rhythmen kommen mit einer Selbstverständlichkeit und Sicherheit, dass man sich bei manchen Songübergängen ("Po Black Maddie > Skinny Women > Po Black Maddie" oder auch "Shimmy She Wobble > Station Blues") an seligste Grateful Dead-Zeiten erinnert. Ebenso wie diese beherrschen die 'Allstars' dieses Jammen von einem Song in den anderen, um später dann wie von Geisterhand wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren.
Diese Show wurde am 11. Juni 2004 in Manchester, Tennessee mitgeschnitten. Unterstützung fanden die 'Allstars' bei jeweils ihren Vätern, die natürlich auch auf der Bühne standen. Zum einen die Produzentenlegende Jim Dickinson (der unter anderem für "Wild Horses" der Rolling Stones vom '71er Hammeralbum "Sticky Fingers" und auch für einige Soundtracks von Ry Cooder ("Paris, Texas") verantwortlich zeichnete), zum anderen ist da die lebende Legende des Mississippi Blues, R.L.Burnside, aus dessen Feder auch einige der Songs dieses Albums stammen. Auch Jo Jo Herman von Widespread Panic war mit von der Partie, selbst ein Rock'n'Roller liess es sich nicht nehmen, diesem Event bei einem Song seine Stimme zu leihen: Chris Robinson von den Black Crowes 'takes the stage' für "Boomer's Story".
Jim Dickinson zelebriert mit seinen Söhnen eine Version von "Down in Mississippi", die der akademischen Bearbeitung eines Ry Cooder geradezu entgegengesetzt ist: Hier kommt die Musik aus dem Bauch statt aus dem Kopf. Auf der ganzen Platte bestaunt man immer wieder die Präzision, mit der Cody Dickinson und Chris Chew den Rhythmus halten, fast an ein Schweizer Uhrwerk erinnernd, während die Gitarrenparts von Duwayne Burnside und vor allem die Slide-Gitarre des Luther Dickinson einfach genial alles so aufbereiten, dass man nicht mehr weiss, wer in dieser Formation Jäger und wer Gejagter ist.
Wenn die Band, angetrieben durch die nichts weniger als Gänsehaut erregende Slidegitarre, zu unglaublichen Höheflügen ansetzt, wird man regelrecht in einem rhythmischen Strudel mitgerissen ...ich bin mir bewusst, dass sich dies 'hochgestochen' anhören mag - das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es wirklich so ist. Man muss es einfach gehört haben. Das ist teilweise obsessiv, als spielten sich die 'Allstars' in einen Rausch...
Damit ist dies abseits aller Charts und sonstigem langweiligem Gedudel einfach nur grossartige, handgemachte und packende Musik, die, obwohl auf originärem Blues aufbauend, alles andere ist: Kein 'normaler' 12-Takt-Blues, auch kein Blues-Rock, nein - das hier ist groovender Jamrock at its best! Diese Akteure verstehen es, die üblichen Grenzen zu sprengen und aus den Vorlagen ohne irgendwelche Verkrampfungen etwas zu machen, das nicht weniger zeitlos ist. Wenn man sich nochmal vor Augen hält, dass hier zwei Rassen in drei Generationen auf der Bühne eine so hochwertige Mischung anrühren, ist man einfach nur baff, wie souverän die mit ihren eigenen musikalischen Ursprüngen umgehen. Ohne Übertreibung: Das ist eine Klasse für sich!
Was unterscheidet nun diese offizielle Platte von den vielen auf dem Tauschmarkt erhältlichen 'Audience' oder 'Soundboard'-Mitschnitten? Musikalisch können auch diese überzeugen - die North Mississippi Allstars lieferten in den mir vorliegenden Aufnahmen immer erste Sahne. Aber im Gegensatz dazu findet man hier neben der (üblichen) überschäumenden Spielfreude auch einen standesgemässen Klang - so unendlich besser als die verrauschten, dumpfen Aufnahmen irgendeines Zuhörermikros oder der engen Perspektive der angezapften Monosumme des Soundboards und vor allem eine überragende Ausstattung mit einem 24 (!!) Seiten umfassenden Booklet mit vielen Photos und Anekdoten.
Wer an dieser Art Musik interessiert ist, sollte nicht zögern - diese Platte hat eine dicke Kaufempfehlung verdient. Hier gibt es nichts gekünsteltes, keine fragwürdigen Posen - dies ist alles Kunst in musikalischer Vollendung!
Spielzeit: 78:12, Medium: CD, ATO Records, 2004
1: Shake 'em on down (5.15) 2: Po Black Maddie > Skinny Women > Po Black Maddie (12.54) 3: Jumper on the Line (5.17)
4: Bad Bad Pain (2.47) 5: Down in Mississippi (5.07) 6: Never in all my Days (4.18) 7: Boomer's Story (4.38)
8: Psychedelic Sex Machine (4.59) 9: Shimmy She Wobble > Station Blues (9.12) 10: Friend of Mine (4.02)
11: Be so glad (7.21) 12: Shake Drive (5.06) 13: Goin' Home Part Two (4.14) 14: Goin' Down South (3.01)
Manni Hüther, 23.1.2005
|