Ohne Zweifel gehört
Stevie Nicks zu den charismatischen Stimmen in der weiten Grauzone zwischen Pop und Rock und - ebenfalls keine Frage - einige der schönsten und erfolgreichsten
Fleetwood Mac-Songs stammen aus ihrer Feder. Bei aller Freude über euphorische
Liebeserklärungen ihrer Die-Hard-Fans muss ich allerdings doch ein wenig Wasser in den Wein mischen und die leicht ketzerische Frage aufwerfen, ob so manchem Mann nicht manchmal die 'Optik' einen Streich spielt.
Stevie Nicks ist selbst im fortgeschrittenen Alter eine wahre Augenweide (obwohl sie blond ist!) und - wie man das auch von
anderen Musikerinnen kennt - kann das leicht (von männlicher Seite) zur Überbewertung der realen Fähigkeiten führen. Wenn man jetzt nur einmal auf die reine Musik hört, ohne das Äußere der
Nicks zu kennen, mag es sicher so manchen geben, der der kehligen, leicht 'kratzenden' Stimme der Westcoast-Chanteuse wenig abgewinnen kann. Bei einer
Patti Smith beispielsweise, der irgendwelche männlichen Schönheitsideale zeitlebens völlig schnurz waren, scheint 'Mann' doch eher geneigt, etwas realistischer auf die musikalische Größe zu schauen.
All dies hat natürlich nur wenig mit der hier vorliegenden Scheibe, der Veröffentlichung eines Radiomitschnitts von 1994 aus dem House of Blues in Hollywood (nebenbei bemerkt ein 'Heimspiel' für Stevie Nicks), zu tun. Aber gerade in den manchmal etwas überzogenen Intros zu den Longtracks, in denen herzlich wenig passiert, fällt auf, wie sehr man dann doch auf die optische Präsenz der elfengleichen Sängerin fixiert ist.
Angekündigt wird ein »superb broadcast« und auch hier muss wieder insistiert werden. Zwar sind die Vocals optimal in den Vordergrund gemischt, aber vor allem der 'pappige' Schlagzeugsound lässt jeglichen Druck und Dynamik hinter der ganzen Chose vermissen. Ansonsten ist die vorliegende Aufnahme ein 'Kind seiner Zeit': Das 'Synthesizer-Gezirpe' ist gelegentlich nervtötend. Sehr schön fällt dagegen die Arbeit des Gitarristen und des teilweise virtuos agierenden Bassisten ins Gewicht. Leider findet sich im spartanischen Booklet nicht der geringste Hinweis auf die Begleitband - auch die Damen im gut arrangierten Background-Chor bleiben im Dunkel der Geschichte. Wenn man aber die Bootleg-Qualität berücksichtigt, ist der Sound insgesamt einigermaßen ordentlich zu werten.
Als erheblichster Schönheitsfehler von "House Of Blues - The Classic 1994 Broadcast" sind allerdings die recht unsensiblen Ein- und Ausblendungen in den Songs hervorzuheben. Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um den Mitschnitt einer (US-)Radioübertragung handelt - die Jingles und Werbeblöcke durften natürlich nicht mit auf diese CD. Womit ich nun aber (endlich) die Soll-Seite abgearbeitet hätte.
Auf die Haben-Seite gehören ganz klar die
Fleetwood Mac-Klassiker "Dreams", "Rhiannon" und "The Chain", wobei die beiden Letzteren in sehr eigenwilliger Schönheit interpretiert werden. Dagegen fällt der "Rumours"-Raussschmeißer "Gold Dust Woman" ab, der nach starkem Beginn etwas uninspiriert herumgeistert. Sehr viel griffiger sind die beiden Songs von
Stevie Nicks'-Soloalben, "Outside The Rain" und vor allem der Singlehit "Talk To Me" ausgefallen. Ja, und natürlich der knackige
Tom Petty-Abrocker "I Need To Know" - beide Daumen nach oben!
Enttäuschend dagegen das wabernde und völlig (fast dreimal so lang wie die ursprüngliche Singleversion) aufgeblasene "The Edge Of Seventeen". In den langatmigen Passagen passiert musikalisch einfach zu wenig - auf einer DVD mit Showeinlagen und Lichteffekten wäre es vielleicht ein Schmuckstück geworden. Sehr viel überzeugender kommt dagegen die seelenvolle Ballade "Destiny" rüber. Leider ist dies der einzige Song aus dem damals gerade erschienenen Album "Street Angel" in diesem Set.
"House Of Blues - The Classic 1994 Broadcast" hinterlässt mich tief gespalten: Einerseits ist die Veröffentlichung eines alten Live-Mitschnitts von Stevie Nicks, noch dazu in passabler Qualität, rundweg erfreulich. Allerdings muss man angesichts der Ein- und Ausblendungen ein hart gesottener Fan der kalifornischen Schönheit sein. Für die scheint dieses Album ein 'must have' zu sein und die werden sich wohl auch kaum an dem armseligen Booklet stören.