Klezmer, das ist eine musikalische Entwicklung etwa aus dem fünfzehnten Jahrhundert und dem jüdischen Kulturkreis, originär verwendet bei festlichen Anlässen. Aktuell wird diese Musik unter anderem mit der Klarinette und besonders mit dem Musiker Giora Feidman in Verbindung gebracht. Er ist einer jener, der diese Tradition bewahrt hat und weitergibt. Für viele Hörer sind die Tonfolgen ungewohnt für die Ohren und in Verbindung mit der Klarinette habe ich das so manchen schon als 'Gedudel' abtun hören. Nun, als Jazzfan stehe ich über solchen Äußerungen. Vielmehr dürfte die Musik befremdlich sein, weil sie anders klingt als übliche westliche Klangwelten. So stößt man auf slawisch oder russisch klingende Melodienfolgen, ein wenig geht die Richtung auch nach Nahost. David Orlowsky spielt ebenfalls Klarinette und war Schüler des oben genannten Kollegen. Doch seine Musik schwankt eher zwischen typischem Klezmer und E-Musik, obendrein mit etwas Jazz versehen.
Orlowsky ist unter anderen mit dem 'Echo-Klassik' ausgezeichnet worden und mittlerweile einer der führenden Klarinettisten. Bereits seit einigen Jahren zählen er, und das Trio überhaupt, zu erklärten Lieblingen seines Publikums. Zusammen mit Musikern der Kammerakademie Potsdam hat er eine sehr beeindruckende Verschmelzung zwischen der Klezmer-Tradition und westlicher E-Musik geschaffen. Dabei weht die Musik ganz zart, locker und luftig durch den Hörraum. Dohrmann bringt mit dem Bass jazzige Stimmungen dazu ein und die Gitarrenbegleitung reibt sich nahtlos mit den Streichern. Darüber kann die Klarinette jubilieren, sei es ganz zurückhaltend oder fordernd in der Stimmung. Die Verflechtung, insbesondere der Klarinette mit den Streichern, ergibt eine Stimmung, die mich mit dem Gedanken an Filmmusik in Berührung bringt.
Gelungen ist so ein brillanter Brückenschlag zwischen verschiedenen Elementen aus Klassik, Folklore und Jazz. Wer - aus allen 'Lagern' - offene Ohren hat, zu hören, sollte diese Gelegenheit nutzen, um eine neue Erfahrung zu genießen. Schnell kann man in dieser Musik versinken, und wenn dann plötzlich im Titel "Istanbul" türkische Klänge wie spielend und natürlich einfließen, dann kann das durchaus Begeisterung angesichts dieses übergreifenden Musikerlebnisses auslösen.
Innerhalb eines Stückes erscheint es wie selbstverständlich, dass Taktwechsel stattfinden, die Stimmung wechselt und neue Bilder erzeugt werden. Ich genieße gleichermaßen Musik mit Kultur, voller Offenheit und Erdverbundenheit, mit Elementen ungezügelten Temperaments und entspannender Ruhe gleichermaßen. Fremdes mischt sich mit Wohlbekanntem, das ist wahrlich Fusion ersten Grades, hochgradig emotionale und packende Musik voller Leidenschaft. Dabei wirkt nichts steif, sondern eher unbefangen und sehr natürlich. Die Klassik wird hier so richtig herzhaft aus ihrem Frack gehauen.
Seit 1997 gibt es dieses Trio nun bereits und noch immer ist es offensichtlich für Überraschungen gut, wie diese Platte eindrucksvoll beweist. Dabei ist die Musik meines Erachtens kein typisches Beispiel für Klezmer, sondern ein Beispiel dafür, wie man Traditionen auch mit modernem und zeitgemäßem Anstrich pflegen kann.
Line-up:
David Orlowsky (clarinet)
Jens Uwe Popp (guitar)
Florian Dohrmann (contrabass)
Kammerakademie Potsdam (strings)
Tracklist |
01:Philomelos [Florian Dohrmann] (5:52)
02:Istanbul [David Orlowsky] (6:48)
03:Juli [David Orlowsky] (4:23)
04:Auladidae [David Orlowsky] (4:23)
05:Satin [Jens-Uwe Popp] (4:05)
06:North [David Orlowsky] (5:32)
07:Carnyx [David Orlowsky]
08:Le Tigre [David Orlowsky] (4:10)
09:Balkanplatte [Florian Dohrmann] (4:21)
10:Happiness [David Orlowsky] (4:02)
11:Hohlwelt [Florian Dohrmann/Torsten Rasch] (4:52)
12:Kelim Zemer [Florian Dohrmann] (5:54)
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