Mick Pointer Band / Marillion's Script Revisited
Marillion's Script Revisited Spielzeit: 51:24 (CD 1), 45:45 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: Verglas Music, Soulfood 2014
Stil: Neo Prog

Review vom 06.05.2014


Ingolf Schmock
Nicht nur vermeintlich gefährliche Seuchen aus fernen Ländern scheinen sich nicht selten bändigen zu wollen, auch geradezu virale und über den Thalamus im menschlichen Hirn angelandete Hörerlebnisse verbreiten ungehemmt ihr Eigenleben. Angesichts elektronischer Speichermedien und Download-Kulturen-befallener Musikindustrien sehnen sich deren gereifte Konsumenten verstärkt nach Beständigem und wiedererkennbarer Kontinuität, nicht zuletzt nach scheinbar ausbremsender Entschleunigung. Abseits jeglicher vernetzter Zeitverschwender nähren diese ihr limbisches Selbstbelohnungs-System mit den kanonisierten und in die Jahre gekommenen Meisterleistungen ihrer einstigen Rock'n'Roll-Helden. So wie der freudig erregte Gang zum Vinylhändler des Vertrauens oder das Auffrischen historisch maßgebender Rock-Konstanten erfahren vergangenheitsbehaftete Musikerlebnisse einen positiven Aufschwung.
Allen neumodischen Schnickschnack verschmähend, lassen sich betagte Genreliebhaber verkopfter Rock-Kompositionen nur zu gerne von bedeutungsschwangeren Keyboard-Schwällen sowie kryptischen Botschaften auf ellenlangen Instrumental-Schwurbeleien ihrer Propheten betören. Dementsprechend wird die bühnenreife sowie werktreue Aufbereitung eines dem geschmeidigen Prog Rock verbundenen Klassikers wohl bestenfalls zur kurzweiligen Flucht aus einer kollabierenden Gegenwart verhelfen. Nahezu über ein Vierteljahrhundert später steht nun das Börsenbarometer für einst musikalisch mutige, den Punk ignorierende Meisterleistungen recht günstig, und sie werden frisch recycelt neu aufgewogen. Die aus dem süßlichen Melodien-Kokon der "Neuen Welle" und vorgekauter 70er-Komplexität geschlüpfte britische Prog-Institution Marillion wagte mit ihrem Debüt "Script For A Jesters Tear" die Quadratur des Kreises und verpasste bewährten Genesis-Vorgaben eine musikalisch-zeitgemäße Generalüberholung.
Zum letztjährigen 30. Geburtstag des heute unbestrittenen Referenzschinkens hievte dessen Miterfinder und seinerzeit Schlagzeuger Mick Pointer samt Entourage illustrer Mitstreiter das peinlichst nachempfundene Original auf diverse Konzertbühnen. Sei dieses Projekt nun gleichwohl aus Pointers Memento Mori oder schlichtem Verkaufskalkül heraus geboren, es wird den akademisch verbrämten Musikgeschmäckler, despektierlich Retromantiker, wenig scheren. Eventuell aufgeworfene Fragen nach der Würde solcher Rückschauen dürften anfangs die hörbar handwerklich pietätvollen Kopisten und deren emotionsschürende Darbietung erst einmal verdrängen. Die großen Fußstapfen, welche die auratisch ausgelebten Neo-Prog-Moritaten des schottischen Badewannen-Liebhabers und Gabrielsche Bühnenclownerien adaptierenden Sanges-Hünen Fish hinterließen, wusste man auch anno 2013 halbwegs auszufüllen. Mit Front-Klon Ian Cummings' sowohl fleischgewordener als auch Genesis-Frühzeiten einverleibter Gesangs-Ästhetik von vorgestern hatten die mit reichlich Achtziger-Prog-Ramsch-Erfahrung belegten Akteure einen zwar nicht gerade optischen, jedoch mit jenen eigenwilligen Pathetisierungsindikatoren konformen Entertainer am Start. Die im niederländischen Zoetermeer chronologisch konservierten "Script"-Imitate erfahren mit den Stimmbandeinlagen des exaltiert dramatisierenden und kriegsbemalten Schauspielers samt jenen, zuweilen dicht an der Rührseligkeit kratzenden Orgelkaskaden und Gitarren-Gleitcremes gebetteten Zutaten eine verspätete Nobilitierung.
Die derzeitige Rolle des Leitwolfes, sowohl im Label-Business als auch bei den Pomp-Proggern Arena, scheint Pointers Wesen nachhaltig zu stärken, sodann dieser sowie seine oberstufenreife Tribute-Combo die konzertante Nachlass-Pflege seiner musikalischen Taufpaten sowohl als altsäckige Verneigung und gleichermaßen früchtetragende Retro-Komplizenschaft anpreist. Mit Hilfe der Crème de la Crème verschachtelter Melodie-Frömmigkeiten erheben sich mit der Verlängerung Griegsche Bergkönig-Fanfaren in "Three Boats Down From The Candy" und überdosierter Orgel-Tand über "Grendel", eines jener gummierten "Suppers Ready"-Replikate, zu quietschfidelen, jedoch unriskanten Höhenflügen. Pointers einerseits musikalisches Gnadengesuch, andererseits vom Nachruhm-Krumen der Neo Prog-Alphatiere beköstigtes Manufactum treibt dank Nick Barretts elegienformenden Saitenzupfereien, Mike Vartys mottigen Tastenteppichen sowie Ian Salmons retro-treuem Bass-Grummeln jedem angegrauten Zeitzeugen das Dopamin mitten ins Herz.
Zugleich spendet mir die nahezu sklavische Aufführung für viele einst Mauer-gefangenen Progköstler ein zugleich willkommenes sowie wehmütiges Zubrot zur frühesten Marillion-Historie, bekommen diese all die Schlag-Holprigkeiten des einst geschmälerten Kurzzeit-Drummers und aufgedunsenen Virtuosen und die Lehrstücke seiner Kumpanen als qualitätsbewussten Aufguss auf die Ohren.
Line-up:
Nick Barrett [Pendragon](guitar)
Brian Cummings [Carpet Crawlers] (vocals)
Mike Varty [Credo](keyboards)
Ian Salmon [Arena](bass)
Mick Pointer (drums)
Tracklist
CD 1:
01:Script For A Jesters Tear
02:He Knows, You Know
03:The Web
04:Garden Party
05:Chelsea Monday
06:Forgotten Sons
CD 2:
01:Three Boats Down From The Candy
02:Charting The Single
03:Grendel
04:Market Square Heroes
05:Margaret
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