Eine Platte, zwei Meinungen. Norbert legt vor und Markus schiebt nach.
Norberts Meinung:
"One Hand Free aus New Hampshire mit ihrem 'good old, hand rolled, homestyle, gritty, honest, deep southern-rooted Classic Jam-Groove-Rock'n Roll'
…so steht's in der Ankündigung von 'Bärchen Records', dass das gleichnamige Debüt-Album der vierköpfigen U.S.-Band aktuell in Deutschland herausgebracht hat. Begeisterte RockTimes-Kollegen brachten es nach Hörproben auch auf den Nenner 'Southern Rock meets Deep Purple'. Und ich sitz nun da und soll diese 'Wundertüte' besprechen…
Ist viel drin. Satte Slide-Einsätze, Twin-Guitars, eine 'Vibe Guitar' (lt. Booklet - was immer das ist), viel Effekte, pulsender Bass, eine prägnante Rock-Röhre, variable Schlagzeug-Unterstützung und diverse Keyboardsounds, die von zarten Tupfern über schwelgenden Leslie-Breitseiten bis zu Moog-tönenden Lines reichen. Diverse Stile und Stilmittel im Retro-Gewand, die ganze SR-Nomenklatur und viel aus der britischen Hardrock-Abteilung der frühen Siebziger, dazu noch andere Zutaten und Zitate satt - es gibt viel zu entdecken in den zehn Songs. Auch nach dem achten oder neunten Hördurchgang, markante Hooks, interessante Breaks, gängige Refrains, aber eigentlich noch immer nichts, was wirklich bei mir hängen geblieben ist. Die einzelnen Versatzstücke sind schon stark, aber ergeben zu selten wirklich einen konsequent durchgezogenen Song, geschweige denn ein Album aus einem Guss.
Bereits im ersten Stück "Now You Know" packt die Band alles aus, was sie drauf- und drinhat, wobei die fette Slide schon ein Ausrufezeichen verdient. Dann dominiert die Orgel von Andrew Blowen und es geht schnurstracks 30 Jahre zurück ins vereinigte Königreich, wo Jon Lord und Ken Hensley das Zepter schwangen. Der Keyboarder macht auch eine gute Figur als Shouter, aber auf Dauer fehlt irgendwo die Substanz. Dazu ist die Abmischung seiner kratzigen Stimme nicht immer optimal. Meist mit leichtem Hall unterlegt, oft aber auch etwas im Hintergrund, wenn's eigentlich zur Sache gehen soll.
Dass er richtig gefühlvoll singen kann, zeigt er bei der Uptempo-Nummer "Days" im Allman Brothers-Stil. Davor "I Told You", ein knallharter Hardrocker, irgendwo zwischen Sabbath und Heep, aber doch insgesamt recht simpel gestrickt. Am gelungensten ist "Lay Your Body Down", das sich auch wieder reichlich aus der ABB-Kiste bedient, wobei diesmal Bob Seger als Sänger 'vorbeischaut'. Für das Jam-Feeling fehlt aber die Leichtigkeit, es wirkt alles etwas aufgesetzt. Zur besseren Sorte gehört noch "If I See You", auch wenn's zwischendurch mal gewaltig rumpelt. "Devil's Tongue" ist wieder so ein Song, der gut und interessant losgeht, Stimme und Schlagzeug bauen Spannung auf und dann wird alles niedergewalzt, Wishbone-sche Doppelklinge, Slide-Gewitter, Moog-Gejaule...
"Pretend" klar an Gov't Mule ausgerichtet (auch Robin Trower's "Bridge of Sighs" fällt mir dazu ein), zwei satte Rocker zum Schluss, bei der das ganze Arsenal noch einmal aufgefahren wird. One Hand Free hat sicher viel Potential und Power, es sind klasse Musiker. Aber bei seinem Erstling hat das Quartett nach meinem Geschmack zu viel gewollt und zu viel draufgepackt. "Wer zwei Schritte auf einmal macht, der fällt auf's Maul" (alte Frankenwäldler-Weisheit)! Und für den gewagten Spagat zwischen den Südstaaten und dem U.K., zwischen den 70ern und dem Heute, reicht´s halt doch noch nicht. Ein erfahrener externer Produzent (das Album wurde selbstproduziert), der das Ganze in deutlich straightere Bahnen lenkt, täte der Band sicher gut. Dann könnte es wirklich das werden, was 'Bärchen Records' uns so vollmundig verspricht. So langsam wäre es auch Zeit für den Nachfolger, dem ich mal hoffnungsvoll entgegen blicke.
Wer Southern Rock nicht aus dem 'Redneck'-Blickwinkel definiert und offen für musik-kulinarische Experimente ist, der sollte zugreifen. Sicher (noch) nicht 'the next big thing', aber interessant allemal.
Markus sieht das anders:
Lächerlich? Vielleicht. Aber trotzdem muss ich die Frage stellen. Kann sich
noch irgendjemand an Georg Buschmann erinnern, der vor ca. 257 Lichtjahren
Sänger bei der deutschen Band Straight Shooter war? Ulli? Jürgen?
Manni? Irgendwer??
Never mind. Ich hatte im Vorfeld dieses Reviews so einige Schwierigkeiten,
da mir von irgendwoher der Floh ins Ohr gesetzt wurde, dass es sich beim
Stil von One Hand Free um eine Kreuzung aus Southern-Rock und Deep Purple handelt. Kaum zu glauben, wie sehr so etwas beeinflusst. Es hat dann
doch einige Zeit gekostet, mich von dieser 'Vorgabe' zu befreien und
vollkommen unbefangen an die Geschichte heranzugehen. Heute kann ich diese
Einschätzung zwar ansatzweise nachvollziehen, jedoch wird diese
Beschreibung meiner Meinung nach der Band letztendlich nicht gerecht.
Vorgelegen hat mir zu Anfang nur der blanke Silberling, ohne jegliche
Zusatzinformationen. Aber schon beim ersten Durchlauf wurden zwei Dinge ganz
klar: Die Band muss aus Amerika stammen und die Wurzeln ihrer Musik liegen
ganz ganz tief in den siebziger Jahren. Und tatsächlich: Nach erfolgten
Recherchen stellt sich heraus, dass sich das Quartett um den bärenstarken
Sänger, Hauptsongwriter und Keyboarder Andrew Blowen aus dem
Städtchen Dover in New Hampshire in die wilde Rocklandschaft hochgearbeitet
hat.
Blowen, der bereits seit ca. 15 Jahren auf den Bühnen New Englands
unterwegs ist, hat mit Josh DiJoseph (g,v), Geoff Taylor
(b,v) und Kelly Bower (d) eine verdammt schlagkräftige Truppe
zusammengestellt, die eingängigen (nicht zu verwechseln mit kommerziellen),
gut arrangierten und gespielten Rock auf jeden einprasseln lässt, der sich
noch für diesen Musik-Stil interessiert. Wie schon erwähnt, gibt es
selbstverständlich viele Anleihen aus den 'Goldenen' Siebzigern,
wahrscheinlich auch aus dem sogenannten Southern-Rock, aber für meine
SR-ungeübten Ohren kommen die Songs frisch, lebendig, spielfreudig und nie
langweilig rüber.
Zugleich spannend, wie auch abwechslungsreich weiß sich jedes einzelne
Instrument, jeweils zu seiner Zeit, in die zehn Songs des Albums
einzubringen und auch deutliche Akzente zu setzen, ohne jedoch jemals
aufdringlich zu wirken. Und über allem thront dann der wirklich hammergeile
Gesang von der treibenden Kraft der Band, Andrew Blowen, der selten um
starke Gesangsmelodien verlegen ist.
Von mir gibt es für dieses Album 9 RockTimes-Uhren.
Die volle Punktzahl wird nur deshalb nicht erreicht, weil der absolute Über-Hammer-Song, zu dem die Band in Zukunft mit Sicherheit zu schreiben in der Lage sein wird, auf
diesem Debütalbum noch fehlt. Vielleicht beim Nachfolger? Ich werde den Weg
dieser Combo auf jeden Fall weiterverfolgen, denn deren Erstling verspricht
einiges.
Das einzige, was mich verwirrt und davon abgesehen wahrscheinlich auch total
unlogisch ist, ist, dass mir dieser Georg Buschmann nicht mehr aus dem Kopf
will ....
Spielzeit: 45:31, Medium: CD, Halt Music, 2004
1:Now You Know 2:Come On Strong 3:I Told You 4:Days 5:Lay Your Body Down 6:If I See You 7:Devil´s Tongue 8:Pretend 9:1963 10:School
Norbert Neugebauer & Markus Kerren, 14.02.2006
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