Es ist wieder da - das OSI (Office Of Strategic Influence), und stellt den zweiten Reisepass aus.
Was für ein Name - OSI - 'Amt für strategischen Einfluss'. Genauso steht es im ersten Reisepapier geschrieben. Allerdings dürfte der Einfluss des 'Amtes' in gewissen Kreisen unbestritten sein....
Wie bereits beim Erstling beweisen Jim Matheos ( Fates Warning) und Kevin Moore ( Chroma Key, ex- Dream Theater) mit "Free" erneut ihre Sonderstellung als außergewöhnliche und kreative Songwriter, die sich ausgezeichnet ergänzen.
Wurde beim selbstbetitelten Debüt noch kein Unterschied zwischen festen Bandmitgliedern und Gastmusikern gemacht, hat sich das Komponisten-Duo Matheos/ Moore diesmal anders entschieden und führt sowohl Stardrummer Mike Portnoy ( Dream Theater) als auch Bassist Joey Vera ( Fates Warning) als Gastmusiker auf. Auf die Gastvocals von Porcupine Tree-Mastermind Steven Wilson verzichteten die Herrschaften nun komplett, was so mancher vermissen dürfte, an sich aber nicht weiter schlimm ist. "Free" hat alles was einen Volltreffer auszeichnet.
Interessant am Projekt OSI ist, dass hier zwei Songschreiber aufeinandertreffen, die zwar beide aus dem Prog Metal-Sektor nicht weg zu denken sind, dennoch auf den ersten Blick mit ihren jeweiligen Hauptbands sehr unterschiedliche Genres bedienen.
Fates Warning, deren Gründer und Hauptsongschreiber Jim Matheos ist, gehören zu den besten und begehrtesten Bands auf dem Sektor des Progressive Metal. Kevin Moore hat sich nach seinem Weggang bei den Prog-Metal-Dinosauriern Dream Theater als Erzeuger dunklerer, beklemmender, nichtsdestotrotz aber auch berückender und faszinierender Sounds und Atmosphären einen Namen gemacht. Vornehmlich in wavigen Elektroniksounds seines Projektes Chroma Key, das zwar drei hervorragende Releases vermelden konnte, aber von der Prog-Familie weitgehend mit Nichtbeachtung und/oder Unverständnis bestraft wurde. Ähnliches ist bereits auch dem Labelkollegen VAST widerfahren.
Wieder einmal zeigen sich die Vorteile (?) der globalen Vernetzung in der Arbeitsweise des Kreativ-Duos. Der eine (Jim Matheos) sitzt im amerikanischen New Hampshire und entwirft die Grundarrangements. Der andere (Kevin Moore) ergänzt und erweitert das Projekt von Montreal und Istanbul aus. Zu den Aufnahmen mit Mike Portnoy trafen sie sich aber dann doch in Connecticut.
Im Vergleich zu "Office of Strategic Influence" ist "Free" etwas waviger, etwas elektro-poppiger ausgefallen. Typisches Beispiel hierfür ist "Go", elektronisch, düster, nah, und doch weit weg. "I Will Let This Go". Das Gegenstück dazu ist das metallischere "Better", in dem Jim Matheos heavy Gitarrenriffs hervorzaubert. Die Abgehobenheit der 'Dark Avantgarde Musik' (Moores quasi 'selbstgewählte' Bezeichnung seiner musikalischen Tendenz) wird von Jim Matheos erdigen Gitarrenlines kompensiert und holen den Hörer zurück in die Realität.
"Free" und "All Gone Now" - die charakteristischen Merkmale von Fates Warning ergänzen sich perfekt mit jenen von Chroma Key. Mal mehr in der einen Richtung, mal mehr in der anderen. Kevin Moores Stimme klingt eher spröde, trocken und unnahbar kühl, ist eigentlich gar keine 'richtige' Singstimme, im Sinne eines Solosängers. Dennoch ist es hier ähnlich gelagert wie bei Porcupine Tree oder Green Carnation - die Stimme ist perfekt für die zelebrierte Musik.
Interessanterweise scheinen die OSI-Fans unter den Web-Usern einen völlig anderen Geschmack zu haben als etliche Musikkritiker. OSI ermittelten in einer Umfrage bei 'myspace.com' die meistgewünschten Songs und so kamen "Kicking" und "Better" zu der Ehre das neue Album "Free" in diesem Internetportal zu repräsentieren.
Das ist jedoch keineswegs abwertend gemeint. 'Myspace.com' ist als Musikverbreitungsplattform für Bands aller Genres ein enorm wichtiges Medium geworden. Daraus lassen sich zum Teil riesige Netzwerke spannen. Nun ist "Kicking" zwar vielleicht nicht der allerbeste Song, äh ja - wieso eigentlich nicht? Das ist ja alles immer Geschmackssache. Und ein nicht unwesentlicher Punkt ist der, dass "Kicking" wohl das massentauglichste Stück des Album geworden ist. Irgendwo klingelt da im Hinterkopf leise die Erinnerung an den einstigen 'MTV'- und 'Viva'-Boom der Elektronik-House-Popper Daft Punk und deren Debütalbum "Homework", an Kraftwerk oder Gary Numan. Wenn ein Song auf "Free" absolut massenkompatibel ist, dann "Kicking".
Melancholische Keyboards und kraftvolle Gitarrenriffs beschwören verwunschene Klangwelten herauf. Atmosphärische Dichte und Verträumtheit wie man sie von Sigur Ròs kennt wechselt sich mit der Kunstwelt eines Gary Numan und der erdigen Realität von Fates Warning. Die Reiseroute ist entworfen, der Ausweis gültig. Man tut gut dran, schleunigst das offerierte Visum in Anspruch zu nehmen, den Fensterplatz im OSI-Flieger zu besetzen und die Schönheiten von "Free" zu entdecken.
Ungewöhnlichste Nummer des Albums ist übrigens "Our Town". Ein fast komplett akustisch eingespielter Track ohne großartiges Programming. Eine bedrückende Melancholie liegt über den Lyrics: "When the truth gets hard to imagine….". Relativiert wird die Stimmung etwas vom beinahe heiteren Einsatz der Mandoline, die wohl für die immerwährende Zuversicht steht. Ein wunderschöner Ausklang, eine einfühlsame Landung - "the trip has an end, has it?"
"Free" ist außerdem auch in einer 'Special Edition' im Schuber mit erweitertem Booklet und einer sechs Tracks umfassenden Bonus-CD erhältlich. Und das Tüpfelchen auf dem 'i' wäre es doch, wenn sich die Herren zu einer Tournee durchringen könnten. Die Fans würden es ihnen danken.
Spielzeit: CD 1: 48:13, Bonus-CD: 19:25, Medium: Do-CD, SPV, 2006
Disc 1: 1:Sure You Will 2:Free 3:Go 4:All Gone Now 5:Home Was Good 6:Bigger Wave 7:Kicking 8:Better 9:Simple Life 10:Once 11:Our Town
Bonus-CD: 1:OSIdea 9 2:Set It On Fire 3:Communicant 4:When You're Ready (demo) 5:Remain Calm
6:Old War
Maria Ortner, 06.05.2006
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