Owen? Who the f… is Owen? mag sich der geneigte Hörer fragen. Nun gut, der Titel des vorliegenden Albums gibt sich bereits aufschlussreich: "L'ami du Peuple" - "der Freund des Volkes". Dennoch reißt die Verwirrung erst mal nicht ab: Ist Owen nun der Name einer Band oder ein Einzelkünstler? Ist der französischsprachige Titel des Tonträgers, gepaart mit dem englischen Vornamen eventuell ein Hinweis auf kanadische Abstammung? Rätsel über Rätsel. Irgendwie sind alle diese Gedankenspielereien aber fehlgeleitet.
Zwar firmiert Owen offiziell als Band, jedoch ist "L'ami du Peuple" quasi im Alleingang entstanden. Alle Kompositionen stammen von dem Chicagoer Musiker Mike Kinsella, der auf der Scheibe auch nahezu alle Instrumente selbst bedient und auch die Vocals bestreitet. Der vorliegende Longplayer ist bereits das siebte Album, das er unter dem Pseudonym Owen veröffentlicht.
Jahrelang spielte Kinsella in unterschiedlichsten Indie- und Alternative-Bands wie Joan Of Arc und wurde so zu einem gefragten Namen der musikalischen Undergroundszene von Chicago.
Im Gegensatz zu diesen Projekten wollte Kinsella mit Owen seine ureigenen und intimen Ideen umsetzen. Konsequenterweise zog er sich für die Produktion der ersten sechs Alben in sein lauschiges Eigenheim zurück und spielte die Songs im Multitrackverfahren als Home Recordings ein. Lediglich die Streichersequenzen wurden von diversen Gastmusikern übernommen. Für "L'ami du Peuple" ging Kinsella erstmalig als Owen ins Studio. Und, im Gegensatz zu seiner früheren Vorgehensweise, hatte er diesmal keine fertigen Songs im Gepäck. Vielmehr entstanden die melancholischen, introvertierten Werke quasi 'on the fly': Mike Kinsella experimentierte, fügte Text- und Melodiefragmente aneinander und bemühte sich, den kreativen Fluss einfach am Laufen zu halten. Die Konzentration auf technischen Aufnahmeschnickschnack wäre dabei nur hinderlich gewesen und so gewann Kinsella den Produzenten Neil Strauch für das vorliegende Album.
"L'ami du Peuple" wirkt auf sehr erfrischende Art und Weise altmodisch und modern zugleich. Die schlichte Begleitung auf einer akustischen Gitarre und der zurückhaltende Gesang zwischen Melancholie und Hoffnung erinnern an den psychedelic Folk der frühen siebziger Jahre. Bands wie Pearls Before Swine oder Songpoeten wie Nick Drake und Tim Buckley waren damals die Vorreiter dieses Stils. Die Werke dieser Künstler hatten alle eins gemeinsam: Ihre Arrangements wirkten zart und zerbrechlich, was sich auch in den Texten widerspiegelte. Introvertiert, zurückhaltend und sentimental, allerdings, trotz aller Drogenlyrik, mit einem festen Blick auf die Realitäten. All diese stilistischen Anklänge finden wir auch bei Owen, allerdings gingen seither rund 40 Jahre Musikgeschichte ins Land.
Owen entstammt einer komplett anderen Generation und vertritt diese auch mit dem nötigen Selbstbewusstsein. Somit kann man die aktuelle CD nicht als 'retro' einstufen. Hier agiert kein Späthippie - wenn wir schon eine Schublade brauchen, steckt da eher ein 'Emo' drin.
Neben den gefühlvollen Melodien, die Kinsella mit Stimme, Gitarre und nicht selten dem Glockenspiel webt, stehen gelegentlich emotionale Ausbrüche höchst elektrischer Natur. Besonders deutlich wird das in "Blues To Black": Nachdem Kinsella seine philosophischen Gedanken mit zärtlicher Harmonik umschmeichelt, steigert sich der Song zu einem furiosen, energetischen E-Gitarrengewitter, das aus den Gefilden von Grunge und Hard Rock moderner Prägung herübergeweht wurde. Quasi von Pearls Before Swine zu Pearl Jam! Dabei überzeugt der emotionale Output, das Stück reißt im wahrsten Sinne des Wortes mit.
Mit solchen Höhepunkten wird bei Owen sparsam gewirtschaftet, was der Wirkung solcher aufbrausender Momente sehr zugute kommt.
In den Lyrics befasst sich Kinsella auf poetische Weise mit jenen Fragen, die wohl jeden beschäftigen: Vergänglichkeit, Tod und Leben. Dass sein eigener Vater vor nicht allzu langer Zeit dahinschied und er selbst nun ein Vater ist, spiegelt sich in Titeln wie "The Burial" und "Vivid Dreams" wider.
Dennoch ist "L'ami du Peuple" definitiv kein Werk, das ausschließlich Nabelschau betreibt. Mike Kinsella kriegt in vielerlei Hinsicht immer rechtzeitig die Kurve - von persönlichen Reflektionen hin zur Sozialkritik, von versponnenen Träumen zu harter Realität. Auch in musikalischer Hinsicht fährt er traumwandlerisch auf diesem Kurs: Er steuert den Hörer durch Sentimentalität, Melancholie und Trauer, biegt aber nie in die Abzweigung 'Kitsch' ein. Selbst die Streicher verkleistern nicht die spröde und fragile Atmosphäre der Klänge. Auch die teilweise fast schon ekstatische E-Gitarre zerreißt nicht die Gefühlstiefe, sondern hebt sie lediglich in andere Sphären.
Dass dieses Opus von Owen eine Studioproduktion ist, fällt erst beim zweiten Hinhören auf - Meister Strauch hat einwandfrei gearbeitet. Zugleich hat er aber den Charme von Kinsellas früherer Vorgehensweise eingefangen. Man hat wirklich das Gefühl, man sitze bei den Musikern im Raum, gemütlich auf einem Sofa und lausche gebannt einer interessanten Künstlerpersönlichkeit. Sehr privat, sehr authentisch. Und höchst empfehlenswert.
Line-up:
Mike Kinsella (vocals, guitars, keyboards, bass, drums, Glockenspiel)
Kristina Dutton (violins)
Tomeka Rid (cello)
Lupe Martinez (girl vocals)
Mom (babysitting)
Tracklist |
01:I Got High (4:42 )
02:Blues To Black (5:07)
03:Love Is Not Enough (3:04)
04:Coffin Companions (5:11)
05:The Burial (4:00)
06:Bad Blood (3:47)
07:Who Cares (4:03)
08:A Fever (3:41)
09:Where Do I Begin? (3:23 )
10:Vivid Dreams (3:07)
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