Es war das erste mal, dass Porcupine Tree einen Konzertstopp in den
neuen Bundesländern einlegte, und somit zum Plichttermin für jeden Liebhaber anspruchsvoller Rockmusik avancierte.
Die kreativ-dynamischen Briten um One-Man-Wonder Steven Wilson haben in den
letzten Jahren, mit ihrer konsequenten musikalischen Evolution und Arbeitsweise,
bzw. mit maßstäblichen Studioproduktionen, für einige Furore in der Medienszene
gesorgt.
Erst im Frühjahr hatte das Quartett mit dem fulminanten "Deadwing"-Album
im Gepäck, europaweit in ausverkauften Konzertsälen gespielt. Nun wurde, wegen
der großen Nachfrage, nochmals ein paar Auftrittstermine für die hiesigen Breitengrade
mit eingeplant. Austragungsstätte für diesen Abend war das Leipziger 'Werk 2', eine
mitten im Herzen der Stadt gelegene, ausrangierte Fabrikhalle mit einer eher typisch-
kühlen Räumlichkeit.
Zunächst sollte die 1998 formierte Band Oceansize kongenial die Rolle der Anheizer mit Bravour bestreiten. Die nach einem Janes Addiction-Song benannten Musiker aus
Manchester, deren expansiver, vielschichtiger Sound getrost zur Alternativen Riege
junger dynamischer Britacts dazugezählt werden darf, waren zu dieser Zeit und an diesem
Ort wohl wirklich motiviert und mit Herzblut bei der Sache. Trotz überlautem, verzerrten
Soundgewand (was sich schlagartig beim Hauptakt zum Besseren ändern sollte - warum auch
immer) lieferten die fünf Jungs eine mitreißende Performance.
Ihre auftürmenden Gitarrenwände,die teilweise von drei Gitarreros gleichzeitig erzeugt wurden, streuten Riffbreitseiten, die schon mal in Neumetallische Gefilde abdrifteten,dann aber wieder zu atmosphärischer Melodiosität zurück fanden.
Bei ihrer dreiviertelstündigen energetischen Darbietung präsentierten sie überwiegend Material vom sehr ausgewogenen zweiten Longplayer "Everyone Into Position" ( 'Beggars Banquet/Indigo') welcher sich vor experimentellen, progressiven Einflüssen nicht verschließt.
Es gestaltete sich zu einer andauernden Berg- und Talfahrt zwischen Breaks und recht
variablen Rhythmussektionen, bis hin zu lyrisch-pathetischen Soundgemälden, mit gelegentlich aggressiven Alternativ-Appeal. Für die Protagonisten ist es ein wahrhaftiger Segen, mit Mike Vennart über einen überdurchschnittlichen Sängerkollegen mit solch einem Stimmenpotential, der die aggressive und harmonische Artikulation gleichermaßen
beherrscht, zu verfügen. Für Aufsehen sorgte auch das virtuose, kraftvolle Schlagzeugspiel von Mark Heron, der die gesamte Gruppe damit immer wieder athletisch vorantrieb.
Ein langsam versackendes Rückkopplungsgewitter setzte diesem kurzen, aber dafür intensiven testosterontrunkenen Auftritt sein Ende. Mit ihrem interessanten Stilmix, derzeitigen Positiv-Referenzen und ihrer andauernden Euphorie im Rücken, werden es die fünf sympathischen Briten schaffen, das Herz einer neuen Art-Rock Generation zu gewinnen bzw. mitzuformen.
Livehaftig sind Oceansize mit Sicherheit eine unbedingte Empfehlung!
Nach der obligatorischen Umbaupause, ertönte pünktlich um 21.15 Uhr das Intro für den von
etwa 500 Rockjüngern (im wahrsten Sinne des Wortes) sehnsüchtig erwarteten musikalischen Hauptakt an diesem Abend.
Die Mannen um ihren Frontguru Steven Wilson kamen gleich voll zur Sache und eröffneten ihre musikalische Exkursion durch die mittlerweile schon 15 Jahre andauernde Bandhistorie mit den einfach-konzepierten Mainstreamrocker "Open Cars" vom aktuellen "Deadwing"-Output. Und beileibe bewiesen uns die Musiker mit heftigster Gitarrenarbeit, unterstützt vom zweiten Tour-Gitarristen John Wesley, unter einem infernalischen Lichtgewitter, dass sie für diesen Abend bestens motiviert sind. Mit dem sich anschließenden "Blackest Eyes", vom kommerziell wohl bisher gefälligsten Album "In Absentia" ('Lava/Warner',2002), halten die Mannen die kraftvoll treibenden Tempi, bzw. agieren dabei fast schon choreograpish hyperagil über die Bretter.
Auffällig während dieser Erwärmungsphase ist das tadellos transparente Soundgemisch, dass in Anbetracht der nicht gerade zutragenden akustischen Hallen-Verhältnisse für den Tonmeister sicherlich keine einfache Arbeit darstellte.
Die "Deadwing"-Singleauskopplung "Lazarus" bildete danach mit hinreißenden
radiotauglichen Chorussen, und einer unter die Haut gehenden Melodie gleich den ersten Ruhepol.
Mit eben dieser letzten Studioveröffentlichung bewies die Band allen elitären
Kritikern und Dilettanten der Garagenrock-Szene, dass auch Aussenseitervirtuosen mit
Seele zu musizieren vermögen. Beim psychedelisch beflügelten "Hatesong", einer der
besseren Songs von Ligthbulb Sun(2000), entfaltete dieser in seiner zeitlichen Ausdehnung mit dem genialen Instrumentalpart, Barbieris ambivalentes Tastenensemble, nebst einem göttlichen Drumming und Wilsons 'Gilmour-inspiriertes Gitarrenspiel', seinen vollendeten Reiz.
Im weiteren Konzertverlauf tritt dazu eine fast schon beängstigende Perfektion zu Tage, die
eben Wilsons Genius bzw. Drang zur Weiterentwicklung und deren Integration in jede
neue Komposition, eindrücklich dokumentiert.
Eine livehaftige Balance zwischen den heftig rockenden Sektionen und den wunderbaren
Harmonien bzw. Melodien zu erzeugen, möchte man hier einfach als überdurchschnittliche
Gabe annehmen. Was den Konzertbesuchern geboten wurde, ist bestens arrangiertes
Alternativ-Rock-Kino, dramaturgisch völlig konform zu synchron ablaufenden Video-
Projektionen und der wohlproportionierten Lichtkonzeption.
Teils thrashige Gittarenriffs führten die überwiegend zerbrechlichen Teile ad absurdum,
zugleich erhielten die exaltierten Werke durch die brachiale Intonation wiederum eine
erstaunliche Klarheit und Farbigkeit.
Schlagzeuger Gavin Harrison (seit Ende 2001 dabei) bildet zusammen mit Tieftöner Colin Edwin wohl eine der gegenwätig besten Rhythmuskombinationen. Keyboarder Richard Barbieri (ex- Japan) verziert alle Stücke mit einem ausfüllenden Klangteppich, und der vor Kreativität strotzende Mastermind Steve Wilson (Jahrgang 1967) zelebriert dabei seinen einprägsamen Gesang und Gitarrensound.
Die häufig aggressiveren bzw. düsteren Visionen der letzten Alben sollten künstlerisch
ambitioniert umgesetzt werden. Mit "So Called Friend" gaben die Protagonisten sogar die
seltene "Lazarus"-Single-B-Seite zum Besten, bei dem sie wiederholt sehr signifikant metallisch zu Werke gingen.
Mit einer fast viertelstündigen musikalischen Verbeugung vor der Floyd'schen Komponierkunst manifestierten die Bühnen Akteure mit "Arriving Somewhere But Not Here" vom aktuellen Album, den für mich ersten Höhepunkt:
Der durchweg sphärische Grundtenor der sich im Mittelteil einem ausufernden, orgastischen Gitarrensolo des Meisters ergibt, um zum Ende hin gar noch jazzige Charaktere anzunehmen.
Hierbei zeigten sich ganz deutlich Wilsons bestimmende Spirits, deren er sich bis heute nicht verschließen kann und möchte. Er, der schon in frühester Kindheit für Musikelektronik und deren experimentellen Umgang brannte, bekam seine endgültige musikalische Initialzündung beim hören der Platten von ELO, Abba und Pink Floyd, wobei ihm bei letzteren das Meisterwerk "Dark Side Of The Moon" amtlich dazu bewog.
Nach einer reichlichen Lehrzeit in der Schülerband Karma bzw. nach einigen selbstproduzierten Tapes, beschloss er 1991 den ersten Longplayer (mit eben diesem Material) unter den Pseudonym Porcupine Tree herauszubringen, und gründete dafür eigens ein Plattenlabel. Nach einigen Veröffentlichungen als One-Man-Band - unter Mitwirkung gelegentlicher Studiogäste - versuchte er im Dezember 1993 erstmals seinen psychedelischen-subtilen Artrock als Liveband umzusetzen. Nach gelungenen Auftritten arbeitete jenee nunmehr in konstanter Formation, (von einigen Nebenprojekten abgesehen) bei dem er nach wie vor die Gruppenphilosophie vorgab und für das Songschreiben verantwortlich war.
Dank seiner kreativen Beharrlichkeit und eisernen Disziplin schafften es Porcupine Tree, Stufe um Stufe den musikalischen Gipfel einer neuen Artrock-Generation zu erklimmen.
Mit ihren Brückenschlag zwischen Progressiv-Rock, Metal, Alternativ, Pop, Ambient und
Psychedelic setzt dieses wohl derzeitig relevanteste Musikerkollektiv, Maßstäbe für eine zeitgenössische moderne Rockmusik.
Am heutigen Konzertabend vermochte Wilson mit dem durchlagenden Resonanzklang seiner
besaiteten Freundin und seinen meditativen Habitus für Aufmerksamkeit zu garantieren. Trotz einiger recht ausgewogener Härtegrade sollte sich die Schönheit der Kompositionen nicht verlieren. Düstere Partituren sorgten immer wieder für intensive Gänsehautattacken und mentale Traumreisen.
Andauernd galt es, die nicht wenigen Raffinessen und verborgenen Feinheiten und ihre zauberhaften Stimmungen zu entdecken. Das gesamte Bühnenkonzept hatte Niveau, alles an dieser Performance wirkte ausgetüftelt und beileibe nicht überkandidelt.
So geriet der geplante Zugabenteil auch nicht zur leidlichen Pflicht vor dem Gang ins Hotel, sondern die Jungs spendeten, zur allgemeinen Überraschung, noch zwei schwere epische Leckerbissen.
Das überlange "Radioaktive Toy" vom 92er Debüt, ist wohl einer der vom Floyd'schen Geist
essentiell am stärksten besessenen Tracks, mit einer superben, tränentreibenden Gitarrenarbeit und einer ausladenden sakralen Orgelintonierung. Die mit "Trains" ("In Absentia") alle Dynamikgrenzen auslotende Schlusssteigerung rüttelte nochmals emotional bedrohlich und
eindrucksvoll an den Grundfesten im Auditorium.
So endete für mich nach 100 Minuten konzertanten Trips einer der wohl formvollendetsten
Rock'n Roll Gigs des Jahres. Dem Publikum gefiel es offentsichtlich - dem begeisterten und anhaltenden Applaus nach zu urteilen - auch.
Nachtrag:
Trotz dieses runden Konzertabends blieb leider bei mir ein fader Nachgeschmack
haften. Zu verdanken habe ich dieses Trauma einem selten übermotivierten Ordner am Bühnengraben, der sich und seine Aufgabe etwas sehr wichtig nahm, und dem offensichtlich meine Persönlichkeit nicht in sein Raster passte. Jedenfalls wurde ich nach einem 'unerlaubten' Fotografierversuch (sehr demokratisch) bei den Zugaben kurzerhand an die Luft gesetzt.
Natürlich kehrte ich umgehend wieder an den Tatort zurück, um meine Mission - über diese
Veranstaltung detailliert zu berichten - zu erfüllen. Über das Wieso und Warum der strengen
Auflagen beim Fotografieren während solcher Konzerte wurde ja schon zur Genüge
konstatiert. Wir Rezensenten und Fotografen haben nun einmal die Aufgabe bzw. Pflicht
übernommen, den interessierten Medienkonsumenten (Print -und Web-Medien) eine
allumfassende Berichterstattung anzubieten.
In der Realität muss man aber leider immer noch, wie man wieder an diesem Abend feststellen musste, gegen Windmühlen ankämpfen. Wann wird endlich den Musikern bzw. deren Medienvertretern ein Licht aufgehen?
Hier wird ja wieder in die Hand gebissen die Sie füttert!
Mein persönlicher Dank für den freundlichen Support geht an Thomas Bohnet von "Target-
Concerts", und Uwe Pabst, der mir freundlicherweise seine Konzertfotos zur Verfügung stellte.
Bilder vom Konzert
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