Einen nicht unerheblichen Hindernisparcours über knapp 100 km musste ich überwinden, um an meinem verträumt beschaulichen Zielort einer echten Legende des britischen R&B Auge in Auge gegenüberstehen zu können. Mit geborgtem Auto unterwegs, geliehener Kamera an Bord und einer Stunde Rückstand zum gestrigen Tag auf dem Zeitmesser durchschlich ich ein wahres sonntag-abendliches Blitzlichtgewitter, inszeniert von berüchtigten, grünen Männchen an unschuldigen Straßenrändern, hinter wehrlosen Bäumen verschanzt...
Eine, leider, florierende Unart, die sich vorzugsweise in den offenkundig finanzschwachen Gemeinden des Landes Brandenburg großer Beliebtheit zu erfreuen scheint. Ganz anders begegnet die Kulturgießerei den strukturellen Problemen der Region: Man locke Besucher aus den Weiten der Oder-Spree-Niederungen bis Zentral-Berlin oder gar Hamburg ins geruhsame Schöneiche und präsentiere ihnen in schöneichiger Regelmäßigkeit musikhistorische Highlights in einmalig livehaftiger, authentischer Atmosphäre. - Eine totsichere Formel, die wiederum am 29.03.2009 aufgegangen ist.
Diesmal waren die Pretty Things hierher angereist, gerade aus Bielefeld kommend
und am nächsten Tag schon auf dem Weg nach Hamburg. 2005 bereits statteten sie der Kulturgießerei, damals zusammen mit enfant terrible Arthur Brown, ihren ersten denkwürdigen, showheißen Besuch ab.
Der heutige Abend hingegen sollte vor allem im Zeichen beispielhafter Nachwuchsförderung stehen. So gaben die blutjungen Malchicks mit einigen griffigen Standards wie "Boom, Boom, Boom", "Got My Mojo Workin'" etc. ein ansprechendes Muster-Set ihres Talents zum Besten. Der Zauber dieses charmanten Vorprogramms lag gewiss aber in
der ehrwürdigen Bass-Begleitung des Duos durch Dick Taylor persönlich. Die graue Eminenz, legendärer Rolling Stones-Disclaimer und Begründer der Pretty Things formiert im Hauptteil dann mit zwei Jünglingen
(im Bass-Tausch mit Taylor nun: Malchick George Perez), dem Band-frontierenden Urgestein Phil May und 'Neuling' Frank Holland (der, seit 20 Jahren beim Pretty-Circus beschäftigt, übrigens eine erstaunliche optische Ähnlichkeit zu Gary Moore aufweist) ein äußerst sympathisches Familienunternehmen, das die Junioren im Team nicht nur liebevoll fördert, sondert knallhart fordert.
Letzteres steht Jack Greenwood, dem sich am Slingerland-Kraftwerk fast rührend verausgabenden, eher Halbwüchsigen denn Halbstarken, im blass perlenden Gesicht geschrieben.
Obligatorisch black-suited starten die Prettys ihr Playoff speed-zünftig auf der Schnellstraße des "Roadrunner". Ankunft: "Havana Bound" - kompromissloses, gut geöltes May-Shouting fährt wie am jüngsten Tag in die kubanische Haupstadt ein. Und dann wird's richtig aufregend. Das psychedelische Paralleluniversum öffnet sich, die prachtvollen Raumschiffe "S.F. Sorrow", "Baron Saturday" und das sphärisch traumhafte "She Says Good Morning" schweben ein. Die Flotten-Crew um Captain May packt ihre frisch elektrisierten Gefangenen mit magischem vielstimmigen Gesang gänzlich unsichtbar, dafür direkt und sicher im Genick!
Auch das sehr selten live gespielte "Alexander" aus dem Reservoir der psychedelischen Zweitformation der Things, Electric Banana, reiht sich in die sagenhafte Ohhs- und Ahhs-Tracklist dieses absoluten Great-Night-Stands.
"Raining In My Heart" gewährt den Akteuren auf der Bühne und der dancing nation davor einen der wenigen 'ruhigen' Momente, ehe man mit "The Beat Goes On" (vom letzten '06er Studioalbum Balboa Island) und schließlich "Midnight To Six
Man" plus "Come See Me" die typischen, beatharten Ausrufezeichen des Radau-Quintetts von '66 setzt.
Die Masse jubelt, ein Fan bedankt sich, Phil May umarmend, für das Geschenk, das ihm die Prettys mit ihrem bloßen Erscheinen auf dieser Bühne machten… oder sollte man von Erscheinung sprechen? - Der Erscheinung, deren eigenes, ungeschütztes Trademark 'raw energy and intensity' man schlichtweg mit Pretty Things übersetzen kann? Einer Erscheinung, die ähnlich den Small Faces, Vorreiter war, zu
früh dran mit ihrem womöglich patentierbaren Heavy/Hard Rock-Grundstein, weit vor allen Zeppelinen, die erst Jahre später in die weltpopulären Lüfte steigen sollten. Zu früh dran mit der wahrhaft ersten Rockoper "S.F. Sorrow" deren Inspiration Pete Townshend zum glorreichen "Tommy"-Erfolg führte. Zu brillant in völlig anderen Eight-Miles-High-Sphären, um den gemeinen Beat-Fan angesichts so vielseitiger visionärer Experimente noch bei der Stange halten zu können...
Robert Johnson, dem Anfang von allem?, huldigen die Things in ihrer prettyesk stilsicheren Einladung "Come Into My Kitchen". Frank Holland dreht immer mehr auf, harpuniert delta-like, liefert sich erstklassige Ping-Pong-Duelle mit Dick Taylor im Saitenspiel um den Lead- und Rhythm-Part auf dem soliden Teppich der Sprößlings-Rhythmus-Fraktion im Pretty Things-Mehrgenerationenhaus. - Was sich in der Tat nicht treffender hätte vereinbaren können - darf sich doch die Kulturgießerei, dank ihrer beständigen und anerkennenswerten generationsübergreifenden Aktivitäten seit kurzer Zeit ebenso benennen.
Die Frage der Pretty'schen Ehre wird selbstverständlich und eindeutig mit dem seinerzeit skandalträchtigen, Index-verfolgten "LSD" beantwortet. Lady "Rosalyn" übergibt zum Finale an "Mona" und jagt mit "Pretty Thing"/"I Wish You Would" die letzte Kanone dieser fulminanten Live-Edition der 'THINGS of the things' in die Luft. Das Schlachtfeld hinterlässt ringsherum glücklich-echauffierte Gesichter. Heiser nach den vergeblichen (weiteren) Zugabe-Rufen, stürzt man sich auf rare, schutzlos ausgelieferte Setlists und reißt sich um Autogramme, die von den Showmastern bereitwillig gegeben werden, während ich Gelegenheit habe, mich mit Peter vom langjährigen
Tourmanagement der Prettys zu unterhalten und dabei allerlei interessante Anekdoten ins Ohr geflüstert bekomme, sei es über die damals einzig vorhandene Sitar in den Abbey Road Studios, die man sich für Aufnahmen brüderlich mit George Harrison teilte oder die Einladung von Renft nach Rostock, der die 'Hübschen' einmal folgten oder die unerwartete, wenigen bekannt sein dürfende, spezielle Freundschaft zwischen Phil May und Van Morrison.
Unterdessen gesellt sich Dick Taylor zu uns, der es sich, wie mir Peter erklärt, nicht nehmen lässt, gewisse Teile des Equipments selbst abzubauen. Mein Respekt verbietet es mir, die Kamera erneut zu zücken, in dieser fast intimen Situation. Dass sich Dick im Gespräch nach mir erkundigt, gar bedankt dafür, dass ich die etwas widrigen Umstände meiner 'Reise' zu den Prettys auf mich genommen habe, wisch' ich eiligst verlegen mit einer abwiegelnden Handbewegung vom Tisch und entgegne ihm: »Was it worth all the way!« Sir Dick Taylor bestätigt mir wieder einmal meine Auffassung von der Größe wahrer Genies, deren Wesen immer in feinsinnigem Humor und kaum glaublicher Bescheidenheit und Zurückhaltung glänzen.
Ein wahnsinnig 'hübscher', rundum spannender Abend war das, nach dem Beginn der
kalendarischen Sommerzeit in Schöneiche bei Berlin - und dem irgendwo befindlichen Rest der Welt.
Wir danken Michael Brack von der Kulturgießerei für die problemlose Akkreditierung.
Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern für ihre unschätzbare automobile und kameratechnische Unterstützung an diesem bemerkenswerten Sonntag.
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