Rein menschlich betrachtet ist es nicht nur schade, sondern verdammt ungerecht, dass The Pretty Things nie den ganz großen Durchbruch geschafft, nie den absoluten Überflieger geschrieben haben. Doch beides braucht es nicht zwingend, um eine Legende zu werden. Das kann auch einer 'klassischen' Underground-Band gelingen...
Die Pretty Things kamen etwa zeitgleich mit den Stones auf. Mastermind Dick Taylor zupfte sogar dort in den Anfangstagen den Bass. Mehr noch als diese, galten die Pretty Things als absolute Bürgerschrecke. Kaum einer trug die Haare länger als Sänger Phil May - kaum einer drosch den Beat härter als die fünf 'großmäuligen' Londoner. Kündigten Konzertplakate die wilde Truppe im Städtchen an, holten alle potenziellen Schwiegermütter - angesichts von Songs wie "Mama, Keep Your Big Mouth Shut" - mit dunkelster Zornesröte ihre halbwüchsigen Töchter von den Straßen.
Das gleichnamige Debütalbum schlug 1965 wie eine Bombe im UK ein. Platz #6 in den Albumcharts der BBC sollte nie wieder von der Band getoppt werden. Bereits zuvor konnten sie mit "Don't Bring Me Down" (#10, 1964) und "Honey I Need" (#13, 1965) zwei (mehr als nur) Achtungserfolge verbuchen - Platzierungen, die spätere Singles ebenfalls nie wieder erreichten.
Aber, wie schon gesagt: nicht Verkaufszahlen, sondern Charakter erschafft eine Legende. So floppte zwar die Rockoper S.F. Sorrow aus Gesichtspunkten des Marketings gnadenlos und wurde trotzdem eine DER Kultscheiben der Flower-Power-Bewegung.
Das ist alles scheinbar schon Lichtjahre her - die Pretty Things waren und blieben die Lieblinge von Musikerkollegen, der schreibenden Zunft sowie jung und wild gebliebenen Musikliebhabern. Da ist es schon etwas ernüchternd, wenn der Kameraschwenk des Hauptfilmes von "Live At Rockpalast" interessierte, aber etwas verständnislose Gesichter erblicken lässt. Anlässlich des "Rockpalast Christmas Specials" von 1998 blieb den Pretty Things die undankbare Aufgabe überlassen, das Publikum in der Düsseldorfer Philipshalle auf Heather Nova und Van Morrison, den Topact, einzustimmen. Mehr als freundlicher Applaus war da nicht drin - zum Klassiker "Route 66" als Zugabe musste man sich quasi selbst einladen. Und das, obwohl die mythische "S.F. Sorrow"-Besetzung (plus Frank Holland) auf der Bühne stand... eigentlich unfassbar!
Die Pretty Things spielen sich den sprichwörtlichen Wolf - ungehobelt, wild, mit einem überaus charismatisch animierenden Phil May. Hart-ballernden, typisch britischen Rhythm and Blues, mit einem ganzen Block Psychedelic Rock von "S.F. Sorrow", haut die Band raus, doch diese Spielfreude scheint - selbst beim sensationell guten "LSD" - nicht beim aufmerksamen, aber etwas spröde wirkenden Publikum zu verfangen. Dann fällt zu Beginn auch noch die Monitoranlage aus; irgendwie scheint die Band zu diesem Zeitpunkt ziemlich 'angefressen'. Ausgerechnet Dick Taylor haut ab und zu ziemlich daneben, manche Breaks und Übergänge wirken 'holzig', gelegentlich läuft sogar der Takt ein wenig aus dem Ruder. Nun gut, man kann nicht an jedem Abend ultimative Höchstleistungen erbringen.
Der Sound ist nicht immer optimal abgemischt, aber trotzdem okay - Kameraführung wie Lightshow sind dagegen superb und halten einmal mehr den enorm hohen Standard dieser Kultsendung. Als Bonus hat Repertoire ein zwölfminütiges Interview von Alan Bangs mit Phil May, Dick Taylor und Skip Alan dazugepackt - knapp sechzig Minuten Spielzeit wäre auch etwas knapp bemessen für einen DVD-Datenträger gewesen...
Die CD von "Rockpalast Christmas Special" ist, bis auf den Rockpalast-Jingle und (natürlich) das Interview, deckungsgleich mit der DVD und ein unterhaltsamer Begleiter auf längeren Autofahrten. Quod erat demonstrandum...
Wesentlich besser gefallen mir allerdings die beiden "Rockpalast Crossroads"-Auftritte, 2004 und 2007 jeweils in der Bonner Harmonie aufgezeichnet und später - des Nächtens, wenn 'anständige' Menschen schlafen - im WDR ausgestrahlt.
Die "Crossroads"-Sendereihe hat sich mittlerweile durch enorm hohe künstlerische Darbietungen einen Kultstatus erspielt, der dem der legendären Rocknächte kaum noch nachsteht. Warum, kann man bei den beiden Auftritten der Pretty Things auf der Bonus-DVD nachempfinden...
Dass die Pretty Things immer eher eine Club- denn eine Festival-Band waren, beweist die Bonus-DVD mit den beiden Konzerten aus der Harmonie - einem der coolsten (wenn man mal von der Parkplatzsituation absieht!!) Schuppen im gesamten Westen der Republik. Vor allem: Das bekannt begeisterungsfähige Publikum ist, man merkt es den euphorischen Reaktionen an, wegen der Briten gekommen und erweist sich obendrein als überaus fachkundig, was sich 1:1 auf die Spielfreude der Musiker sowie die Qualität der Performance überträgt. Was für ein Unterschied zu den Aufnahmen des "Rockpalast Christmas Specials"!
Am 8. Oktober 2004 startete man mit den beiden wohl bekanntesten Songs von "S.F. Sorrow", "S.F. Sorrow Is Born" und "Balloon Burning", leicht psychedelisch, um dann tief in den britischen R&B und Pub Rock einzusteigen. Kerle, was 'dampft' der Schuppen zu "Don't Bring Me Down", "Midnight To Six Man" und "Havana Bound". Absolutes Highlight des Abends ist der Auftritt des Godfather of Hellfire persönlich, des großen Arthur Brown. Eine schärfere Version vom ollen "Hoochie Coochie Man" hab ich selten geboten bekommen.
Endlich sind auch die in Düsseldorf schmerzlich vermissten "Rosalyn", leicht punkig runtergerotzt, und "Mama, Keep Your Big Mouth Shut" zu hören. Weitere Höhepunkte sind das soulige "Goodbye, Goodbye" sowie "LSD", das die (bereits großartige) Performance des "Rockpalast Christmas Specials" noch einmal klar in Schatten stellen kann und direkt ins abschließende, glutvoll interpretierte "Old Man Going" übergeht.
Funkensprühende Atmosphäre, großartige Kameraführung, glasklar transparenter Sound - was für ein Fest für Auge und Ohr. Muss man unbedingt gesehen haben!!
Der "Crossroads"-Gig vom 19. Oktober 2007 stand unter dem Eindruck eines veränderten Line-up. Der 'Skipper', Drummer Skip Alan, war nicht an Bord und wurde (natürlich gut) durch den jungen Jack Greenwood vertreten. Auch der Keyboarder und Harper John Povey war nicht dabei, was das gesamte Set natürlich auf die reine Gitarren-Basis reduzierte. Zumindest ihre Stimmen wurden aber durch Scarlett Wrench (eine 'Augen- und Ohrenweide') und Mark St. John ersetzt, die beide beim damals aktuellen, mit drei Songs vertretenen Balboa Island mitgewirkt hatten.
Unter dem Gesichtspunkt der Intensität kann die Show recht gut mit der drei Jahre zuvor verglichen werden, was mal wieder am überragend motivierten Publikum liegen mag. Die Pretty Things liefern hier erneut ein Paradebeispiel dafür ab, wie stark sich Publikum und Musiker gegenseitig bedingen.
Beide "Crossroads"-Sets sind recht unterschiedlich bestückt, sodass diese Bonus-DVD - auch in musikalischer Hinsicht - viel Abwechslung bietet. Absolutes Highlight der zweiten Show: die akustischen Interpretationen von "Can't Be Satisfied" und "Livin' In My Skin" - was für Slide-Einlagen von Dick Taylor!!
An der Bildführung und beim Klang gibt es (erwartungsgemäß) erneut nicht das Geringste zu bemäkeln. Insgesamt gefällt mir aber, aufgrund der dort anwesenden Originalbesetzung, der 2004er Gig eine minimale Winzigkeit 'besser' - wohlgemerkt: solche Klassifikationen verbieten sich auf diesem Spitzenniveau eigentlich von selbst.
Ein gut elfminütiges Interview mit Phil May und Dick Taylor als Bonusmaterial rundet auch bei der zweiten DVD das 'Rahmenprogramm' gelungen ab.
Fazit: Eine tolle Veröffentlichung im Jahr nach dem fünfzigsten (!!) Jubiläum des Bestehens der Pretty Things, einer der sträflichst unterbewerteten Bands der gesamten Rockhistorie!
Wäre das schön, wenn "Live At Rockpalast" auch in jüngeren Käuferschichten wildern könnte. Eine wahre Lehrstunde in Sachen urwüchsig-wilder Rockmusik...
Line-up:
Phil May (lead vocals, percussion, harp)
Dick Taylor (guitars, vocals)
John Povey (keyboards, harp)
Wally Allen (bass, vocals)
Skip Alan (drums, vocals)
Frank Holland (guitars, vocals)
Guest Musicians (Bonus-DVD):
Crossroads, 2004:
Artur Brown (vocals)
Mark St. John (backing vocals, drums, percussion)
Crossroads, 2007:
Jack Greenwood (drums)
Scarlett Wrench (lead and backing vocals)
Mark St. John (backing vocals, percussion)
Tracklist |
DVD/CD:
Rockpalast Christmas Special,
19.12.1998 Düsseldorf, Philipshalle:
01:Intro [DVD only]
02:Road Runner
03:Don't Bring Me Down
04:Havana Bound
05:S.F. Sorrow Is Born
06:Baron Saturday
07:Private Sorrow
08:Balloon Burning
09:Loneliest Person
10:Come See Me
11:Cries From The Midnight Circus
12:Judgement Day
13:LSD
14:Old Man Going
15:Route 66 |
Bonus-DVD:
Rockpalast Crossroads,
08.10.2004 Bonn, Harmonie:
01:Intro
02:S.F. Sorrow Is Born
03:Balloon Burning
04:Don't Bring Me Down
05:Midnight To Six Man
06:Havana Bound
07:Hoochie Coochie Man
08:Rosalyn
09:Mama, Keep Your Big Mouth Shut
10:Goodbye, Goodbye
11:Goin' Downhill
12:Come See Me
13:LSD
14:Old Man Going
15:Route 66/Mona
Rockpalast Crossroads,
19.10.2007 Bonn, Harmonie:
01:Intro
02:The Beat Goes On
03:Don't Bring Me Down
04:Havana Bound
05:Buried Alive
06:S.F. Sorrow Is Born
07:Baron Saturday
08:Can't Be Satisfied
09:Livin' In My Skin
10:Midnight To Six Man
11:Cries Grom Midnight Circus
12:Come See Me
13:Judgement Day
14:LSD/Old Man Going
15:Road Runner
16:Rosalyn
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Externe Links:
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