Quidam /... bez półPRĄDU ... halfPLUGGED
... halfPLUGGED Spielzeit: 51:23
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2006
Stil: Prog

Review vom 11.11.2006


Ulli Heiser
»You can't judge a book by it's cover«, lautet ein bekanntes Sprichwort. Das klingt ultimativ. Die Abwandlung des Spruches klingt da schon eher nach einer Empfehlung: »Never judge a book by it's cover«. An beiden Aussagen ist etwas dran. Wer hat nicht schon falsch geurteilt, weil er sich zu sehr dem ersten Eindruck hingegeben hat?
Trotzdem ist es so, dass man manchmal gar nicht anders kann, als spontan zu 'urteilen'. So jedenfalls ging es mir, als ich das Cover dieses Albums zum ersten Mal sah. Zu dem Zeitpunkt kannte ich weder Musik, noch Band - konnte also schön dem ersten Eindruck freie Fahrt geben. Und da jede Regel mindestens eine Ausnahme hat (was allerdings nicht die Regel ist *g*), passt das Cover auch zur Musik. Überhaupt muss ich sagen, dass mich selten ein Coverbild so gefangen nahm. So sicher, wie der Duschvorhang beim Duschen meine Beine zu fangen versucht, um sich daran festzusaugen, so sicher ist es, dass ich dieses Cover anschauen muss, wenn es in meiner Augenreichweite liegt. Faszinierend und beinahe schade, dass ich über Musik reden 'muss'. Zu diesem Bild gäbe es nämlich viel zu sagen.
Auf die Bio der 1991 gegründeten Band möchte ich nicht näher eingehen. Die ist nämlich auf der Website der Band sehr detailliert zu lesen. Ein paar Fakten sind aber für diese Review wichtig, wie z.B. die relativ vielen Wechsel am Micro bzw. Wechsel von weiblicher zu männlicher Frontstimme. Dann, 1995 die Umbenennung von Deep River in Quidam, der Einstieg von Flötistin Ewa Smarzyńska. Letzteres Ereignis führte zum Stilwechsel - aus einer überwiegend Hard Rock und Blues spielenden Band wurde eine Prog-Truppe:
»The songs, full of long instrumental parts and musical poetry were now directed towards more sensitive and demanding listeners. Listeners who love moods created once by Camel, King Crimson (in their early phase), Genesis, Pink Floyd, Renaissance and many others.«
Blättert man das Bandtourbuch durch, findet sich viele erfolgreiche Auftritte auf Prog- und Artrockfestivals. Andrew Latimer (Camel) lud Ex-Sängerin Emila Derkowska und Ewa Smarzyńska 1997 bei einem Konzert auf die Bühne, um bei "Harbour Of Tears" mitzumischen. Die 'Classic Rock Society' unter dem Vorsitz von Rick Wakeman lud Quidam als 'special guest' zu der Awards Night nach Rotherham, England ein, auf der die berühmtesten, vom 'Wondrous Stories'-Magazin ausgewählten Prog- und Artockbands spielten.
»This album was not supposed to appear... The gig was recorded on multitrack recorder, just for us to preserve the memories. Yet after listening to the whole of it over again we came to conclusion that this material was so interesting that perhaps more than 6 people would care to get to know it :-)«
So so, das Album war also nie zum Veröffentlichen gedacht. Quasi ein Andenken an die Band. Liebe polnische Nachbarn: Gut, dass ihr anders entschieden habt und wäre da nicht der Smiley hinter dem letzten Satz würde mir spontan ein »Ich bin der Siebte, dem die CD gefällt :-)« entfleuchen.
»..we are not a folk band...« lautet ein weiteres Zitat zur CD. Dazu muss man wissen, dass die Mitschnitte von einem Folk-Festival stammen, zu dem die Band eingeladen war. Genauer, die 'Best Product Of The Year'-Show in Inowrocław. Nun ja, einen gewissen Folk-Touch mag ich schon attestieren, allerdings liegt das mit Sicherheit an der Flöte und auch am halbakustischen Set. Hauptsächlich gibt es Material aus der letzten CD, "surREvival", einer Nummer ("Sanctuary") aus dem Debütalbum sowie drei Coversongs.
Melodiöser Prog Rock trifft es wohl am ehesten. Kein Abdriften in Soundcollagen, die man vorm Verstehen erst akribisch erforschen muss. Satte Bassläufe, gefälliges, an schöne Sommertage erinnerndes Flötenspiel, angenehme Dur-Akkorde auf der Akustischen wechseln mit forciertem Gebläse á la Ian Anderson und gekonnten Übergängen ins Tongeschlecht mit der kleinen Terz im Verhältnis zum Grundton. Ob Dur oder Moll - die Musik verbreitet stets eine Art 'positive Energie' im Hörraum. Vocalist Barteks Stimme passt sich den musikalischen erzeugten Stimmungen an und wirkt mal zerbrechlich, dann aufmüpfend und fordernd. Es wird überwiegend englisch gesungen, aber gerade die Passagen in Originalsprache haben das besondere Etwas. Zumindest dann, wenn man der Sprache nicht mächtig ist. Mann kann sich voll dem Fluss der Musik hingeben und genießt die Portion Exotik, die die 'fremden' Stimmen einbringen.
Allen eigenen Nummern (aber nicht nur denen) gemein sind die perfekten Melodien, das präzise 'auf den Punkt' kommen und die irgendwie beruhigende Wirkung beim Hören. Die Band selbst ist absolut perfekt - es ist fast unmöglich auszumachen, dass hier die Aufnahme eines Live-Konzertes im Player abgetastet wird. Wären da nicht ab und an die Reaktionen in Form von Applaus des Publikums zwischen den Songs... ich würde auf Studio tippen.
Für welchen der bandeigenen Tracks würde ich mich entscheiden, wollte jemand meinen Favoriten aus "... bez półPRĄDU ... halfPLUGGED" mitgeteilt bekommen?
Schwer, sehr schwer. Eigentlich ist es immer die Nummer, die gerade läuft. Es gibt ja keine Rocker und Balladen, sondern eher einen gesamten, sehr langen Track, dessen roter Faden in Form der Flöte durch die 50 Minuten führt. Einen will ich jedoch herausheben: "Not So Close", denn es ist einfach nur geil, wie nach musikalischem 'Hinarbeiten' plötzlich (man erkennt das 'Hinarbeiten' nämlich erst im Nachhinein, wenn man weiß, was folgt) die Purple-Nummer "Hush" ertönt. Nicht einfach nachgespielt, sondern in einer leckeren Interpretation in "Not So Close" integriert. Eigentlich wird ja eine Covernummer gecovert, stammt "Hush" doch von Joe South. Für mich ist aber das Purple-Cover 'Original'. Klingt komisch, aber wie oft wurden Lieder erst durch Fremdinterpretation zu dem, was sie sind? Fast zwölf Minuten dürfen wir genießen und mittlerweile klappt es auch mit meinem polnisch, so dass ich genau verstehe, dass die Band vorgestellt wird :-)
Nun hat es ja noch drei weitere Cover und zählt man alle Coverversionen, die jemals gespielt wurden zusammen, ergibt das eine Zahl, die wahrscheinlich nicht viel größer ist als eine andere Zahl: Die, die die Anzahl der Meinungen über Sinn und Unsinn, Pro und Contra, gut oder schlecht, dafür oder dagegen wiedergibt, nämlich.
An dieser unnützen Diskussion will ich mich nicht beteiligen, weil es doch so einfach ist (sein könnte):
1:Es gibt nur ein Original
2:Das Original ist nicht zwangsläufig die beste Version
3:Jeder darf das so sehen, wie er will
Ich steige bei Punkt drei ein und bescheinige der Band eine klasse Interpretation der Songs. Die Beatles ("Blackbird") sind schwer, weil genrefremd. Da die Nummer im Original nicht unbedingt zu 'meinen' Beatles-Faves zählt, bin ich da total emotionslos. "Wish You Were Here" (Pink Floyd) ist da ein anderes Kaliber. Im Original ein Hammer, ist auch die Quidam-Version herrlich. Die akustische Gitarre, der Gesang... die Stimmung des Originals wird schön transportiert. Gelungen!
Auch der Moody Blues-Familiengründungshefer "Nights In White Satin" darf als gelungen bezeichnet werden. Das ist was für die Flöte!
Andere mögen Covers anders sehen - das ändert aber nichts an meinen drei Punkten.
Die drei Bonus Videos sind das Tüpfelchen auf einem tollen Rundling. Ich empfehle einen Besuch auf der Bandseite, um sich die Musik mal anzuhören.
Line-up:
Zbyszek Florek (keyboards, backing vocals)
Maciek Meller (acoustic guitars, backing vocals)
Bartek Kossowicz (vocals, tambourine)
Mariusz Ziółlkowski (bass guitar, acoustic guita)
Maciek Wróblewski (drums, percussion)
Jacek Zasada (flutes, bass guitar)
Tracklist
01:surREvival (6:07)
02:Queen Of Moulin Rouge (6:42)
03:Sanktuarium (Sanctuary) (5:49)
04:Blackbird 2:06)
05:Wish You Were Here (4:16)
06:The Fifth Session (9:18)
07:Nights In White Satin (5:25)
08:Not So Close (Including Excerpts From "Hush") (11:37)

Bonus Videos:
Proba (Rehersal)
surREvival (live)
Wish You Were Here (Live)
Externe Links: