Tom Ovans / Nuclear Sky
Nuclear Sky

Kann sich jemand vorstellen, Bob Dylan hätte Anfang der 90er seine erste Platte veröffentlicht? Was wäre aus ihm geworden? Wahrscheinlich Tellerwäscher, wobei es für einen Job in "Max's Kansas City" in New York nicht gereicht hätte, eher irgendein Hamburgerladen im heimischen Minnesota, wo er sich dort im hohen Norden der USA den Arsch abgefroren hätte...

Wieso Dylan? Na ja, ich bin ein Verehrer des grossen Bob und weiss seine Verdienste um alles, was sich seit 1965 musikalisch ereignet hat, sehr zu schätzen. Und nun höre ich Tom Ovans, der heutzutage eine nicht minder wichtige Rolle spielen müsste. Ja müsste... dem ist aber leider nicht so. Dabei ist er Herrn Robert Zimmerman doch so ähnlich in seiner Intonierung - und vor allem in seinen intelligenten, überaus kritischen Texten - die haben sogar einiges mehr an Bodenhaftung, sind nicht so skurril, wie man es von Bob manchmal so vernimmt.
Diese CD stammt aus meiner Abteilung "kurz vor'm Vergessen entdeckt", ist also schon etwas älter. Und ich mache mir Vorwürfe. Wie konnte ich diese Platte übersehen? Als die CD 1996 erschien, hab ich damals vor 7 Jahren wahrscheinlich wieder mal den Fehler gemacht, eine Kompilation von Lynyrd Skynyrd zu kaufen. Mit Songs, die ich schon 200 mal im Regal stehen habe. Dass mir deswegen dieser Ovans durchgeschlüpft ist, verzeih' ich mir nie!
Tom Ovans stammt aus Boston, Massachusetts und ist selbst schon seit Mitte der 70er unterwegs, hat in 48 der 50 Bundesstaaten gelebt, fast jeden erdenklichen Job angenommen um zu überleben, tonnenweise Bücher und Magazine verschlungen und sich damit eine perfekte Basis für Geschichten geschaffen, die es zu vertonen lohnt. Mundharmonika spielte er schon als Kind, auch akustische Gitarre lernte er während seiner Jahre "on the Road". 1990 konnte er durch eine selbstaufgenommene Kassette, die in Europa für Aufsehen sorgte (nicht dass ICH das mitbekommen hätte...) seine erste Platte einspielen. Zuhause hat keiner Kenntnis genommen. Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande. Wie gehabt...
Das bringt uns zu "Nuclear Sky". Die CD ist aus seinen beiden (nicht mehr erhältlichen) Alben "Industrial Days" (1991) und "Unreal City" (1993) zusammengestellt und bietet mit den 15 Songs über eine Stunde Musik, die ab sofort zu den Sternstunden meiner Plattensammlung zählt.
Bei den ersten Tönen des Albums vernimmt man zuerst mal geilen Rock, weder zu soft noch zu heavy, tolle Gitarren, irrer Rhythmus... bis dann Tom Ovans' Stimme ertönt. Was ist denn das? Haben die auch die richtige CD geschickt? Frappierend Dylanesk - aber schnell bekommt man mit, dass er zwar auch eine Art Sprechgesang einsetzt mit ähnlicher Stimme, aber nicht ganz so nebendran wie bei Bob. Spechgesang wohl deswegen, weil hier einer was zu sagen hat und nicht irgendeinen Refrain bis zum Abwinken wiederholt. Geschichten, die das Leben schrieb.
Geschichten aus dem Leben in den USA allerdings. So vernimmt man in "Crazy", einem Song über einen beschissenen Job in irgendeinem Hamburger-Joint, den er angenommen hatte, weil er mit Musik nicht überleben konnte, beispielsweise:
"...well a couple of weeks ago this guy walks in with a shotgun
and held me up, all the cops nodded their heads
when one cop said I was lucky I didn't get blown away
but I wasn't afraid cause I knew that guy wasn't gonna pull the trigger
cause I could tell that he could tell we were brothers in some
kind of strange way...
crazy...we're crazy..."

...dazu hervorragende Musik, das das Drama untermalt. Und solche Geschichten gibt's in jedem Song, nichts ist belanglos, alles hat eine eindeutige Aussage.
Wobei manches sehr rockig und groovend ist, anderes eher Folk-betont mit tollen akustischen Gitarren, die manchmal schmeichlerisch von Mundharmonika untermalt sind. Das ist für meinen Geschmack perfekte Musik. Auch wenn (oder gerade weil) es den einen oder anderen Song gibt, der ein Outtake aus Dylan's Meisterwerk "Blood On The Tracks" von 1975 sein könnte - ("Those Days") - Dylan könnte stolz darauf sein.
Um es aber auch deutlich zu sagen: hier ist kein Epigone am Werk, sondern ein Künstler in dessen Adern dasselbe rastlose Blut fliesst - aber einen Vorwurf würde ich machen wollen: Im Booklet ist ein Bild, auf dem man in Tom Ovans auch "His Bobness" erkennen könnte - somit wurde wohl versucht, sich zu nahe anzulehnen. Das kann nicht gutgehen, so sollte man nicht mit seiner Eigenständigkeit umgehen.
Wer bei Dylan richtige Gitarrensounds vermisst (hat), hier sind sie. Zumindest in den rockinfizierten Songs. Aber auch die Folk-getönten Tracks haben eine Klasse und Tiefgang, dass ich mich wundere, wieso eine neue Bob-CD millionenfach verkauft wird während Tom Ovans grademal vielleicht 2000 Exemplare über die Theke schieben kann, wenn überhaupt. Es müsste (heutzutage!) genau umgekehrt sein. Wie eingangs gesagt, mehr würde auch Bob jetzt nicht verkaufen können, wenn er erst 1990 angefangen hätte. Wenn das Wort hätte nicht wäre... wer auf Dylan steht, sollte sich unbedingt diese Platte anhören! Es lohnt sich, gerade wenn man mal auch etwas mehr Drive haben will.
In einem Interview sagt Tom Ovans, angesprochen auf die Globalisierung der Welt u.a.:
"In music you see a lot of kids growing now up who don't know what live music's about or appreciate what live music is. They're just used to these machines banging out rhythms and a bunch of nubile young people dancing in front of them. You dumb down expectations - it's not true of all kids, but there's a mass culture. I don't know if that's an American thing or not? It's more universal, I think - corporations know no borders".
Da hat er wohl nicht so unrecht. Alles wird gleichgeschaltet. Da werden seine Botschaften eher als störend empfunden, leider!
Ich wünsche Tom Ovans jedenfalls den Erfolg, den er verdient hat! Es gibt zwei neue CDs, die 2002 veröffentlicht wurden und die ich mir sicher zu Gemüte führen werde. Ich hab aber keine Hoffnung, dass Erfolg für ihn wenigstens hierzulande beschieden sein wird, solange Bohlen noch der Musiklehrer (der Nation) zu sein scheint. Bei *der* Musikerziehung kann ich nur versuchen, das Kotzen zu unterdrücken! Aber ich bin ja auch nicht massentauglich. Hoffentlich werde ich deswegen nicht ausgebürgert...
Spielzeit: 61:15, Medium: CD, Demon Records, 1996
1:High Stake Gambling Town 2:Concrete Love 3:Never fell from Love the easy Way 4:Hallelujah Child 5:Sad Streets 6:Early one Morning 7:Those Days have passed us by 8:Crazy 9:Whatcha doing 10:Need I say more 11:I'm going down 12:Angelou 13:Dance with me Girl 14:The Sailor 15:Mr. Blue
Manni Hüther, 22.04.2003
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