Bonnie Raitt / Live At Montreux 1977
Live At Montreux 1977
Also, eines muss an dieser Stelle doch einmal unmissverständlich festgehalten werden:
Ohne die 'Erfindung' respektive die erfolgreiche Einführung des Mediums 'DVD' und der dazugehörigen Hardware, würden im Augenblick sowohl die (Tonträger-) Musikindustrie, als auch die Unterhaltungselektronikindustrie noch wesentlich belämmerter in die Röhre schauen, als es ohnehin schon der Fall ist. Von den vielen involvierten Arbeitsplätzen mal ganz abgesehen.
Was ist denn beispielsweise in den bundesdeutschen Longplaycharts los?

Platz 1 - Söhne Mannheims - "Power Of The Sound"
Platz 20 - Böhse Onkelz - "La Ultima/Live In Berlin"
Platz 38 - Böhse Onkelz - "Live In Hamburg"
Platz 40 - Manowar - "Hell On Earth Part IV"
Wenn ich mich nicht völlig irre, wären das für den Zeitpunkt erste Augustwoche 2005 Beispiele für kommerziell sehr erfolgreiche Musik-DVDs in den Media Control Longplaycharts.
Darüber hinaus boomt selbstredend auch das Geschäft mit Film-DVDs.
Aber gerade im Musiksektor hat sich dieses Medium innerhalb kürzester Zeit enorm ausgebreitet. Konzerte, Dokumentationen, Videoclips, TV-Auftritte, Musik-TV-Sendereihen wie 'Rockpalast', 'Musikladen', 'Ohne Filter','Ed Sullivan Show' usw., das Archivmaterial scheint unerschöpflich, aktuelle Musikgroßveranstaltungen werden sowieso endgültig alle aufgezeichnet und mittels DVD marktgerecht verwurstet.
Fast jedes neue Album der wenigen verbliebenen Major-Companies erscheint mittlerweile in einer Special Edition mit Bonus-DVD, jedes Livealbum hat ein DVD Pendant, ja, mehr noch, denn es gibt mittlerweile deutlich mehr Live-Musik-DVD - Veröffentlichungen als entsprechende Live-CDs.
Es ist eindeutig der einzig relevante Wachstumsmarkt der Musikindustrie und der geneigte Musikfan wird geradezu mit Produkten zugeschüttet.
Hier gilt es, sorgsam die Spreu vom Weizen zu trennen.
Mir liegt jetzt hier eine DVD aus der sogenannten 'Live At Montreux' - Reihe vor, die im Augenblick 15 DVDs umfasst und vermutlich noch weiter fortgesetzt wird.
Dieses berühmte (Jazz- und Artverwandtes)Festival wurde bereits im Jahre 1967 ins Leben gerufen und hat sich bis heute den Ruf erspielen können, dass dort regelmäßig Jahr für Jahr hochkarätige Konzerte für ein zahlungskräftiges Publikum stattfinden. Für die nicht ganz so Betuchten gibt es nun also punktuell die Gelegenheit, einige Highlights dieser Festivalreihe im heimischen Wohnzimmer begutachten zu können.
So gab die Blues-R&B-Folk-Singer/Songwriter - Interpretin und versierte (Slide)Gitarristin Bonnie Raitt im Sommer 1977 erstmals in Europa ihre Visitenkarte ab und schaute bei dieser Gelegenheit gleich mal beim '11th Montreux Jazz Festival' vorbei. Dieser Auftritt ist in Auszügen nun erstmals überhaupt veröffentlicht. Leider gab es wohl damals schwerwiegende technische (Aufzeichnungs)Probleme, so dass nur gut 50 Minuten dieses Konzerts für die DVD-Veröffentlichung verwertet werden konnten.
Dies geschieht aber in einer sehr ansprechenden Ton- und Bildqualität, immerhin sind die Aufnahmen inzwischen 28 Jahre alt und die Filmkameras, die manchmal im Bild zu sehen sind, schauen aus heutiger Sicht doch arg antiquiert aus.
Gar nicht antiquiert kommt dafür Miss Raitt rüber, damals 28 Jahre jung und alles andere als unansehnlich.
Sie hatte bis dato 5 LPs rausgebracht, wobei sich lediglich das 1975er "Home Plate" in den USA Top 50 platzieren konnte.
Kurz vor ihrem ersten Europa Besuch war das sechste Album erschienen, "Sweet Forgiveness", das in den USA immerhin die Top 30 knackte und mit der rockigen Coverversion von Del Shannon's "Runaway" (nicht zu verwechseln mit dem Frühzeit - Bon Jovi - Hit!) den ersten Minihit abwarf.
Im Europa der Diskowelle und des wilden Punks hatten ihre organischen, eher ruhigen Töne natürlich keine Chance.
Und doch wird sie in Montreux begeistert empfangen und aufgenommen, übrigens von einem überraschend jung ausschauenden Publikum.
Zu Gehör bringt sie insgesamt vier Titel ihres zweiten Albums von 1972 ("Give It Up"), drei Titel vom besagten "Home Plate" Album, zwei Nummern vom damals aktuellen "Sweet Forgiveness" Album und jeweils ein Stück von "Takin' My Time (1973) und vom 1971er Debütalbum "Bonnie Raitt".
Zu sehen bekommen wir die rotmähnige Protagonistin nebst ihrer kompakten und eingespielten Tour- und Studioband damaliger Zeit, mit Will McFarlane an den 6 Saiten, Freebo (seit Bonnie Raitt's Debütalbum dabei!) am Tieftöner und einmal an der Tuba(!), Dennis Whitted im Reich der Felle und Becken und schließlich als durchgehender Gast Marty Grebb an den Tasten und am Saxofon, der bereits seine Meriten bei u.a. Leon Russell erworben hatte.
Diese für Bonnie's Verhältnisse auf's Wesentliche reduzierte Combo groovt in den ersten drei Stücken ausgesprochen entspannt, aber dennoch rhythmisch und funky dahin, produziert bei "Walk Out The Front Door" gar einen Reggaeeinschlag und klingt somit für damalige Zeiten durchaus zeitgemäß und würde auch heute in dieser Form eine gute Figur abgeben, was den musikalischen Vortrag in den Rang der erfreulichen Zeitlosigkeit hebt.
Bei "Love Me Like A Man" wird's erstmals richtig bluesig und das nötige Feuer zündelt der 'Killer' an der Harp, Mr. Jerry Portnoy, seines Zeichens damals Harmonika-Wizzard in der Band von Muddy Waters, indem er seiner Titulierung 'Killer' wahrlich alle Ehre macht und allen den sprichwörtlichen Marsch bläst!
Beim flotten "Give It Up, Or Let Me Go" erleben wir Miss Raitt erstmals an der Slide und Freebo an der Tuba, wirklich ein superbes Stück Musik, was eindeutig den Duft von New Orleans eingeatmet hat. Es handelt sich hierbei übrigens um eins der lediglich 2 selbstgeschriebenen Nummern im Set. Bonnie Raitt hatte in der Regel eigentlich nie mehr als zwei Eigenbauten auf ihren LPs, sie bediente sich lieber gepflegter Vorgaben vom Schlage eines Jackson Brown, Don Covay, Tom Waits, Eric Kaz, Bill Payne, Karla Bonoff, Delbert McClinton oder beispielsweise Randy Newman.
In "Woman Be Wise" huldigt sie ihrer Mentorin Sippie Wallace, während sie bei "Sugar Mama" zum zweiten Mal beherzt slidet und die Band uptempomäßig den knackigen Funkgroove-Teppich knüpft.
Plötzlich ist schon Schluss und es gibt lediglich das damals brandneue "Runaway" im ebenfalls funky rockigen Groove-Gewand, dargeboten von einer sehr gut gelaunten Bonnie Raitt und ihrer ausgesprochen gut geölten Band.
Doch damit endet die DVD noch nicht, wegen der angesprochenen Unnutzbarkeit des restlichen Auftritts gibt es 4 Stücke eines anderen, exakt 14 Jahre späteren Gigs der Bonnie Raitt auf dem 'Montreux Jazz Festival', als Bonuszugabe.
Es muss aber kritisch hinterfragt werden, warum denn hier nur 4 Stücke des 1991er Konzerts Verwendung fanden. Für mich angesichts der Laufzeitmöglichkeiten des Mediums DVD vollkommen unverständlich!
Seit 1977 hatte sich für Bonnie Raitt vieles getan, zunächst überwiegend Negatives, da sie in einen nicht unproblematischen Drogen- und Alkoholstrudel (ja, ja, auch Alkohol ist natürlich eine Droge!) geriet. Das hatte bei ihr spätestens ab 1983 einen völligen Einbruch der Karriere zur Folge und mündete nach erfolgreicher Therapie im Jahre 1990 in den totalen Triumph, als ihr ein Jahr zuvor herausgekommenes Album "Nick Of Time" etliche Grammys abräumte und in den USA die sensationelle Poleposition eroberte. Ja, selbst im alten Europa war die Dame plötzlich ein (Charts)Thema.
Ausgelöst hatte diesen ganzen (Blues)Boom ein gewisser John Lee Hooker und die Macher seines Überfliegers "The Healer", auf dem auch Bonnie Raitt mit einem Duett mit John Lee Hooker ("I'm In The Mood") vertreten ist.
Plötzlich waren (Bluesrock)Gitarrenderwische wie Jeff Healey gefragt, Gary Moore entdeckte ausgesprochen erfolgreich das wieder, was er für Blues hielt und grub dabei immerhin Legenden wie Albert King und Albert Collins aus, die so noch kurzzeitig vor ihrem Ableben zu verspäteten und hochverdienten Ruhm kamen, Soulblueser wie Robert Cray enterten plötzlich sogar die Singlecharts und auch ein Stevie Ray Vaughan hätte noch so richtig abräumen können, wenn seinem Leben zu dieser Zeit nicht durch einen Hubschrauberabsturz ein Ende bereitet worden wäre.
Selbst eine Ikone wie Eric Clapton profitierte von diesem Boom und ließ sich an dessen Ende das berühmte "Unplugged"-Album vergrammysieren.
Ja, und Bonnie Raitt herself war plötzlich obenauf, eine gefeierte Virtuosin an der Slidegitarre und Vertonerin von chartskompatiblem Adult-Oriented-Blues-Folk-Roots-Rock-Pop.
Entsprechend wird bei ihrem 1991er Montreux-Auftritt auch mächtig aufgefahren, ein Drummer, eine Perkussionistin, ein Bassist, zwei Gitarristen, zwei Keyboarder, wobei einer zusätzlich noch die Harp bläst und somit ein absolut vollfetter Sound produziert wird, welcher der damaligen Neuplattenproduktion "Luck Of The Draw" in nichts nachstand. Zusätzlich brilliert bei "Think" noch der 'great, legendary rhythm and blues giant' Charles Brown am Klavier. Interessanterweise kommt hier das 1977er Sweet Forgiveness-Stück "Three -Time Loser" zu Gehör, welches sie 14 Jahre zuvor ebenfalls brachte, aber den technischen Problemen zum Opfer fiel. Ein insgesamt sehr reizvoller Vergleich, der die Entwicklung von einer unbedarften, unbekümmerten Bonnie Raitt zu einer großen und gefeierten Ikone ihres Fachs etwas näher verdeutlichen kann, denn neben dem Sound für große Bühnen ist auch unzweifelhaft wahrnehmbar, dass sie sich vokalistisch erheblich gesteigert hatte.
Somit ist dieser DVD im Dschungel des Veröffentlichungsoverkills sehr wohl eine Daseinsberechtigung zu attestieren, allerdings wird mit dem mageren Bonus von 4 Songs und auch weiteren fehlenden Extras verhindert, dass der Rezensent zu 7½ RockTimes - Uhren greift, so sind es leider nur 6!
Technik: 4:3 Screen Format 1977 Show 16:9 Screen Format 1991 Show DTS Digital Surround Sound, Dolby Surround 5.1 und PCM Stereo
Beide Konzerte wurden auf "two-track analogue tape" aufgenommen und abgemischt. Diese "two track recordings" wurden abschließend zur Soundoptimierung "digitally remastered".
Das Ergebnis kann sich im Stereobetrieb durchaus hören lassen. Sehr knackig, transparent und natürlich klingend!
Was nun allerdings bei diesen Vorlagen im Multichannel-Bereich akustisch passieren soll, entzieht sich in Ermangelung notwendiger Hardware der Kenntnis des Rezensenten.


Spielzeit: 74:00, Medium: DVD, Eagle Vision, 2005
1:Under The Falling Sky 2:Walk Out The Front Door 3:Good Enough 4:Nothing Seems To Matter 5:Love You Like A Man 6:Give It Up, Or Let Me Go 7:Woman Be Wise 8:I Thought I Was A Child 9:Home 10:Sugar Mama 11:Runaway
Bonus Performances (1991)
1:Papa Come Quick 2 :Good Man, Good Woman 3:Three-Time Loser 4:Think
Olaf "Olli" Oetken, 12.08.2005